Störche können auch stören

Störche können auch stören
(Dieter Ebeling)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der Storch ist streng geschützt. Gemeinsam können sehr viele Störche aber auch Probleme machen. In Lothringen versucht ein Dorf deshalb, Störche aus dem Ortskern fernzuhalten.

Im Frühjahr waren die ersten Weißstörche ganz plötzlich da. Und dann landeten immer mehr im lothringischen 700-Seelen-Dorf Imling. „Im vergangenen Jahr hatten wir vielleicht zwei Nester, jetzt sind es 17“, sagt Bürgermeister Franck Becker.

Er schaut über die Saar, die sich als etwas größerer Bach malerisch am Rathaus vorbeischlängelt, und über den angrenzenden Teich. „Es gab hier immer ein paar Störche jenseits des Weihers. Aber jetzt haben sie erstmals beschlossen, sich mitten in der Gemeinde niederzulassen.“ 17 Storchennester in Imling bedeuten 34 Störche – die in den Nestern sitzenden Jungvögel nicht mitgerechnet. Und das bringt auch Probleme.

„Vielleicht etwas viel“

So viele Nester in einem kleinen Dorf seien „vielleicht etwas viel“, räumt Gérard Jouaville ein, Vorsitzender der Vogelschutzorganisation (Ligue pour la Protection des Oiseaux/LPO) des Départements Meurthe-et-Moselle. „Aber das wird sich alles auf ganz natürliche Weise lösen.“

Becker mag alleine auf die Selbstregelungskräfte der Natur nicht vertrauen. Von der 50 Kilometer entfernten Gemeinde Harprich weiß er, dass dort innerhalb eines Jahres die Zahl der Storchennester von 14 auf 25 stieg. „Die Invasion der Störche stört uns nicht, das sind ja schöne Vögel. Aber es muss unter Kontrolle bleiben. Die Störche können nicht überall diese Nester bauen. Das ist ein Problem.“

Rot-weiße Absperrgitter

Ein paar Schritte vom Rathaus entfernt hat sich ein Storchenpaar auf einem Strom- und Telefonmast eingenistet, direkt an der Straße und über dem ohnehin schmalen Bürgersteig. Ständig fielen irgendwelche größeren Äste herunter, sagt der Bürgermeister.

Aber auch das Abstürzen eines ganzen Nestes sei nicht auszuschließen. Zwischen 200 Kilo und einer Tonne wiege ein Storchennest: „Stellen Sie sich vor, das fällt einem Bürger auf den Kopf! Und ich bin der Verantwortliche.“ Um die Pfosten mit Nestern direkt an der Straße hat er erst einmal rot-weiße Absperrgitter aufstellen lassen.

Klimawandel bringt Leben der Vögel durcheinander

„Die Zahl der Störche hat sich in Lothringen in den vergangenen zehn Jahren vervierfach“, weiß Dominique Klein. Er gilt als der Storchenexperte schlechthin in der Region. Sein Leben verbringt er damit, Störche zu zählen und zu beobachten. Auf etwa 350 schätzt er die Zahl der Störche in Lothringen.

Die rasante Vermehrung der Störche hat nicht nur mit dem strikten Schutz der Tiere zu tun. Der Klimawandel hat das Leben der Vögel durcheinandergebracht. „Viele Störche ziehen heute im Herbst nicht mehr nach Afrika, sie bleiben in Südfrankreich, Spanien oder Nordafrika“, sagt Klein. Nur noch 20 bis 30 Prozent der Störche sterben im ersten Lebensjahr – vor ein paar Jahren waren es noch 60 bis 70 Prozent.

Störche verlieren bald ihr „Restaurant“

Die Störche von Imling haben den Ort besonders ins Herz geschlossen, weil es dort nicht nur viele Gewässer gibt. Sondern auch, weil im Nachbardorf Hesse eine offene Mülldeponie liegt. „Störche fressen praktisch alles“, hat Bürgermeister Becker gelernt. Aber dank einer EU-Verordnung muss die Deponie zum Jahresende geschlossen und abgedeckt werden: „Sie verlieren also ihr Restaurant. Die Experten glauben nicht, dass es im nächsten Jahr noch so viele Störche in Imling geben wird.“

Dann geht wohl auch das Licht seltener aus. Denn an Imling führt eine Hochspannungsleitung vorbei. Und schon fünf Mal in diesem Jahr hat ein nasses Storchennest für einen Kurzschluss der 20 000-Volt-Leitungen geführt.

Neue Nistplätze anlegen

In den Dörfern Imling, Hesse, Lorquin und im Westen der Stadt Sarrebourg bleibt es dann dunkel, bis ein Techniker aus dem 70 Kilometer entfernten Sarreguemines (Saargemünd) den Fehler gefunden hat. Bei Nacht kann das länger dauern. Versuche, mit langen Stangen auf den Masten den Bau eines neuen Nestes zu verhindern, bleiben oft erfolglos: „Störche sind sehr eigensinnig“, sagt Jouaville. In Südfrankreich hat der Stromversorger EDF schon Kabel für viel Geld unterirdisch verlegt, weil die Störche von den Hochspannungsmasten nicht zu vertreiben waren.

In Imling sollen die gefährlichsten Nester vor dem Winter, wenn die Störche fort sind, entfernt werden. Zugleich werden für 3.500 Euro fünf Masten errichtet, auf denen den Störchen für 2017 ein neuer Nistplatz angeboten wird. Jenseits des Weihers. Wenn Touristen nach Imling kommen, sollen sie die Vögel dort beobachten können. Ganz sicher und in aller Ruhe.