Sonntag2. November 2025

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Tauschen, Reste essen

Tauschen, Reste essen

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In Italien kommt gerade alles in Mode, was auch als nachhaltig gilt. Die Italiener nehmen Abschied von ihrer früheren Wegwerfmentalität. Die Krise ist nur ein Grund.

Ein Kilogramm Reis ist zum Tausch geboten. „Ich habe es als Geschenk bekommen“, schreibt Regine aus Casarile in der Lombardei auf einer Tauschplattform im Internet. Die Familie bevorzuge eine andere Reissorte. Darunter hat Regine Dinge aufgelistet, die sie im Gegenzug gern bekäme: Eine Waage, Kinderkleidung, Thunfisch in Dosen, Klopapier, Vollkornnudeln, Nüsse oder Honig. Ob sich dieses Tauschgeschäft rechnet und die Portokosten nicht den Warenwert übersteigen, bleibt dahingestellt.

Nur zum Teil ist die neue Sparsamkeit in Italien eine Antwort auf die Krise. Ein bisschen ist es Sport, ein bisschen Weltanschauung. Wer früher etwas auf sich hielt, warf alte Sachen weg – so zeigte man Wohlstand. Reste im Restaurant mitzunehmen galt als völlig undenkbar.

Sparen gehört zum guten Ton

Inzwischen ist Sparen hoffähig und gehört bei den Jüngeren sogar zum guten Ton. «www.iononspreco.it» – „ich verschwende nicht“ – heißt eine Internetseite mit Rezepten zur Verwertung von Essensresten und Tipps, die von der Handelskammer in Turin und der Region Piemont unterstützt wird. Studien zufolge werfe jeder Italiener jährlich 27 Kilo Essen weg, heißt es dort – die Initiatoren ziehen hier an einem Strang mit den Vereinten Nationen (UN), die sich ebenfalls gegen die dramatische Verschwendung von Millionen Tonnen Essen wenden.

Das Essen von Resten werde nicht als „elegant“ angesehen, räumt das Turiner Projekt ein. Viele schämten sich heute noch, übrig gebliebenes Essen im Restaurant einpacken zu lassen, sagt Mitarbeiterin Gaia Bacin. „Aber das Bewusstsein ändert sich.“ Auch Restaurants nähmen an dem Projekt teil, eines bietet Kochkurse zur Resteverwertung an.

Car-Sharing ist in

Unter dem Druck hoher Spritpreise erlebt neben Car-Sharing auch Radfahren in Italien eine Blüte. Die Zahl der zugelassenen Autos sank nach einem Bericht der Tageszeitung „La Repubblica“ vom Herbst mit gut 1,7 Millionen auf ein Rekordtief, zugleich wurde die selbe Zahl an Fahrrädern verkauft – so viele wie kaum je zuvor im nicht gerade radlerfreundlichen Italien. Auch Märkte für gebrauchte Kleidung, früher in Italien unüblich, gibt es zumindest in Rom inzwischen einige.

Auf dem Land ist Nachbarschaftshilfe wieder angesagt – im Tausch gegen Naturalien. Besitzer von Olivenhainen in der Toskana holen ihre Nachbarn zur Ernte – dafür bekommt der Helfer einen Teil des gepressten Öls. Die Menschen haben wieder Zeit für solche Dienste – schließlich sind mehr als elf Prozent arbeitslos, Tendenz steigend.

Tauschbörsen boomen

Wie in vielen Ländern boomen in Italien Tauschbörsen. Ein gebrauchtes Auto gegen eine Badrenovierung, Kindersachen gegen Esswaren, ein Ferienangebot gegen die Gestaltung einer Webseite, eine Stunde Yoga gegen eine Übersetzung – in Zeiten, in denen viele wenig Geld haben, erlebt Tauschhandel eine neue Blüte. Laut dem Kaufleuteverband Confesercenti-Swg kommen 41 Prozent der Italiener mit ihrem Geld nicht bis zum Monatsende aus.

Er wolle in der Krise neue Wege aufzeigen, aber auch eine andere Lebensphilosophie voranbringen, sagt der Gründer der Tauschplattform Baratto Matto, Luca Capponi. Der 35-Jährige Fotograf und Webdesigner aus San Remo in Ligurien hatte die Plattform vor einem Jahr eröffnet. „Es geht auch gegen den ungebremsten Konsum.“ Es sei wichtig, den Wert der Dinge zu verstehen und nicht alles wegzuwerfen. Er plant nun ein Buch. „Wir suchen jemanden, der sich oft mit Wiederverwertung und Tausch beschäftigt, um ein E-Buch mit Ratschlägen zu schreiben, das wir unseren Nutzern geben können“, wirbt er auf Facebook.

„Ich glaube nicht, dass das Tauschen Leuten wirklich aus der Krise hilft. In den letzten Jahren gibt es tatsächlich einen Anstieg. Aber dafür gibt es viele Faktoren“, sagt der Gründer der Plattform Zero Relativo, Paolo Severi, der in Pesaro ein Restaurant betreibt. In seinem Restaurant spürt Severi den Sinneswandel: Gäste ließen sich schon mal den Rest einer Pizza einpacken, die Doggiebox hält in Italien Einzug. Als guter Stil gelte das noch lange nicht. Severi meint: „Meine Großmutter würde so etwas nie tun.“