/ Schicksalsstunden für Tsipras-Regierung
Griechenland am Scheideweg: Für Verhandlungen mit den Europartnern über ein drittes Hilfspaket sind neue Spar- und Reformgesetze die Bedingung. Die Zeit drängt. Eine Parlamentsmehrheit in Athen galt vor der geplanten Abstimmung in der Nacht zum Donnerstag zwar als sicher. Es wurde aber damit gerechnet, dass es zahlreiche Abweichler unter den Abgeordneten der Regierungspartei Syriza geben wird.
Ministerpräsident Alexis Tsipras soll den Abgeordneten seiner Partei mit Rücktritt gedroht haben, sollten sie gegen das Sparprogramm stimmen. Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten tausende Menschen gegen die Auflagen, es kam zu Ausschreitungen von Autonomen (Link). Am Rande einer Demonstration von rund 12.500 Menschen auf dem Syntagma-Platz warfen junge vermummte Demonstranten Steine und Brandbomben auf die Polizei, die ihrerseits Tränengas einsetzte.
Abstimmung mit Verspätung
Die Debatte im Parlament am Mittwochabend und die Abstimmung begannen mit Verspätung. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung in Athen wurde erst deutlich nach Mitternacht erwartet. Innerhalb der linken und rechten Koalitionsparteien gab es Widerstand. Es wurde damit gerechnet, dass es zahlreiche Abweichler unter den Abgeordneten der Regierungspartei Syriza oder sogar aus den Reihen des rechtspopulistischen Koalitionspartners – der Unabhängigen Griechen (Anel) – geben wird.
Tsipras‘ Koalitionsregierung hat 162 Abgeordnete im Parlament mit 300 Sitzen. Syriza verfügt über 149 Sitze, der Koalitionspartner über 13. Allein zwölf Abweichler würden zum Verlust der Regierungsmehrheit führen.
In case of negative vote of Greek reforms plan tonight, the EU is ready with a new negotiator. #Greece pic.twitter.com/s0anQYBAtI
— Fabrizio Goria (@FGoria) 15. Juli 2015
Die Fraktionen der konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Opposition hatten aber ihre Zustimmung angekündigt und die Gemengelage damit etwas entschärft.
Tsipras ergreift das Wort
Tsipras, der kurz vor dem Votum noch einmal das Wort ergriff, soll zuvor den Druck auf die Abgeordneten seiner Partei erhöht haben. „Wenn ich eure Unterstützung nicht habe, dann wird es für mich schwierig sein, (auch) morgen Regierungschef zu bleiben“, zitierten ihn übereinstimmend griechische Medien. Vize-Finanzministerin Nadja Valavani hatte bereits aus Protest gegen die harten Einschnitte Konsequenzen gezogen: „Alexis, ich kann nicht mehr weitermachen“, schrieb sie in einem Rücktrittsbrief an Tsipras.
#Tsipras: „Mon choix était clair: accepter 1 accord ~terrible ou un défaut désordonné. Et un troisième choix. Le plan Schäuble: les deux.“
— Olivier Drot (@OlivierDrot) 15. Juli 2015
Beobachter rechneten damit, dass Tsipras andere Regierungsmitglieder entlassen könnte, die gegen das Reformpaket stimmen. Als Kandidat hierfür galt etwa Energieminister Panagiotis Lafazanis vom linken Syriza-Flügel.
17-stündiger Marathon
Die Euro-Länderchefs hatten sich am Montagmorgen nach hartem, mehr als 17-stündigem Ringen auf Bedingungen für das Hilfspaket verständigt. Der Umfang der weiteren Hilfe für Athen könnte bis zu 86 Milliarden Euro umfassen, wenn die Bedingungen vorher erfüllt werden.
Das vier Milliarden Euro schwere Sparpaket, für das sich Tsipras trotz eigener Vorbehalte am Dienstagabend in einem TV-Interview stark gemacht hatte, umfasst vor allem höhere Mehrwertsteuern und Zusatzabgaben für Freiberufler sowie Besitzer von Luxusautos, Häusern und Jachten. Ebenfalls enthalten: ein nahezu vollständiger Stopp aller Frühverrentungen.
Lesen Sie auch:
Es fliegen Brandflaschen und Steine
- Was Jugendliche im Internet treiben: Bericht zeigt Nutzungsverhalten auf digitalen Geräten - 8. Februar 2023.
- Kritik am FDC: Die „schmutzigen“ Investments des „Pensiounsfong“ - 7. Februar 2023.
- Ein Plan für mehr Naturschutz in Luxemburg - 3. Februar 2023.