/ Tunesien fürchtet die "Zeitbomben"
Die tunesischen Sicherheitsdienste schlagen Alarm: Dem ohnehin schon von mehreren tödlichen Anschlägen heimgesuchten Staat könnte eine Welle islamistischer Gewalt drohen. Nach UN-Schätzungen kämpfen etwa 5.500 Tunesier mit extremistischen Gruppen im Ausland, die meisten von ihnen haben sich der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien, im Irak und in Libyen angeschlossen.
Die Behörden fürchten, dass diese kampferprobten Extremisten nach und nach in die Heimat zurückkehren und damit weitere Gewalt nach Tunesien bringen. „Das Thema zurückkehrende Dschihadisten ist akut, weil sich in Syrien, dem Irak und Libyen die Schlinge um den IS zuzieht“, sagt der Politologe Hamza Meddeb vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz.
Bereits 800 zurück
Nach den Worten von Tunesiens Innenminister Hédi Majdoub sind bereits 800 tunesischen Dschihadisten zurückgekehrt, weitere dürften in den kommenden Wochen und Monaten folgen. Seit der Revolution und dem Sturz des langjährigen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali im Frühling 2011 erlebt Tunesien einen Aufschwung des Islamismus. Begünstigt wurde dieser durch das Chaos nach der Revolution sowie wirtschaftliche und soziale Unsicherheit.
Bei islamistischen Anschlägen wurden seither mehr als einhundert Soldaten und Polizisten getötet, außerdem rund 20 Zivilisten und 59 ausländische Touristen. Auch der mutmaßliche Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin war Tunesier. Eigentlich hätte er nach dem Willen der deutschen Behörden in seine Heimat abgeschoben werden sollen, doch Tunis leugnete lange, dass er Tunesier war. Erst zwei Tage nach dem Anschlag vom Montag vergangener Woche trafen tunesische Ersatzpapiere in Deutschland ein.
Neues Somalia
Die tunesische Geheimdienstgewerkschaft ging jetzt auf die Barrikaden. Sie fordert, Dschihadisten kurzerhand die Staatsangehörigkeit abzuerkennen, damit sie nicht nach Tunesien einreisen können. Anderenfalls drohe das Land ein neues Somalia zu werden, in dem dschihadistische Gruppen ihr Unwesen treiben können, warnt sie. Die Dschihadkämpfer seien militärisch ausgebildet, hätten den Umgang mit Kriegswaffen gelernt und könnten sich Schläferzellen anschließen, befürchtet die Gewerkschaft.
Die tunesische Verfassung verbietet allerdings die Aberkennung der Staatsangehörigkeit – darauf wies auch Präsident Béji Caid Essebsi hin: „Man kann einen Tunesier nicht daran hindern, in sein Land zurückzukehren“, sagte er. „Aber natürlich müssen wir wachsam sein.“ Gleichzeitig könne auch nicht jeder Dschihad-Verdächtige ins Gefängnis gesteckt werden, „dafür haben wir nicht genug Gefängnisse“.
Empörung über Äußerungen
In Tunesien lösten diese Äußerungen Empörung aus. Am Samstag demonstrierten in Tunis hunderte Menschen „gegen Straffreiheit für Terrorgruppen“. Essebsis früherer Wahlkampfleiter Mohsen Marzouk, der inzwischen eine eigene Partei gegründet hat, warnte, „jeder zurückkkehrende Terrorist“ sei „eine Zeitbombe“.
Experten werfen der Regierung Zögerlichkeit im Umgang mit den Dschihadisten vor: Eine für 2015 geplante nationale Konferenz gegen den Terrorismus sei wegen politischer Flügelkämpfe bis heute immer wieder verschoben worden, sagt Politologe Meddeb. Und erst im November dieses Jahres wurde eine „Strategie zum Kampf gegen den Extremismus“ verabschiedet. Diese sei jedoch „ein großes Fragezeichen“, da ihr Inhalt bis heute nicht veröffentlicht wurde.
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