Sondermüll an der Fassade

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Ab dem 1. Januar 2017 dürfen in Luxemburg nur noch Passivhäuser gebaut werden. Dass das Isolationsmaterial Styrodur alles andere als nachhaltig ist, wird gerne verschwiegen. Die Rechnung dafür könnte gepfeffert ausfallen.

Etwas an der eigentlichen Problematik vorbei ging die Antwort von Umweltministerin Carole Dieschbourg („déi gréng“) auf eine rezente parlamentarische Anfrage von André Bauler (DP). Der wollte wissen, wieso beim Bau von Passivhäusern noch immer umweltschädliche Produkte zum Einsatz kommen.

Visiert ist dabei insbesondere das auf Erdöl – einem nicht erneuerbaren Rohstoff – basierende Styrodur. Es gilt wegen des beim Fassadenbau angewandten Verbunds mit Gewebematten und Fassadenputz bei der späteren Entsorgung eigentlich als Sondermüll, wird aus unerfindlichen (politischen?) Gründen aber nicht als solcher gelistet.
Der Putz enthält zudem Biozide, die ein Veralgen der Fassade verhindern sollen. Zudem ist das expandierte Polystyrol mit Flammschutzmitteln behandelt. Damit wird es schwer entflammbar, aber nicht unbrennbar. Bei Hausbränden zeigen sich die Fassaden teilweise sogar als Brandbeschleuniger. Erst vor kurzem wurde zumindest Styrodur mit gesundheitsbedenklichem Flammschutzmittel aus dem Verkehr gezogen. An tausenden von Fassaden ist es aber noch verbaut.

Kostenexplosion bei der Sanierung

Ihr Ministerium empfehle im Rahmen des „Prime House“-Förderprogramms für Passivhäuser, wie sie ab dem 1. Januar 2017 in Luxemburg Pflicht sind (Energieklasse A), mineralische und wiederverwertbare Dämmstoffe, so die Umweltministerin. Allerdings sei es den Bauherren überlassen, sich freiwillig für den einen (in der Anschaffung billigen) oder andere Dämmstoff zu entscheiden.

Auf die Kostenfrage der verschiedenen Stoffe bei einer Entsorgung im Rahmen von Fassadenerneuerungen ging Carole Dieschbourg nicht ein. André Bauler hatte in drastischen Worten vom „Risiko der Altersarmut“ gesprochen. Eine Entwicklung, die mittlerweile in Deutschland für viele, die ihre Hausfassade nach 20-25 Jahren erneuern müssen, zur bitteren Realität geworden ist.

Sondermüll

Dort wurde über eine vom Bundesrat beschlossene neue Vorschrift, die ab dem 1. Oktober gilt, altes Styrodur aus Fassadenrenovierungen umklassiert. Seither darf es nicht mehr mit dem Bauschutt beseitigt werden, sondern muss als das entsorgt werden, was es eigentlich schon immer war, nämlich Sondermüll. Wegen seiner hohen Energiedichte (durch das enthaltene Erdöl) und des enthaltenen Flammschutzmittels HBCD (Hexabromcyclododecan) kann das Alt-Styrodur nur in speziellen Anlagen verbrannt werden. In der Folge sind die Entsorgungskosten binnen eines Monats von bislang 200 auf 7.000 Euro/T explodiert. Den Handwerkern brechen die Aufträge weg, viele Kunden können sich eine Fassadensanierung finanziell nicht mehr leisten. Sollte auf dem Dach auch noch asbesthaltiges Eternit oder – bis in die 1990er Jahre weit verbreitete – Shingle (ebenfalls Sondermüll) liegen, ist das finanzielle Drama perfekt.

Dass das Verbauen von Styrodur alles andere als nachhaltig ist, wurde bislang kaum ernsthaft thematisiert. In Deutschland war es SPD-Bundesumweltministerin Barbara Hendrickx, die mit dem Mythos aufräumte, in Luxemburg will die DP offenbar für Klarheit sorgen. Am Rande der Debatte über die Reform der Rettungsdienste hatte der Abgeordnete Max Hahn bereits die Brandgefährlichkeit von Styrodur-Fassaden angeschnitten, nun legte also André Bauler nach.

Planungssicherheit wäre notwendig

Ob dabei die Sorge um fehlende Nachhaltigkeit im Vordergrund steht oder eher die, dass das Kernstück der DP-Umweltpolitik, die ominöse Klimabank, durch einen Federstrich aus dem Umweltministerium schwer hypothekiert werden könnte, bleibt dabei erst einmal offen. Das aktuelle Regelwerk in Luxemburg garantiert jedenfalls nicht die Planungssicherheit, die notwendig wäre für ein Land, das sich in Sachen Passivbau als Vorreiter darstellen will.
Eigentlich ist absehbar, dass auch Luxemburg nicht daran vorbeikommen wird, mittelfristig Styrodur als das einzuklassieren, was es wirklich ist. Zu der Prämie beim Einbau der Isolation wird es dann in 20 oder 25 Jahren wohl nochmals eine Prämie zur Fassadensanierung geben …? Styrodur möglichst rasch zu verbieten und das „Prime House“-Förderprogramm anzupassen, wäre nicht nur die bessere Nachhaltigkeitspolitik, es wäre auch intelligente Subventions- und Finanzpolitik.

Nicht durch Zufall haben in Deutschland – schon vor der rezenten Novellierung der Entsorgungsbestimmungen – zahlreiche Experten dafür plädiert, Styrodur zumindest im Neubau ganz zu verbieten.
Dass Umweltministerin Carole Dieschbourg immer für eine Überraschung gut ist, davon weiß man an der Mosel übrigens ein besonderes Liedchen zu singen. Aufgrund eines Reglements vom Oktober 2015 ist das Holz, das beim Aushauen von Weinbergen anfällt, als Abfall gelistet und darf nicht mehr vor Ort verbrannt werden – was von Experten empfohlen wird, um das Verschleppen von Rebkrankheiten zu verhindern. Wie genau die Entsorgung der alten Rebstöcke zu erfolgen hat, ist ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Reglements allerdings noch immer nicht geklärt …