/ "Risse im russischen Machtsystem"
Russland erlebt die größten Anti-Regierungsproteste seit dem Machtantritt von Wladimir Putin vor mehr als zehn Jahren. Dabei sprechen viele von einer neuen Aufbruchstimmung und „Rissen im Machtsystem“. Einige Fragen und Antworten zur Lage in Russland:
Was soll mit den Anti-Regierungsprotesten in Russland erreicht werden?
„Die Demonstrationen laufen unter dem Motto ‚Für ehrliche Wahlen‘. Viele Menschen halten die Parlamentswahl vom 4. Dezember für die ’schmutzigste‘ seit dem Untergang der Sowjetunion vor 20 Jahren. Sie fordern daher Neuwahlen. Neben dieser Kernforderung wollen die Demonstranten den Rücktritt des kremltreuen Wahlleiters Wladimir Tschurow erreichen. Und auch Rufe nach einem Machtwechsel werden laut. Die Opposition will verhindern, dass Regierungschef Wladimir Putin 2012 in den Kreml als Präsident zurückkehrt.“
Sind Neuwahlen in Sicht?
„Kremlchef Dmitri Medwedew hat die auch international umstrittene Duma-Wahl als demokratisch bezeichnet. Neuwahlen lehnt er ab. Außerdem bereitet sich das Land bereits auf seine nächste große Wahl vor, die des Präsidenten am 4. März, nach der Putin wie schon von 2000 bis 2008 im Kreml regieren will. Zwar hat Medwedew als Zugeständnis an die Unzufriedenen noch eine Reihe von Initiativen zur Belebung des politischen Wettbewerbs begonnen. Unklar ist aber, ob diese umgesetzt werden und wann die neuen Spielregeln gelten.“
Wie geht die Machtführung mit den Massenprotesten um?
„Putin selbst vergleicht die Opposition mit den gesetzlosen Affen aus dem ‚Dschungelbuch‘ von Rudyard Kipling. Er wirft den Demonstranten vor, sich vom Westen bezahlen zu lassen. Allerdings lässt er erstmals Demonstrationen in dieser Größenordnung zu. In der Vergangenheit gab es bei ungenehmigten Kundgebungen für das Recht auf Versammlungsfreiheit immer wieder brutale Polizeigewalt und Festnahmen. Außerdem verspricht Putin eine bessere Kontrolle bei den nächsten Wahlen, etwa durch Web-Kameras in den Wahlbüros.“
Welche Reaktionen gibt auf Forderungen nach Putins Rücktritt?
„Sein Lager verweist darauf, dass Putin weiter vom Großteil der russischen Bevölkerung unterstützt wird. Auch Meinungsumfragen zeigen, dass Putin weiter der populärste Politiker des Landes ist. Gleichwohl hat sein Sprecher Dmitri Peskow angesichts der Kritik von Teilen der Gesellschaft einen ’neuen Putin‘ angekündigt. Auch die von Putin geführte Partei Geeintes Russland spricht von einem echten Reformwillen, im größten Land der Erde mehr demokratische Freiheiten zuzulassen. Ein Machtwechsel ist aber nicht in Sicht.“
Welche politischen Alternativen gibt es zu Putin?
„Die außer Putin zur Präsidentenwahl antretenden Kandidaten gelten als nicht mehrheitsfähig. Gemeint sind etwa etablierte Herausforderer wie Kommunistenchef Gennadi Sjuganow oder der Ultranationalist Wladimir Schirinowski. Die außerparlamentarische Opposition kann sich traditionell nicht auf einen gemeinsamen Bewerber einigen. Neu im Rennen um das Präsidentenamt ist der prominente Milliardär Michail Prochorow, der allerdings einen Angriff auf Putin vermeidet.“
Warum gelingt der zersplitterten Opposition keine Einigung?
„Bei den Massenprotesten gibt es sie, die Rufe nach einer Vereinigung der Opposition. Allerdings gehen die Ansichten und Ziele einzelner Gruppen mitunter weit auseinander. Erschwert wird die Lage aus Sicht von Politologen dadurch, dass Oppositionsparteien durch die bisherige Kremlpolitik kaum eine Chance auf Zulassung haben. Außerdem beklagen Regierungsgegner den fehlenden Zugang zum Staatsfernsehen sowie eine von der Machtelite kontrollierte Justiz, die Andersdenkende auf Schritt und Tritt behindere.“
Haben die Proteste eine Zukunft und Aussicht auf Erfolg?
„Der Opposition gelingt es erstmals überhaupt, so viele Menschen zu mobilisieren. Weitere Straßenproteste sind geplant, wenn auch womöglich erst, wenn die größte Kälte des russischen Winters vorüber ist. Motor ist die Enttäuschung vieler Russen über den Ausgang der Wahl, aber auch die Aussicht, noch lange weiter von Putin regiert zu werden. Die Hoffnungen vieler richten sich darauf, dass der Kreml die versprochenen Reformen für mehr Parteienvielfalt rasch umsetzt und vielleicht danach vorgezogene Neuwahlen unter den neuen politischen Spielregeln ansetzt.“
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