Rückkehr zum Lulu-Platz

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Inspiriert von der Arabellion begannen vor einem Jahr Proteste in Bahrain. Die Forderungen der Demonstranten klangen für die Königsfamilie bedrohlich. Es gab Tote. Die Krise hält bis heute an.

Libyer, Ägypter, Tunesier und Jemeniten haben sich im vergangenen Jahr ihrer Herrscher entledigt. Auch in der Golfmonarchie Bahrain begannen im Februar 2011 Proteste. Es kam zu blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften. Doch die „Revolution des 14. Februar“ war eine Totgeburt. Ein Jahr danach sind die Demonstranten von einst tief frustriert. Der harte Kern der Protestbewegung nimmt den Jahrestag des Beginns der Proteste an diesem Dienstag zum Anlass, um die Staatsmacht erneut herauszufordern.

Die Polizei löste am Montag in Manama eine Kundgebung zum ersten Jahrestag mit Tränengas auf. Zuvor waren aus den Reihen der Demonstranten Brandbomben auf die Sicherheitskräfte geschleudert worden. Insgesamt beteiligten sich einige tausend Menschen an der Kundgebung, wie der Fernsehsender Al-Arabija berichtete.

Die „Perle“ wurde beseitigt

Der Slogan der Aktivisten lautet: „Rückkehr zum Lulu-Platz.“ Der Lulu-Platz im Zentrum der Hauptstadt ist der Ort, an dem die Proteste im Februar 2011 begonnen hatten. Das arabische Wort „Lulu“ bedeutet Perle. Doch das Monument mit der stilisierten Perle, das einst in der Platzmitte stand, gibt es nicht mehr. Um jede Erinnerung an die dramatischen Ereignisse von damals zu tilgen, wurde die Skulptur im vergangenen März zerstört. Der Platz wird rund um die Uhr von der Nationalgarde und Einsatzkräften des Innenministeriums bewacht. Nur Anwohner dürfen ihn passieren.

„Das Bild, das wir heute sehen, ist schwarz; es gibt wenig Hoffnung“, sagt der ehemalige Parlamentsabgeordnete Matar Ibrahim Matar (35). Er war im vergangenen Mai festgenommen worden. Drei Monate lang blieb er in Haft. Mit Bitterkeit blickt er zurück: „Ich wurde misshandelt. Die Hälfte der Zeit saß ich in Isolationshaft. Es war sehr schwer für mich.“

Matar gehört der schiitischen Wifak-Gesellschaft an, der größten Oppositionsgruppe des Landes. Die Wifak-Abgeordneten, die im Parlament 18 von insgesamt 40 Sitzen belegt hatten, traten Ende Februar 2011 aus Protest gegen die Polizeigewalt bei den Demonstrationen geschlossen zurück. „Wir saßen früher zwar im Parlament: Die Politik beeinflussen, das konnten wir aber trotzdem nicht. Deswegen ist es kein Verlust für uns, dass wir dort nicht mehr sitzen“, sagt Matar.

Konstitutionelle Monarchie

Begonnen hatten die Proteste in Bahrain mit der Forderung nach einer Umwandlung des Staates in eine konstitutionelle Monarchie. Das würde bedeuteten: An die Stelle des aktuellen Systems, in dem König Hamad bin Issa al-Chalifa die Regierung ernennt und alle wichtigen Entscheidungen trifft, träte eine Regierung, die von der Parlamentsmehrheit gebildet wird. Der König hätte dann, ähnlich wie in Spanien, vor allem repräsentative Aufgaben. Das würde jedoch für das Herrscherhaus einen enormen Machtverlust bedeuten, was nicht nur die Familie Al-Chalifa ablehnt, sondern auch die anderen arabischen Golfherrscher nicht wollen.

Denn der Konflikt in dem kleinen Inselstaat hat auch eine religiöse und eine geostrategische Komponente. Die Herrscherfamilie ist – wie auch die Monarchen aller anderen arabischen Golfstaaten – sunnitisch. Die Mehrheit der Einwohner von Bahrain bekennt sich jedoch zum schiitischen Islam. Sie fühlen sich bei der Vergabe von lukrativen Beamtenjobs und staatlichen Dienstleistungen diskriminiert. Einige radikale Angehörige des königstreuen sunnitischen Lagers sehen in ihren schiitischen Mitbürgern eine 5. Kolonne, deren Loyalität nicht dem Vaterland gilt, sondern dem schiitischen Regime im Iran.

Flottenstützpunkt

Noch komplizierter wird die Gemengelage dadurch, dass die 5. Flotte der US-Marine ihren Sitz in Manama hat. Die Amerikaner, die sich in Ägypten und Libyen auf die Seite der „Revolutionäre“ geschlagen hatten, agieren in diesem Konflikt sehr zurückhaltend. Außerdem befürchtet das Herrscherhaus des benachbarten Königreichs Saudi-Arabien, dass der Funken der Rebellion von Bahrain auf die Schiiten in der saudischen Ost-Provinz überspringen könnte. Dort liegen die größten bekannten Öl-Vorkommen der Welt. König Abdullah von Saudi-Arabien schickte deshalb, als die Proteste in Bahrain ihren Höhepunkt erreichten, 1000 Nationalgardisten ins Nachbarland.

Bahrain hat nicht so viel Öl wie Saudi-Arabien oder Kuwait und ist deshalb darauf angewiesen, sich als Dienstleistungszentrum zu positionieren. Das klappte bislang ganz gut. Die Formel 1 kam nach Bahrain. Der Immobiliensektor boomte. Doch die Unruhen haben Investoren verschreckt. Denn auch nachdem die blutigen Straßenschlachten beendet waren, die 30 Zivilisten und 5 Angehörige der Sicherheitskräfte das Leben kosteten, blieb es unruhig. In den Schiiten-Dörfern kommt es allwöchentlich zu Protesten. Mehrere meist jugendliche Demonstranten starben durch Tränengas. Kritische Journalisten werden drangsaliert.

Kein Dialog mit der Opposition

Das Herrscherhaus und die Regierung geben sich zwar größte Mühe, ihren Reformwillen zu demonstrieren. Und eine unabhängige internationale Kommission durfte die Menschenrechtsverletzungen während der Unruhen im vergangenen Jahr untersuchen. Doch einen Dialog zwischen den Königstreuen und der Opposition gibt es derzeit nicht. Und die Proteste gehen weiter. Am Sonntag wurde Seinab al-Chawadscha bei einer Protestaktion gegen den König festgenommen. Einen Tag später ordnete die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft für die junge Aktivistin an. Ihr Vater, der Menschenrechtsaktivist Abdelhadi al-Chawadscha war im vergangenen Jahr zu lebenslanger Haft verurteilt worden.