/ Überleben heißt nicht weiter leben
„L’homme qui répare les femmes“ lautet der Titel eines Buches über den kongolesischen Sacharow- Preisträger Dr. Denis Mukwege. Im Panzi-Hospital arbeitet Dr. Raissa Kizungu mit dem Gynäkologen Mukwege. Die Frauen, die dort behandelt werden, wurden auf grausamste und unvorstellbare Weise missbraucht. Mit ebenso unvorstellbaren Folgen.
Dr. Raissa Kizungu.
„Ni paix, ni guerre“
Dr. Raissa Kizungu, Stellvertreterin des Sacharow-Preisträgers Dr. Denis Mukwege, war auf Einladung des Europaparlaments in Luxemburg Gast der Konferenz „Dr Denis Mukwege: le prix Sakharov pour un héros congolais“.
Daran nahmen auch die Luxemburger Europaabgeordneten Charles Goerens und Frank Engel sowie die Autorin, Afrika-Expertin und Le Soir-Journalistin Colette Braeckman teil.
Der Kongo, so Charles Goerens, habe alles, um erfolgreich zu sein. Das Land ist reich an Bodenschätzen, aber die Führung ist schwach. Präsident Kabila sei eigentlich nicht mehr als Bürgermeister der Hauptstadt Kinshasa.
Das Land leide seit 20 Jahren unter dem Terror, der auch eine Folge des Völkermords in Ruanda sei, so Colette Braeckman. Die abscheuliche Gewalt gegen Frauen nehme wieder zu und verbreite sich wie ein Virus, seitdem die kongolesische Armee und die UN-Kräfte den Rebellen ein Ultimatum (31. Dezember) gesetzt haben, die Waffen niederzulegen, so Braeckman. Mit der UNO verbinde man die Hoffnung auf eine Reform der Armee und der Polizei, sagte Raissa Kizungu. „Mukweges Appell ist ein Hilfeschrei, der die Stimme des Kongo außerhalb des Kongo erklingen lässt.“
Die Demokratische Republik Kongo zählt über 68 Millionen Einwohner. Nach dem Ende der Kolonialzeit putschte sich 1965 Joseph Mobutu an die Macht. Seine Diktatur endete mit dem Völkermord in Ruanda. Tausende Hutu flohen ins damalige Zaire. Vor allem die rohstoffreichen Ostprovinzen leiden immer wieder unter Konflikten und Krieg. In den letzten Jahren operierten dutzende bewaffneter Gruppierungen in den Kivu-Provinzen. Trotz UN-Eingreiftruppen und militärischen Erfolgen der Armee tauchen regelmäßig Berichte von Entführungen und Angriffen von Milizen auf. „Ni paix, ni guerre“ hatte Mukwege die Lage im Kongo bezeichnet. Und das seit 20 Jahren.
Die Kardiologin Raissa Kizungu wollte nach Abschluss ihres Studiums und einer Spezialisierung in Kardiologie in ihrer Heimat praktizieren. Seit 2009 arbeitet sie zusammen mit Denis Mukwege im Panzi-Krankenhaus in Südkivu. Ungefährlich ist das nicht. Auf Mukwege gab es mehrere Attentate.
Im Interview mit dem Tageblatt spricht sie über die täglichen Grausamkeiten, die sich in der Region abspielen und die Herausforderungen, vor der Land und Menschen stehen. Lösungen, so sagt sie, sehe sie derzeit keine. Ihr Hoffnung gibt sie nicht auf.
Dr. Mukwege hat vom Körper der Frauen als Schlachtfeld gesprochen. Sind die 40.000 Frauen, die im Krankenhaus in Panzi seit 1999 behandelt wurden, diejenigen, die das Glück hatten, überlebt zu haben?
Raissa Kizungu: Sie hatten das Glück, weiter zu atmen. Überleben heißt hier nicht wirklich im Sinne des Wortes weiter leben. Diese Frauen haben schreckliche Traumata erlebt. Sie werden missbraucht, vergewaltigt und danach werden die Geschlechtsorgane völlig zerstört. Etwa mit eingeführten Holzstücken, mit Messern, mit Feuerwaffen oder durch Verbrennung. Ihr Überleben ist ein Weiteratmen, ein Herz, das weiter schlägt. Mental sind es völlig zerstörte Frauen. Ich weiß nicht, wie man das wirklich heilen kann. Davor waren die Konflikte auf die bewaffneten Männer ausgerichtet, wie überall. Frauen und Kinder wurden in der Regel verschont.
Was hat dazu geführt, dass sich die Dinge so zum Schrecklichen verändert haben?
Man hat festgestellt, dass die kongolesischen Frauen mutig blieben, auch nachdem ihr Mann tot, verstümmelt oder behindert war. Sie behielten ihren Mut, widmeten sich der Erziehung der Kinder. Auf einmal wurden dann die Frauen, die funktionelle Einheit der Familie, das Angriffsziel. Jetzt gibt es sogar Vergewaltigungen von Kleinkindern. Was will man, wenn man ein Mädchen von zwei Jahren angreift? Man will nur, dass das Leben nicht weitergeht. Da geht es um massive Zerstörung. Wie weit soll das noch gehen?
Die betroffenen Frauen haben meist kein soziales Netz, das ihnen irgendwie helfen könnte.
Das soziale Netz wird vorsätzlich durch diese Vergewaltigungen zerstört. In der afrikanischen Kultur ist die Blöße der Frau heilig. Es ist selten, dass man eine junge Frau am Strand mit ihrem Schwiegervater sieht. Sie werden aber vor den Augen ihrer Familien vergewaltigt. So wird die Psyche der Frau, der Kinder, der Familie zerstört. Nach diesem abscheulichen Akt können sie nicht mehr zusammen leben. Der familiäre Zusammenhalt, die afrikanische Einheit, wird zerstört.
Aber was wird aus den betroffenen Frauen?
Sie werden verstoßen. Nach der afrikanischen Kultur sind sexuelle Beziehungen ebenfalls heilig. Eine Frau darf nicht mit einem anderen Mann schlafen. Wenn die Vergewaltigung vor den Augen ihres Mannes geschieht, sagt er sich „Was bin ich für ein Ehemann, besser ich laufe weg“. Die traumatisierten Männer lassen traumatisierte Frauen und traumatisierte Kinder zurück und so wird das ganze soziale Netz zerstört.
Dr. Mukwege beschreibt die Demokratische Republik Kongo als ein Land, wo seit Jahrzehnten weder Krieg noch Frieden herrscht. Wie konnte der Konflikt so ausarten?
An manchen Orten sind Schüsse zu hören, es gibt Entführungen, es werden Leichen gefunden. Es ist eine Region ohne Frieden. Wenn man die Gründe untersucht, könnte man denken, dass es mit dem Misstrauen gegenüber jenen zu tun hat, die das Land führen. Zweitens, hängt es mit der Effizienz der Ordnungskräfte zusammen. Im Moment sind internationale Ordnungskräfte im Kongo, viele Elemente der Vereinten Nationen, die auch die Polizei verstärken sollen. Aber die Polizei hat nicht wirklich Mittel. Sie hat keine normale Ausbildung. Frauen werden nicht weit weg von UN-Kräften vergewaltigt. Wir Einwohner verstehen überhaupt nichts mehr…
Das gesamte Gespräch mit Dr. Raissa Kizungu lesen Sie in der Samstag-Ausgabe des Tageblatt.
- Zucchinipuffer und eine Rhabarbertorte – leckere Klassiker fürs Wochenende - 12. Juni 2022.
- Sechs gute Gründe für Urlaub im Freien - 12. Juni 2022.
- Monsieur Champagne sagt Adieu - 8. Mai 2022.