Wege gegen Waffengewalt gesucht

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So viele Waffen wie Einwohner und rund 30 000 erschossene Menschen pro Jahr: Die Diskussion um Waffen-Gesetze spaltet die USA. Auf einer Wissenschaftskonferenz diskutierten Forscher über Lösungen - in einer Stadt, die selbst mit hoher Waffengewalt kämpft.

An der Tür des Tagungshotels prangt ein kleiner quadratischer Aufleber. Eine schwarze Pistole ist darauf zu sehen, quer darüber ein dicker roter Strich. Waffen dürfen hier nicht hinein. Das Jahrestreffen des weltgrößten Wissenschaftsverbands AAAS (American Association for the Advancement of Science) findet diesmal in Chicago statt, einer Metropole, die seit Jahren gegen ihre vergleichsweise hohe Mordrate und den damit einhergehenden schlechten Ruf kämpft. Zwar sank die Zahl der Morde im vergangenen Jahr auf knapp über 400 – in Metropolen wie Los Angeles und New York, die deutlich mehr Einwohner haben, sieht die Lage allerdings relativ gesehen deutlich besser aus.

Sein Vorschlag, genau hier in Chicago auf dem AAAS-Jahrestreffen ein Symposium zum Thema Waffengewalt abzuhalten, sei dann auch sofort angenommen worden, sagt der Wissenschaftler Garen Wintemute von der Universität im kalifornischen Davis. Gemeinsam mit vier anderen Kollegen stellte er auf der Konferenz, an der bis Montag Forscher zahlreicher Disziplinen teilnahmen, neue Daten vor. Die Experten berichteten von Lösungsmöglichkeiten und vielen – teils deprimiert stimmenden – neuen Forschungsergebnissen.

Chicago als Vorbild

Chicago – die Stadt, in der in den 1920er und 30er Jahren der berüchtigte Gangster Al Capone die Unterwelt kontrollierte – gehöre heute zu den Metropolen in den USA, in denen der Zugang zu Waffen mit am besten reguliert sei, sagt Wintemutes Kollege Philip Cooke von der Duke Universität. „Trotzdem schaffen es die gefährlichsten Menschen hier immer irgendwie, an eine Waffe zu kommen.“ In Zusammenarbeit mit der Polizei in Chicago erstellt Cooke derzeit eine Studie, für die er noch nie zuvor analysierte Daten untersucht und Gang-Mitglieder im Gefängnis interviewt hat.

Seine ersten Ergebnisse: Mit Abstand die meisten Mörder in der Metropole im US-Bundesstaat Illinois gehören einer Gang an. Die Waffe, mit der sie ihr Verbrechen begehen, war im Durchschnitt schon rund zwölf Jahre lang im Einsatz. Nur rund 18 Prozent der Gang-Mitglieder haben ihre Waffe selbst gekauft. Alle anderen finden die unterschiedlichsten Möglichkeiten, den stark regulierten Handel zu umgehen: Diebstahl, eine Freundin, die die Waffe beim Händler legal besorgt und weitergibt, oder eine Gruppe Freunde, die in einen anderen Bundesstaat fährt und dort gleich eine ganze Kiste voller Waffen kauft. „In Chicago gibt es wirklich all diese Möglichkeiten“, sagt Cooke. „Manche finden ihre Waffe sogar auf der Straße.“

Erschreckende Zahlen

Die Zahlen für die gesamte USA sind ebenso erschreckend, wie die Wissenschaftler darlegen: 310 Millionen Waffen sind in den USA in privater Hand. Das sind in etwa so viele wie das Land Einwohner hat. Rund 10,4 Millionen polizeiliche Überprüfungen, die zum legalen Erwerb einer Waffe nötig sind, werden jährlich durchgeführt. Nur in etwa 150 000 Fällen gehen sie negativ aus.

Mehr als 30 000 Menschen werden jedes Jahr absichtlich erschossen. Insgesamt passieren rund 450 000 Gewaltverbrechen mit Waffen. Dabei werden mehr als 70 000 Menschen verletzt. Als im Dezember 2012 ein Amokläufer an der Sandy Hook-Grundschule im Städtchen Newtown im US-Bundesstaat Connecticut 20 Kinder, 6 Schulangestellte, sich selbst und seine Mutter erschoss, starben am selben Tag noch 85 weitere Menschen in den USA durch Waffen.

Frust wegen mangelhafter Lösungen

Lösungsansätze gebe es viele, aber häufig gingen sie bislang frustrierend aus, berichten die Wissenschaftler. Waffen, die mit Hilfe verschiedener Mechanismen nur durch den Besitzer ausgelöst werden können, hätten sich bislang nicht durchgesetzt, sagt Forscher Daniel Webster von der Johns Hopkins Universität in Baltimore. Dabei seien sie inzwischen bezahlbar geworden und könnten vor allem die herzzerreißenden Fälle, bei denen Kinder aus Versehen sich selbst oder andere Kinder erschießen, reduzieren.

Websters Kollege Wintemute analysierte ein Pilotprojekt in Kalifornien: Dabei wurden Menschen, die nach dem Waffenkauf straffällig oder psychisch krank wurden und damit nicht mehr berechtigt waren, eine Waffe zu haben, von der Polizei gebeten, diese abzugeben. Das taten aber nur 119 von 525 Betroffenen. In den kommenden zwei Jahren wurde rund ein Fünftel der Menschen, die ihre Waffen nicht zurückgegeben hatte, erneut festgenommen. Bei denen, die keine Waffe mehr hatten, war es etwa jeder Zehnte.

Webster untersuchte, wie es sich auswirkt, wenn vor dem Kauf einer Waffe eine Lizenz eingeholt werden muss. Derzeit gilt das für zwölf Bundesstaaten. Der Bundesstaat Missouri schaffte eine solche Regelung 2007 auf Lobby-Druck hin ab – prompt stieg die Mordrate. Auch die Zahl der kurz nach dem Kauf für ein Verbrechen eingesetzten Waffen schnellte in die Höhe. Vor 2007 war stets etwa jede zweite Waffe, mit denen in Missouri ein Verbrechen begangen wurde, auch in dem Bundesstaat erworben worden. 2008 waren es plötzlich 70 Prozent. Die jetzt ausgewerteten Daten seien eindeutig, sagt Webster. „Eine Lizenz für den Kauf einer Waffe ist vielleicht der beste Mechanismus, mit dem wir den legalen Waffenhandel und die polizeilichen Überprüfungen kontrollieren können.“