Türkei entlässt weitere 15.000 Beamte

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Gut 15.000 Menschen verlieren in der Türkei ihren Job – und werden mit der Veröffentlichung ihrer Namen an den Pranger gestellt.

Trotz wachsender Kritik aus der EU setzt Präsident Recep Tayyip Erdogan die Massenentlassungen von Staatsbediensteten und die Schließung unabhängiger Organisationen in der Türkei fort. Mit einem am Dienstag im Amtsanzeiger veröffentlichten Notstandsdekret wurden 15.396 Staatsbedienstete entlassen. Bei ihnen handelt es sich um 9.977 Angehörige der Sicherheitskräfte und 5.419 zivile Mitarbeiter von Ministerien und Behörden. Unter letzteren sind 942 Universitäts-Mitarbeiter und 119 Lehrer. Der Grund sind stets angebliche Verbindungen zu Terrororganisationen.

Zugleich wurden mit dem Dekret Nummer 677 insgesamt 375 Vereine geschlossenen, darunter Menschenrechtsgruppen. Die Büros der meisten dieser Vereine waren bereits am vorvergangenen Freitag versiegelt worden. Sieben Regionalzeitungen, ein regionales Magazin und ein Lokalradiosender müssen ihre Arbeit einstellen. Zugleich wurden mit dem Dekret 155 frühere Entlassungen von Staatsbediensteten zurückgenommen, darunter 16 Mitarbeiter an Hochschulen. 175 Vereine, 18 Stiftungen und ein Gesundheitszentrum, die zuvor geschlossen worden waren, dürfen wieder öffnen.

Mit Namen und Dienstort

Die von den Ministerien und Behörden entlassenen Staatsbediensteten werden in Anhängen zu dem neuen Dekret erneut mit ihrem Namen und Dienstort benannt. Diese Praxis ist hoch umstritten, da die Betroffenen damit öffentlich an den Pranger gestellt werden, ohne jemals von einem Gericht verurteilt worden zu sein. Die Anhänge sind im Internet für jeden per Mausklick einsehbar.

Erdogan kündigte an, weiter gnadenlos gegen die Gülen-Bewegung vorzugehen. „Wir wissen, dass der Staat von dieser Verräterbande nicht vollkommen gesäubert wurde“, sagte er in Ankara. „Der Kampf der Türkei gegen den Terror wird bis zum letzten Terroristen, bis der letzte Terrorist eliminiert wird, fortgesetzt. Dieser Kampf wird auch weitergehen, wenn der Ausnahmezustand zu Ende ist.“

Über 75.000 Entlassungen

Mit dem neuen Dekret wurden seit Beginn des Ausnahmezustands am 21. Juli insgesamt mehr als 75.000 zivile Staatsbedienstete und Angehörige der Sicherheitskräfte entlassen, Tausende weitere wurden suspendiert. Den meisten werden Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen. Ein Bruchteil davon wurde später wieder eingestellt, weil sich die Vorwürfe nicht bewahrheiteten. Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger für den Putschversuch Mitte Juli verantwortlich.

Zudem wurden seit dem Umsturzversuch insgesamt rund 170 Medien und Verlage geschlossen. Darunter sind viele Gülen-nahe, aber auch pro-kurdische und regierungskritische Medien. Mit einem weiteren Notstandsdekret (678) vom Dienstag wurde Söhnen und Brüdern von Putschopfern der Militärdienst erlassen.

Mehr als 36.000 in U-Haft

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, die Staatsanwaltschaft habe die Festnahme von 60 Soldaten der Luftwaffe angeordnet, darunter Piloten. Ihnen würden Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen. Nach Angaben von Staatsmedien sitzen in der Türkei mehr als 36.000 Verdächtige im Zusammenhang mit dem Putschversuch in Untersuchungshaft.

Seit Verhängung des Ausnahmezustands kann Erdogan per Dekret regieren. Die Dekrete haben Gesetzeskraft und gelten ab ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt. Das Parlament muss sie nur nachträglich bestätigen. Der bereits einmal verlängerte Notstand gilt mindestens bis Mitte Januar. Erdogan hatte kürzlich erneut deutlich gemacht, dass ihn Kritik aus dem Ausland nicht interessiert. „Es kümmert mich überhaupt gar nicht, ob sie mich einen Diktator oder Ähnliches nennen. Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“, sagte er.

EU-Beitrittsgespräche aussetzen

Im EU-Parlament zeichnete sich eine breite Mehrheit dafür ab, wegen der Entwicklungen seit dem Putschversuch die Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei auszusetzen. Die Fraktionsvorsitzenden von EVP, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen sprachen sich in Straßburg für eine solche Resolution aus, über die am Donnerstag abgestimmt werden soll.

EVP-Fraktionschef Manfred Weber mahnte die Türkei im Plenum, um ihrer selbst willen wieder auf die EU zuzugehen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini rief zugleich dazu auf, den Gesprächsfaden mit der Türkei nicht abreißen zu lassen. Die Aufforderung des EU-Parlaments, die Verhandlungen mit der Türkei einzufrieren, ist für die EU-Kommission und die Mitgliedsländer nicht bindend.

Die 2005 begonnenen Beitrittsgespräche stecken schon länger in einer Sackgasse. Erdogan hat für kommendes Jahr ein Referendum in seinem Land darüber in Aussicht gestellt, ob die Verhandlungen mit der EU fortgesetzt werden sollen. Umgekehrt droht die EU damit, die Gespräche zu beenden, falls Erdogan wie angekündigt die Todesstrafe wieder einführt.