Vom Skelett zum Wonneproppen

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Der kleine Minhaj Gedi Farah wird derzeit als das Wunder von Somalia gefeiert. Nach intensiver Behandlung hat das Kind fünf Kilo zugenommen. Dennoch ist die Hungersnot noch längst nicht überstanden.

Als Minhaj Gedi Farah vor drei Monaten apathisch auf dem Krankenbett lag, nur noch Haut und Knochen, wagte selbst seine Mutter nicht zu hoffen, dass der Kleine durchkommen würde. Doch intensive Ernährung hat aus dem erbarmungswürdig klapperdürren Baby einen richtigen kleinen Wonneproppen mit runden Bäckchen gemacht. Minhaj, das Flüchtlingskind aus Somalia, hat es geschafft. Doch Millionen seiner Landsleute leiden noch immer.
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Die Hungersnot nach langer Dürre dieses Jahr hat zehntausenden somalischen Kindern den Tod gebracht. Doch trotz der Behinderungen durch islamistische Extremisten, trotz anhaltender Kämpfe und starken Regens können Hilfsorganisationen ihren Aktionsradius ausweiten, wie die UN berichten. Inzwischen komme Lebensmittelhilfe bei 2,2 Millionen der vier Millionen Bedürftigen in Somalia an.

Fast Normalgewicht mit Erdnusspaste

„Seine Mutter hat nicht geglaubt, dass er sich erholen würde. Seine ganze Familie ist glücklich“, sagt der Pfleger Sirat Amin von der Hilfsorganisation International Rescue Comittee, der die Fortschritte des kleinen Minhaj begleitet hat. „Er kann alleine sitzen. Er kann selbst Erdnusspaste essen. Er krabbelt!“

Als die UN im Juli die Hungersnot in Teilen Somalias ausriefen, lag Minhaj wie zig weitere Babys in stickiger Hitze auf der Krankenstation des IRC-Krankenhauses in Dadaab, dem weltgrössten Flüchtlingslager in Kenia. Er war sieben Monate alt und wog mit 3,2 Kilogramm weniger als manches Neugeborene. Fotos des ausgemergelten Kindes mit den eingefallenen Wangen prägten das Bild der Katastrophe. Nach wochenlangem Füttern mit gesüsster, mit Nährstoffen angereicherter Erdnusspaste bringt er jetzt knapp acht Kilo auf die Waage – fast normal für einen Jungen seines Alters.

Hunderttausende fliehen

Hunderttausende Somalier sind seit Anfang des Jahres vor Krieg und Hunger über die Grenze geflohen. Als die UN die Hungersnot erklärten, fielen scharenweise Fernsehteams ein, um über das Elend zu berichten. Inzwischen ist aus dem Flüchtlingsstrom ein Tröpfeln geworden, und die Kameras sind weg. Das heisst aber noch lange nicht, dass die Not vorüber ist.

Noch immer gelangt keine Lebensmittelhilfe zu fast zwei Millionen Menschen in Somalia. Regen hat die Pfade durch den Busch zu Schlamm aufgeweicht. Seit nach einer Reihe von Entführungen hunderte kenianische Soldaten in Somalia eingerückt sind, wird entlang der Grenze gekämpft. Familien, die fliehen wollen, laufen Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten oder im Schlamm steckenzubleiben. Nur die Stärksten kommen durch. Wenn sie die Flüchtlingslager erreichen, sind sie nicht nur am Verhungern, sondern auch krank und erschöpft, wie Amin berichtet. Es kommen zwar weniger Flüchtlinge an, die aber in schlechterem gesundheitlichem Zustand.

Krankheiten drohen

Die Station, auf der Amin arbeitet, ist um zwei Zelte erweitert worden. Dennoch teilen sich 78 Kinder 56 Betten. Das sind etwa doppelt so viele wie zu der Zeit, als Minhaj ankam, und manche Kinder sind noch schlechter dran als er damals. Viele der Neuen kommen mit Diarrhöe, mit Cholera und anderen Infekten. Die Helfer befürchten, dass die Menschen sterben wie die Fliegen, wenn sich die geschwächten Immunsysteme nicht mehr gegen kalten Regen und dreckige Pfützen behaupten können.

Rund 168 000 akut unterernährte Kinder unter fünf Jahren könnten binnen Wochen sterben, warnt das UN-Kinderhilfswerk. Die Experten machen sich Sorgen über Krankheiten wie Masern, Cholera und Malaria, besonders in den schmutzigen und überfüllten Flüchtlingslagern in der Hauptstadt Mogadischu. „Die Hungersnot ist nicht vorbei. Täglich sterben Kinder“, sagt die stellvertretende UNICEF-Beauftragte für den Somalia-Einsatz, Hannan Sulieman.

Selbst wenn sich die Eltern durch den Schlamm gekämpft haben, den Milizen entronnen sind und mit den Kindern ins Krankenhaus in Dadaab gestolpert kommen, ist es für viele zu spät. „Ich kann damit umgehen, aber manchmal bricht es einem das Herz. Die Menschen leiden. Manchmal sterben sie vor deinen Augen“, sagt Amin. „Du willst helfen, aber es geht nicht immer. Es geht nur manchmal.“