Staatsakt für Genscher

Staatsakt für Genscher
(AFP/John Macdougall)

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Beim Staatsakt für Hans-Dietrich Genscher in Bonn wurde nicht nur zurückgeschaut. Außer um seine Verdienste ging es auch um sein politisches Vermächtnis.

Er war ein Architekt der deutschen Einheit und zuletzt in Sorge um das geeinte Europa: Mit einem feierlichen Staatsakt hat die Bundesrepublik Deutschland von ihrem langjährigen Außenminister Hans-Dietrich Genscher Abschied genommen. In einem Zeremoniell, das Ministern nur selten zuteil wird, würdigte der Staat den verstorbenen Politiker am Sonntag in Bonn mit militärischen Ehren. Er sei ein „Titan unter den Diplomaten Europas“ gewesen, sagte sein einstiger amerikanischer Kollege James Baker.

Sein FDP-Parteifreund Klaus Kinkel betonte, das Vermächtnis Genschers seien das geeinte Europa, das transatlantische Bündnis mit den USA, aber auch gute Beziehungen zu Russland. „Als er bei öffentlichen Auftritten zum Schluss schon im Rollstuhl saß, hielt er noch flammende Vorträge zu seinem Europa, verbunden mit dem Wunsch des Neubeginns der Beziehungen zu Russland. Immer wieder wies er darauf hin, es müsse in diesem Kontext ein Szenario geschaffen werden, bei dem niemand als Verlierer dastehe.“

Europa nicht aufs Spiel setzen

Bundespräsident Joachim Gauck betonte ebenfalls, Genscher habe „buchstäblich bis zum letzten Atemzug“ dafür geworben, „das in Europa so glücklich und friedlich Erreichte nicht aufs Spiel zu setzen“. Gauck würdigte Genscher als einen „deutschen Patrioten und überzeugten Europäer“. In seiner „glücklichsten Stunde als Politiker“ habe er den DDR-Flüchtlingen in der Prager Botschaft der Bundesrepublik ihre Ausreise angekündigt.

„Die Wiedervereinigung war ganz stark das Werk Helmut Kohls und Hans-Dietrich Genschers“, unterstrich Kinkel. Er bezeichnete seinen Vorgänger als einen „Akteur der Weltpolitik“ und gleichzeitig als „Menschenfreund“ und „Brückenbauer“. „Er war ein Meister des Gesprächs“, sagte Kinkel. „Er prägte den Wandel vom Rüsten zum Reden.“

Zäh wie das Leder eines Cowboystiefels

Ex-Außenminister Baker stellte Genscher als einen der „besten Freunde Amerikas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“ heraus. Dabei räumte er ein, dass in der Regierung von Präsident Ronald Reagan zunächst die Meinung vorgeherrscht habe, „Hans-Dietrich Genscher stehe etwas zu weit links“. Darin habe man sich aber getäuscht. Genscher sei immer ein verlässlicher Partner gewesen – und gleichzeitig ein unermüdlicher Verhandlungsführer: „Er konnte zäh wie das Leder eines texanischen Cowboystiefels sein.“

Der 85 Jahre alte Baker erinnerte sich, Genscher sei nach der Wiedervereinigung in seiner Geburtsstadt Halle wie auch in anderen Städten der ehemaligen DDR „wie ein Rockstar“ gefeiert worden. Der evangelische Theologe und Publizist Friedrich Schorlemmer nannte Genscher den „fröhlichste(n) Hallenser aller Zeiten“. Zahllose Politiker seien von ihm nach Halle «geschleppt» worden, so dass die Stadt in Sachsen-Anhalt „weltberühmt“ geworden sei. Die Bodenhaftung habe Genscher trotz aller Höhenflüge nie verloren.

Beerdigung bei Bonn

Genscher war am 31. März im Alter von 89 Jahren gestorben. Aufgrund seiner besonderen Verdienste hatte der Bundespräsident einen Staatsakt angeordnet, wie er Ministern nur selten zuteil wird. Nach dem Ende des Zeremoniells sollte Genscher in seinem Heimatort Wachtberg bei Bonn im Familienkreis beigesetzt werden.