/ „Vorwürfe entsprechen nicht den Fakten“

(Tageblatt/Hervé Montaigu)
Tageblatt: Herr Lux, wie geht es der LSAP aktuell?
Lucien Lux: „Danke, gut.“
Trotz der doch sehr direkten und teilweise sehr heftigen Kritik der letzten Tage an ihrer Partei inklusive Parteileitung?
„Wenn es uns gelingt, aus der aktuellen Diskussion Kraft zu schöpfen, dann ist sie durchaus positiv zu bewerten. Wir müssen uns aber auch intern bewusst werden, dass der Spagat, den eine linke Volkspartei vollziehen muss zwischen wirtschaftlichem Wohlstand, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit einerseits und der Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs andererseits immer wieder zu unterschiedlichen Meinungen führen kann. Allerdings muss uns diese Bewusstseinsbildung ziemlich schnell gelingen, schließlich stehen Wahlen vor der Tür und das Bild eines zerstrittenen Haufens riskiert sich nicht unbedingt positiv auf das diesbezügliche Ergebnis auszuwirken.
Es muss uns gelingen, zu zeigen, dass die Diskussion der letzten Tage Anlass für die LSAP – auch für die Parteispitze – ist, sich infrage zu stellen. Es ist aber auch eine gute Gelegenheit, den Gewerkschaften zu zeigen, dass wir Partner sind.
Gleichzeitig will ich aber auch zu bedenken geben, dass die ursprünglich wahrscheinlich wohlgemeinte Kritik dazu beiträgt, dass sich nun alle negativen Äußerungen auf einmal auf die LSAP fokussieren. Schnell kann hier in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass die Sozialisten der Ursprung allen Übels wären. Dies muss man aber vehement zurückweisen.“
Können Sie das vielleicht erläutern?
„Wenn ich mir das politische Spektrum, gleichzeitig die wesentlichen Forderungen der Gewerkschaften anschaue, dann steht zweifelsfrei fest, dass es die LSAP ist, die deren natürlicher Partner ist. In der Indexfrage ist dies der Fall, aber auch in Sachen Sparpaket oder aber bei der Reform im öffentlichen Dienst. Wir haben in diesen Punkten Elemente durchgesetzt, die auch von Gewerkschaftsseite positiv beurteilt wurden.
Eine CSV hätte ohne uns sicherlich eine ganz andere Krisenpolitik gemacht. Von der DP und den Grünen ganz zu schweigen. Mit diesen Parteien hätte es keine Rentenanpassung gegeben, der Index-Warenkorb wäre ohne jeglichen Ausgleich moduliert worden. Um nur diese Punkte zu nennen … Deshalb sage ich: Irrt euch nicht am Gegener.
Persönlich will ich betonen, dass ich eine Wahl zwischen Partei und Gewerkschaft nicht treffen kann. Das geht einfach nicht. Partei und Gewerkschaft haben ihre eigene Rolle. Zwischen uns besteht kein politisches Bündnis. Allerdings sind wir, wie gesagt, in vielen Punkten Partner. Dass es manchmal zu hitzigen Debatten kommt, ist normal, nur gilt es, daraus etwas Produktives zu entwickeln.“
Hand aufs Herz: Wäre ohne Druck der Gewerkschaften die LSAP-Politik der vergangenen Monate die gleiche gewesen?
„Glücklicherweise leben wir in einem Land mit starken Gewerkschaften. Als ‚homme de gauche‘ ist es gut zu spüren, dass man bei seiner tagtäglichen Arbeit in dem nötigen Kräfteverhältnis Gewerkschaften und NGO an seiner Seite hat.
Wir als LSAP waren in dieser Wirtschaftskrise einem enormen Druck ausgesetzt. Nehmen wir das Beispiel Index: Hier kam Druck aus Brüssel und Druck vonseiten der Patronatsorganisationen. Aber auch politischen Druck. Die CSV hätte nämlich mit anderen Parteien in diesem Punkt eine Mehrheit erhalten, die sie mit uns nicht erreicht hat. Zu dem erzielten Ergebnis haben sowohl die LSAP als auch die Gewerkschaften jeweils in ihrem Bereich beigetragen … Jeder hat für sich auf seinem Terrain gekämpft.
Auch soll die LSAP sich nicht schlechter machen, als sie ist: Die CSV wollte den Index deckeln, wir haben ‚Njet‘ gesagt. Als Finanzminister Frieden sein Sparpaket ankündigte, hat die LSAP noch am selben Tag erklärt, in dieser Form nicht damit einverstanden zu sein. Nur um zu unterstreichen, dass wir nicht auf die Gewerkschaften gewartet haben, um Kritik zu üben. Mit dem Ergebnis, dass von den ursprünglichen Spar- und Steuermaßnahmen nur noch knapp die Hälfte übrig geblieben ist. Sicherlich ein Verdienst der Gewerkschaften, aber eben auch der LSAP. Ich kann Ihnen verraten: die diesbezüglichen Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition waren nicht einfach. Ein drittes Beispiel ist die Reform im öffentlichen Dienst. Wir haben uns von Anfang an klar gegen ein wie von den CSV-Ministern Biltgen und Modert vorgeschlagenes generelles Bewertungssystem gestemmt. Ich sprach damals von einem bürokratischen Monster. Dieses ist jetzt vom Tisch. Gleiches gilt in Bezug auf die Kürzung der Anfangslöhne. Auch durch unsern Einsatz sprechen wir jetzt nur noch von einer Kürzung der ‚rémunération de stage‘. In anderen Worten: basierend auf den politischen Fakten der ersten beiden Jahren dieser Legislaturperiode kann ich nicht feststellen, dass die LSAP lediglich ein Anhängsel der CSV wäre. Tut mir leid, diese Kritik kann ich nicht gutheißen.
Und Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe oder Abtreibung stünden, wenn es nach der CSV ginge, überhaupt nicht auf der politischen Tagesordnung. Wobei ich zur Reform des Abtreibungsgesetzes sagen will, dass es, wenn es bei dem vorliegenden Text mit einer zweiten obligatorischen Beratung bleibt, es nicht zu einer Reform kommen wird. Hier muss die CSV sich bewegen. Tut sie es nicht, muss sie die politische Verantwortung übernehmen.“
Die Leistungen der LSAP werden Ihrer Meinung nach also nicht richtig anerkannt, nicht genügend geschätzt? Auch und vor allem nicht von den Leuten aus den eigenen Reihen?
„In der Tat legen wir einen gewissen Masochismus an den Tag. Zum Profil der LSAP will ich zwei Dinge sagen: Wir sind 2009 zu den Wahlen angetreten, um das Sozialsystem zu erhalten und zu stärken. Und nach der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir je hatten, stelle ich aber fest, dass die großen und kleinen Aggregate des Sozialstaates unangetastet geblieben sind, am Prinzip der Solidarität wurde festgehalten, die Steuerlandschaft hat sich nicht geändert. Zur Illustration: Die Steuerlast für eine Familie mit zwei Kindern liegt in Deutschland bei 35, in Luxemburg bei 11 Prozent. Ich habe ausgerechnet, dass die zur Sanierung der Staatsfinanzen beschlossenen Steuermaßnahmen bei einem Haushalt mit zwei Kindern und einem Einkommen von monatlich 4.000 Euro im Jahresvergleich 2010/2011 ein Einkommensminus von 0,7 Prozent haben. Dieses Minus wird aber durch die im Oktober erfallende Indextranche praktisch ausgeglichen. Bei einem Einkommen von 12.000 Euro macht das Minus 2 Prozent aus.“
Also Sozialabbau hat es Ihren Aussagen zufolge keinen gegeben. Warum werfen Ihre Parteikollegen Dan Kersch und Vera Spautz Ihnen aber genau das vor? Irgendwie passen diese Aussagen nicht zusammen …
„Ich verstehe die Kritik der Gewerkschaften, die dann von Dan Kersch und Vera Spautz weitergeführt wurde, hauptsächlich als Warnungen für die Zukunft. Die in verschiedenen Radiointerviews gemachten Aussagen bestätigen mich in dieser Meinung: Vera Spautz sagt, sie will verhindern, dass die LSAP den Weg der deutschen SPD einschlägt, Dan Kersch betont, dass es keine Alternative zur LSAP gibt … Ich wiederhole mich: Fakt ist, dass wir das Sozialsystem in schwersten Krisenzeiten nicht abgebaut oder ausgehöhlt haben. Ich weiß auch, dass es viele, zu viele minderbemittelte Menschen in Luxemburg gibt, allerdings sind die 35.000 Mindestlohnempfänger nicht von den Spar- und Steuermaßnahmen betroffen. Ich bin der Meinung, dass wir die Menschen besser durch die Krise gebracht haben als in jedem anderen Land. Wenn das kein starkes linkes Profil für eine Partei ist …
Gleichzeitig will ich aber auch daran erinnern, dass die Diskussionen in den einzelnen Bereichen nicht abgeschlossen sind. Stichwort Index. Und hier sage ich deutlich: Es braucht viele stichhaltige Argumente, damit die LSAP bereit ist, etwas am Indexsystem zu ändern.“
Vielleicht zurück zu den geäußerten Vorwürfen. Unter anderem hieß es, Kritik würde in der LSAP nicht ernst genommen …
„Auch das kann ich so nicht gelten lassen. Ich habe am 3. Mai der Fraktion vorgeschlagen, alle von den Gewerkschaften am 1. Mai geäußerten Vorwürfe genau unter die Lupe zu nehmen. Dies soll in Anwesenheit von allen LSAP-Abgeordneten und Ministern am kommenden 24. Mai geschehen. Dementsprechend bin ich nicht sonderlich begeistert darüber, dass von verschiedenen Seiten behauptet wird, wir würden Kritik nicht ernst nehmen. Dies zudem über den Weg der Presse zu tun und verschiedene Leute persönlich anzugreifen, zeugt ebenfalls nicht von gutem politischen Stil. In der LSAP gibt es nicht die ‚good guys‘ auf der einen und die ‚bad guys‘ auf der andern Seite. Wir brauchen sowohl Leute wie Vera Spautz als auch Leute wie der oft gescholtene Wirtschaftsminister Jeannot Krecké.
Aber wie auch immer: wichtig ist jetzt, zusammenzustehen, und in Ruhe die anstehenden Aufgaben (z.B. die Rentenreform) in Angriff zu nehmen. Was uns aber nach außen hin nicht davon abhalten darf, offensiver als bisher über Sinn und Zweck der verschiedenen Reformen zu kommunizieren.“
- In Kayl-Tetingen sind alle Optionen möglich - 7. Juni 2023.
- Aus Roude Fiels wird ein Neie Roude Fiels - 2. Juni 2023.
- Angenehm, grün und weitgehend autofrei: So soll Kayl-Nord später werden - 29. Mai 2023.