/ Schön geredet oder endlich greifbar?

(Tageblatt-Archiv)
Das Projekt, neben Belval und der Hauptstadt ein drittes großes Zentrum im Norden des Landes zu entwickeln, ist ehrgeizig. Sechs Gemeinden sollen zu einem Ganzen verschmelzen und Gleiches wollen. Der Staat soll das Projekt fördern. „Wir reden hier von mehreren Millionen Euro, die investiert werden“, sagt Romain Diederich, seit sechs Jahren Chef des Landesplanungsamtes. 30.000 Menschen soll die Nordstadt einmal haben, das sind genauso viele wie im Ballungsraum Esch/Alzette heute wohnen. Neue und schon vorhandene Firmen sollen 20.000 Arbeitsplätze bieten.
2005 gibt es die erste Übereinkunft zwischen den Gemeinden Diekirch, Ettelbrück, Erpeldingen, Schieren und Bettendorf zur Zusammenarbeit. 2006 kommt die Gemeinde Colmar-Berg hinzu. Der Zentrumsgemeinde mit einem großen Arbeitgeber und dem Sitz der großherzoglichen Familie kommt sowohl wirtschaftliche als auch kulturelle Bedeutung zu. Ein „Comité politique“, in dem die Bürgermeister und Schöffen der beteiligten Gemeinden sowie Vertreter der Landesplanung sitzen, gründet sich bereits 2000. Präsidiert wird es derzeit von Umweltminister Marco Schank.
Was ist bis jetzt passiert?
Der im Jahr 2006 von einem deutschen Büro ausgearbeitete „Masterplan“ sieht neben der politischen eine gemeinsame Jugendarbeit vor und enthält Grundüberlegungen zur Mobilität. Der „Boulevard urbain“ wird darin zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber der Verkehrsachse Diekirch und Ettelbrück kommt zentrale Bedeutung zu. Immer wieder kamen auch Pläne auf, das Feuerwehrwesen in der „Nordstad“ zu einer Regionalfeuerwehr zusammenzulegen und eine neue Gewerbezone, genannt „Zano“, im „Fridhaff“ auf den Weg zu bringen.
Ganz zu schweigen von der Erweiterung der schulischen Angebote und einer neuen staatlichen Ackerbauschule. Sechs Jahre sind die Grundüberlegungen jetzt alt und haben die Nationalwahl 2009 sowie die Gemeindewahlen 2011 mit wechselnden politischen Mehrheiten überstehen müssen. Seitdem ist die Landesplanung statt im Innenministerium im „Superministerium“ Wiseler angesiedelt, und in fünf der sechs Gemeinden gibt es einen politischen Wechsel mit neuen Ansprechpartnern.
Rechtfertigung mit Vorzeigeprojekten
Ist das der Grund, warum in den Augen vieler vergleichsweise wenig passiert ist? Gast Jacobs, nach eigenen Angaben parteiloser Bürgermeister von Colmar-Berg und seit März dieses Jahres Co-Präsident des „Comité politique“, will das nicht gelten lassen. Jacobs zählt Vorzeigeprojekte auf, die zeigen, dass man zusammenwächst. Ein Nordstadt-„Comité technique“ säße derzeit daran, die einzelnen Bebauungspläne der jeweiligen Gemeinden zu sichten und auf Potenzial zu überprüfen. Das Projekt „E-Moving“, mit 30 Elektroautos und ebenso vielen Elektrofahrrädern im Carsharing-Modell, soll ab Ende des Jahres umweltfreundliche Mobilität garantieren. Die „Nordstadt-Energieberatung“ für umweltfreundliches Bauen und Renovierung berate über ökologische Bauweisen und staatliche Förderungen im Gebiet der Nordstadt. Das Nordstadt-Syndikat „Zano“, vor sechs Jahren gegründet, hat rund 40 Hektar Land am „Fridhaff“ für die neue Gewerbezone aufgekauft. Außerdem erarbeitet ein Gremium derzeit die Statuten für ein „Syndicat à vocation multiple“. Das neue Syndikat soll mit der in Luxemburg verhafteten Tradition brechen, sich auf kommunaler Ebene immer nur für ein Projekt zusammenzutun.
Klingt nach viel. Warum entsteht trotzdem der Eindruck, es sei nicht genug, nicht wegweisend? „Wir haben ein Wahrnehmungsproblem“, gibt Jacobs unumwunden zu und streicht Gegensätze hervor. „Wir haben keine roten Türme wie in Belval, mit denen wir für die Nordstadt werben können“, sagt er. Von brachliegenden Flächen wie im Süden sei man in der „Nordstad“ ebenfalls weit entfernt. Liegt es nicht vielmehr an den Gemeindegrenzen in den Köpfen, die nur schwerlich überwunden werden konnten und können? Sie sind sogar beim Landesplanungsamt als „Hemmschuh“ in einer frühen Phase der Nordstadt identifiziert worden. Die Renaissance der Kirchturmpolitik weist der Co-Präsident des Komitees ebenfalls weit von sich. „Früher hatte Colmar-Berg 800 Einwohner“, sagt er, „da hat man sich ganz klar von den umliegenden Dörfern und Städten abgegrenzt“. Heute zähle die Gemeinde 2.040 Seelen. Die Zugezogenen hätten andere Interessen. „Den Konkurrenzkampf zwischen den Dörfern gibt es so nicht mehr“, sagt Jacobs, „heute weiß jeder, dass wir zusammenarbeiten müssen, wenn wir weiterkommen wollen“.
Mitte von Ettelbrück wird umgebaut
Jetzt schiebt erst einmal der Staat an. Mitte November wollen Umweltminister Marco Schank und Transportminister Claude Wiseler die Gemeinden über die Pläne zum Umbau des Ettelbrücker Bahnhofs informieren. Ohne eine vernünftige Anbindung der „Nordstad“ an das Zentrum ist das Projekt für den Chef des Hauses nicht denkbar.
25 Millionen Euro wird es kosten, den Verkehr, der sich bis jetzt durch die Avenue J. F. Kennedy, die rue de la Gare und durch die rue Prince Henri im „Stop-and-go“ quält, unter die Straße in einen Tunnel zu verlegen. Noch einmal 25 Millionen Euro wird es kosten, einen neuen Bahnhof an der Stelle des alten zu bauen sowie einen „Park and Ride“ mit neuem Busbahnhof samt behindertengerechtem Übergang zu den Gleisen sowie ein Parkhaus einzurichten. Das Bahnhofsprojekt Ettelbrück steht in einer Reihe mit dem neuen Bahnhof in Belval und der gerade erst fertig gestellten Modernisierung des städtischen Bahnhofs.
„Wenn die Nordstadt echte Attraktivität entwickeln soll, brauchen wir eine vernünftige Mobilität“, sagt Claude Wiseler, „ohne die geht heute nichts mehr.“ Das sagt er auch im Hinblick auf die Ettelbrücker Bürgerinitiative, die sich gegen den Abriss des alten Bahnhofs gegründet hat. Diese Gegner hat er noch nicht ganz überzeugen können, da steht also noch Arbeit an.
Klar zu entnehmen ist seinen Worten aber die Entschlossenheit, dass nach Belval und der Hauptstadt jetzt die Nordstadt dran ist. „Die Nordstadt ist im Landesentwicklungsplan als drittes Entwicklungszentrum vorgesehen“, sagt Wiseler, „wir brauchen das – auch für unser Land“. Er will die staatlichen Prozeduren in diesem Fall so weit bringen, dass es noch vor den nächsten Wahlen 2014 im Gesetz verankert ist. Damit weiß er sich im Einklang mit weiten Teilen der Bevölkerung. „Wir investieren hier doch nicht 50 Millionen Euro gegen die öffentliche Meinung““, sagt Wiseler.
„Nordstad“ geht nicht vorwärts
Aussagen wie diese sind Wasser auf die Mühlen des Rathauses in Diekirch. Claude Haagen, LSAP-„deputé-maire“ von Diekirch, wird ungehalten, wenn es um die Nordstadt geht. Er kritisiert die Umsetzung des Projektes vor allem von staatlicher Seite aus. Das Wirtschaftsministerium verschleppe seit zwei Jahren die Unterschrift für die neue Gewerbezone „Zano“, das „Comité politique“ habe zu wenig Befugnisse und der neue Standort der Ackerbauschule sei Hohn in den Augen der Diekircher. Die Diskussionen über die Eisenbahnlinie zwischen der Stadt und Ettelbrück seien unerträglich, so lange man den Vorzug des öffentlichen Transportes preise.
Vorzeigbares habe man nicht wirklich zu präsentieren. „Ich halte nichts von unzähligen Studien, die wir den Leuten präsentieren“, sagt er, „sondern wir sollten endlich mit konkreten Projekten beginnen“. Seit acht Jahren scheitere die gemeinsame Feuerwehr mit neuem Gebäude nah an der Autobahn an der Finanzierung. „Das sprengt unsere Gemeindebudgets“, sagt er. Auch hier ließen staatliche Zusagen auf sich warten. Dass die Nordstadt neben Belval und der Hauptstadt stiefkindlich behandelt, gar zurückgestellt wurde, will niemand kommentieren. Die Vermutung, dass politisches Gewicht fehlt, bleibt. Man wünscht dem Projekt, dass sich das ändert. Sichtbar.
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