Wie der kleine Paul den Heiligen Vater verriet

Wie der kleine Paul den Heiligen Vater verriet
(AP)

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Die Jagd nach dem Papst-Verräter ist vorbei: Paolo Gabriele, einfacher Kammerdiener, soll die pikante Post des heiligen Vaters weitergegeben haben. Ist "VatiLeaks" nun Geschichte? Wer's glaubt wird selig.

Es gibt einen Verräter im Vatikan. Einen, der seinen Vater durch Indiskretionen gegenüber der Presse von seinem heiligen Stuhl stoßen will. Was vor sechs Monaten unter dem Begriff „VatiLeaks“ begann, soll nun ein Ende gefunden haben. Die Geschichte von der Verhaftung des päpstlichen Kammerdieners Paolo Gabriele klingt wie eine Räuberpistole von „Sakrileg“-Autor Dan Brown: Der Butler ist der Täter – und gleichzeitig wohl auch das Bauernopfer.

Der devote Diener war’s

Paolo Gabriele ist verheiratet und hat drei Kinder. Der vermeintliche Verräter wird seit dem 23. Mai in einem der drei Sicherheitsräume der päpstlichen Gendarmerie festgehalten – ein Gefängnis gibt es im Vatikan nicht. Der 46-Jährige hat schon Papst Johannes Paul II als persönlicher Sekretär gedient und galt bis dato als schlichter, devoter Diener, weiss der „National Catholic Reporter“ über „Paoletto“, den kleinen Paul, zu berichten.

Ausgerechnet dieses treue Schäfchen soll das Kirchenoberhaupt bestohlen haben. Ausgerechnet in seiner Wohnung im Vatikan sollen vier Kisten voller Beweismittel entdeckt worden sein – Kopiergerät inklusive. Ausgerechnet jetzt ist der bis dato so wache Whistleblower unvorsichtig geworden, als in heller Aufruhr nach dem Maulwurf gewühlt wird, der in Kirchenkreisen übrigens als „Rabe“ firmiert.

Krisenstimmung nach Sündenbock-Jagd

Die Grossjagd ist eröffnet, seit Gianluigi Nuzzi Mitte Mai das Buch „Seine Heiligkeit – Geheimpapiere von Benedikt XVI“ veröffentlicht hat. Der Journalist wurde dank einer Quelle namens „Maria“ mit mehreren Vatikan-Dokumente gesegnet, aus denen er flugs einen Bestseller bastelte. Ein darin zitiertes Papier erkannte Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein jedoch angeblich wieder: Es sei aus dem nächsten Umfeld des Papstes gekommen und nicht den üblichen Weg durch das Staatssekretariat gegangen – aber auch nicht kompromittierend. So konnten Benedikts Spürhunde die Suche eingrenzen und dem Raben auf die Schliche kommen.

Paolo Rodari glaubt davon kein Wort. Für den Vatikan-Experten bei „Il Foglio“ sind die Papiere aus dem Enthüllungsbuch eher entlastend für Paolo Garbiele. „Viele der veröffentlichten Dokumente sind nie durch das päpstlichen Apartment hindurchgekommen, wo er arbeitet. Seine Festnahme sieht aus, als wolle der Vatikan einen Sündenbock finden“, sagte Rodari der „New York Times“. Paoletto selbst redet erst in einigen Tagen: Seine beiden Anwälte wollten sich zunächst ein „angemessenes und vollständiges Bild“ des Falles machen wollen, so „La Stampa“.

Auch die Vertreter des heiligen Stuhls rechnen inzwischen nicht mehr mit einem schnellen Ende Raben-Jagd. „Diese Affäre ist noch nicht vorbei. Das ist erst der Anfang“, unkten sie in der italienischen Zeitung. Papst-Experte Andrea Tornielli: „Natürlich gibt es Probleme, riesige Probleme. Was jetzt passiert, zeigt uns, dass es eine Krise gibt.“ Trotz eines vermeintlichen Täters hängt der Haussegen in Gottes Heim schaurig schief und die Gerüchte kochen über: Der kirchliche Machtkampf wird zur Glaubensfrage.

Vatikan: Jeder gegen jeden?

Kaum war Paolo Gabriele verhaftet, führte „La Repubblica“ ein Interview mit einem Insider, der den Diener entlastete. „Es gibt nicht den einen Kopf hinter den Operationen, es gibt viele. Sogar Kardinäle sind unter den Whistleblowern. Sie wollen die Korruption in der Kirche in den Jahren aufdecken“, so der Anonymus. „Es geht immer auch um Geld. Auch der Heilige Stuhl hat ökonomische Interessen. 2009, 2010 haben einige Kardinäle ein Fehlen von Kontrolle festgestellt.“

Glaubt man dieser Quelle, gibt es im Vatikan Grabenkämpfe zwischen dem „Kanzler“ des Vatikan und dessen Staatsoberhaupt: „Es gibt jene, die gegen Staatssekretär Tarcisio Bertone arbeiten. Und jene, die denken, Benedikt XVI sei zu schwach, um die Kirche zu führen. Und solche, die glauben, es ist Zeit für den nächsten Schritt. Also wurde daraus jeder gegen jeden.“ Der Papst habe deshalb eine fünfköpfige Task Force zusammengestellt. Sie wird von einer Frau geleitet werde, die das Strategische verantworte.

Gerüchte um Richtungsstreit in der Chefetage

Staatssekretär Tarcisio Bertone und der Papst sind angeblich aneinander geraten, als es darum ging, die Vatikanbank zu reformieren. Er setzte Erzbischof Carlo Maria Vigano ein, um Anti-Geldwäschegesetze umzusetzen, doch der Aufklärer wurde im Oktober 2011 in die USA weggelobt. Am 24. Mai wurde der Chefbanker geschasst: Der Bankvorstand sprach Ettore Gotti Tedeschi überraschend das Misstrauen aus und drängte ihn damit zum Rücktritt. Als Benedikt davon erfuhr, habe er geweint, sagt der „Rebubblica“-Anonymus. Er hätte dagegen angehen können, doch das hätte einen „sensationellen Bruch“ mit seinem „Kanzler“ bedeutet.

Seither kommt die Katholische Kirche aus dem Dementieren gar nicht mehr heraus. Vatikan-Sprecher Frederico Lombardi stellte klar, dass gegen keinen Kardinal ermittelt werde. Die Dokumente aus dem Nuzzi-Buch wären nichts Neues, ergänzte Historiker Alberto Melloni. Das gelte auch für die Versetzung von Erzbischof Vigano nach Washington. „Tobt ein ‹Bandenkrieg› im Vatikan?“, fragte der deutsche „Focus“ forsch. Und der singende „Repubblica“-Rabe beteuerte: „Die Rolle der Kirche ist, das Evangelium zu verteidigen und nicht, Geld und Macht anzuhäufen.“