Urteil um tote Jugendliche in Paris

Urteil um tote Jugendliche in Paris
(AFP/Olivier Laban-mattei)

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Urteil zehn Jahre nach der tödlichen Verfolgungsjagd - Tod von Jugendlichen bei Paris führte 2005 zu schweren Krawallen

Das Versteck wurde ihnen zum tödlichen Verhängnis: Ein gewaltiger Stromschlag tötete im Oktober 2005 den 17 Jahre alte Zyed Benna und den 15-jährige Bouna Traoré, als sie sich bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois in ein Transformatorenhäuschen flüchteten. Der Tod der Jugendlichen führte zu wochenlangen Vorstadt-Unruhen in Frankreich, die Regierung verhängte den Ausnahmezustand. Zehn Jahre nach dem dramatischen Vorfall fällt nun das Urteil gegen zwei Polizisten, denen unterlassene Hilfeleistung zur Last gelegt wird.

Bei dem Prozess vor dem Strafgericht von Rennes stand ein Satz im Mittelpunkt, den ein Polizist bei der Verfolgungsjagd in sein Funkgerät gesprochen hatte: „Wenn sie auf das EDF-Gelände gehen, dann gebe ich nicht viel auf ihr Leben.“ Tatsächlich hatten sich die beiden Jugendlichen, die offenbar zu Unrecht des Diebstahls verdächtigt wurden, bei der Verfolgungsjagd am 27. Oktober 2005 auf ein Gelände des Stromkonzerns EDF geflüchtet und in einem Transformatorenhäuschen versteckt. Wenig später waren Zyed und Bouna tot, ein dritter Jugendlicher durch den Stromschlag schwer verletzt.

Schwere Krawalle

Der tödliche Unfall führte zu schweren Vorstadt-Krawallen in ganz Frankreich. Tausende Autos gingen in Flammen auf, zahlreiche Polizisten wurden verletzt. Über die juristische Aufarbeitung des Todes der beiden Jugendlichen gab es ein jahrelanges Hin und Her, mehrere Staatsanwaltschaften wollten das Verfahren gegen die Polizisten zu den Akten legen. Letztlich wurde aber Anklage erhoben gegen einen Polizisten, der die Jugendlichen verfolgt hatte, und eine Beamtin. Diese befand sich zum Zeitpunkt der Verfolgungsjagd in einem Kommissariat, hörte aber Funksprüche ihrer Kollegen vor Ort mit.

Der angeklagte Polizist beteuerte vor Gericht davon ausgegangen zu sein, dass die Jugendlichen letztlich nicht in das Gelände mit dem Stromtransformator eingedrungen waren. Denn er hatte zwar gesehen, wie sie von einem Friedhof aus über einen Zaun in Richtung des EDF-Geländes kletterten; dann versperrte aber noch eine hohe Mauer den Zutritt zum Gelände. Der Polizist schaute nach eigenen Angaben zwei Mal über die Mauer, sah aber niemanden und brach schließlich die Suche ab.

Freispruch für Polizisten

Die Anklage glaubte seinen Ausführungen: „Er ist mit der Überzeugung weggegangen, dass sie nicht auf dem Gelände waren“, sagte Staatsanwältin Delphine Dewailly vor Gericht. „Weil er sich keiner Gefahr bewusst war, kann ihm nicht vorgeworfen werden, nicht gehandelt zu haben.“ Die Staatsanwaltschaft hat einen Freispruch für den Polizisten gefordert – ebenso wie für seine angeklagte Kollegin. Dieser wird vorgeworfen, von der Gefahr für die Jugendlichen gewusst zu haben und trotzdem untätig geblieben zu sein. Sie bestritt dies: „Ich wusste nicht, dass es in diesem Moment eine wirkliche Gefahr gab.“ So sei sie davon ausgegangen, dass auf dem EDF-Gelände ein Verwaltungsgebäude des Stromkonzerns gestanden habe, nicht aber eine technische Anlage.

Bei einer Verurteilung drohen den Polizisten fünf Jahre Haft und 75.000 Euro Geldstrafe. Eine polizeiinterne Ermittlung hatte kein Fehlverhalten der Beamten festgestellt. Die Familien der getöteten Jugendlichen und der durch den Stromschlag schwer verletzte Jugendliche fordern außerdem zusammen knapp 1,6 Millionen Euro Schmerzensgeld.