Unter Druck

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(dpa/Etienne Laurent)

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Die EU mahnt eine entschiedenere Flüchtlingspolitik an. Die vielbeschworene "europäische Lösung" zum Eindämmen des Zustroms zieht bislang nicht. Die Stimmung wird in Europa zunehmend gereizt.

Mark Rutte ist ein Mann der klaren Ansagen. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in Europa müsse in neuen Jahr stark sinken, fordert der Premier der Niederlande. „Wir können mit den derzeitigen Zahlen nicht weitermachen“, lautet das Credo des Rechtsliberalen. Seine Worte haben einiges Gewicht – Den Haag führt im ersten Halbjahr turnusmäßig wichtige Amtsgeschäfte der EU.

Die Stimmung wird in Europa zunehmend gereizt. Massive Übergriffe auf Frauen in Köln und deren Folgen werden auch jenseits der deutschen Grenzen genau beobachtet. Das gilt auch für den härteren Berliner Kurs gegen kriminelle Ausländer und Asylbewerber. Auch wenn über die Tatverdächtigen von Köln noch keine vollständige Klarheit herrscht, macht auch Brüssel klar, dass rasch gehandelt werden muss.

Unter Druck

„Ich verstehe völlig, was die Bundesregierung jetzt macht“, meint EU-Vizekommissionschef Frans Timmermans, ebenfalls ein Niederländer. Eine harte Linie sei gerechtfertigt. „Wir wollen nicht zurück ins Mittelalter“, ergänzt der Sozialdemokrat.

Timmermans‘ Vorgesetzter, Jean-Claude Juncker, will am Donnerstag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprechen, dabei dürfte die Flüchtlingspolitik eine wichtige Rolle spielen. Der christsoziale EU-Veteran ist naturgemäß ein Vertreter einer „europäischen Lösung“, die aber bisher nicht die erhofften Resultate bringt.

Viel Kritik

Merkel steht ebenfalls unter Druck, denn die Bundeskanzlerin setzt auf eine geordnete Flüchtlingsverteilung in Europa oder eine Unterstützung für Herkunftsländer. Schon beim vergangenen EU-Gipfel im Dezember bekam sie kräftig Gegenwind. Zum Wortführer der Merkel-Kritiker schwang sich Italiens Premier Matteo Renzi auf – dem früheren Bürgermeister aus Florenz geht der Einfluss Deutschlands in der EU zu weit. Der Sozialdemokrat nimmt dabei insbesondere den geplanten Ausbau der Gaspipeline von Russland nach Deutschland ins Visier.

Juncker und Merkel sitzen in Flüchtlingskrise im selbem Boot. Sie sind auf das EU-Kandidatenland Türkei angewiesen. Der jüngst vom Terror des Islamischen Staats (IS) erschütterte Staat soll beim Eindämmen des Zustroms helfen.
Doch die Zahl der über die Türkei nach Europa gelangten Flüchtlinge ist nach Ansicht Brüssels immer noch hoch. „Wir können nicht zufrieden sein, wenn jeden Tag 2000 bis 3000 Menschen in Europa ankommen“, bilanziert der mächtige Kommissionsvize Timmermans. Bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte Februar solle es Fortschritte geben.

Plan B

Ein Verfahren zur Verteilung von 160.000 Flüchtlingen auch noch nicht richtig in Gang gekommen. Bisher wurden nur noch knapp 300 Menschen aus den Grenzstaaten Griechenland und Italien offiziell in andere EU-Länder weitergeleitet. Der vielsprachige Timmermans verbreitet aber Zuversicht: „Während der niederländischen (EU-) Ratspräsidentschaft wird das Verteilungssystem besser laufen.“

Was passiert, wenn all die schon vereinbarten Initiativen, Aktionspläne und Gipfelbeschlüsse nicht ziehen? Darüber möchte in Brüssel keiner offen reden. Hinter den Kulissen ist vom sogenannten Plan B die Rede: Grenzkontrollen in Deutschland nach dem Muster von Dänemark oder Schweden. Das wäre ein äußert harter Schlag gegen das Schengen-System, das ein passfreies Reisen erlaubt. „Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Vielleicht einige Monate“, orakelt ein EU-Diplomat.

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