Ringen um Gewaltmonopol

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Seit Jahren tobt in Mexiko ein blutiger Drogenkrieg mit bislang mehr als 70 000 Toten. Im Südwesten des Landes haben Kartelle und Bürgerwehren quasi staatliche Strukturen geschaffen. Dem Staat droht sein Gewaltmonopol zu entgleiten.

Eigentlich wollte Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto alles ganz anders machen als sein Vorgänger. Felipe Calderón hatte im Kampf gegen die mächtigen Drogenkartelle die Streitkräfte aufmarschieren lassen. Peña Nieto kündigte hingegen kurz nach seinem Amtsantritt vor einem halben Jahr eine Strategie an, die auf soziale Entwicklung statt auf militärische Repression setzt.

Die guten Vorsätze haben nicht lange gehalten. Nachdem der Bundesstaat Michoacán im Südwesten Mexikos im Frühjahr völlig ins Chaos zu stürzen drohte, wusste sich der neue Präsident nicht mehr anders zu helfen: Ende Mai schickte er 6000 Soldaten und Hunderte Bundespolizisten in die Unruheprovinz.

Die Tempelritter herrschen

In der Region herrschen seit Jahren das pseudo-religiöse Kartell „Caballeros Templarios“ (Tempelritter) und deren Vorgängerorganisation „La Familia Michoacána“. Die Gruppe handelt mit Drogen, erpresst Schutzgeld und erhebt Steuern auf jede Art von wirtschaftlicher Aktivität.

Anfang des Jahres hoben die Tempelritter die Abgaben von zehn auf 15 Prozent an. „Wer nicht zahlen konnte, dem haben sie die Frauen und Töchter entführt“, berichten Bewohner der Region Tierra Caliente im Norden von Michoacán.

Bürgrewehren

Daraufhin griffen die Bauern zu den Waffen und gründeten Bürgerwehren. Sie errichteten Straßensperren, nahmen mutmaßliche Bandenmitglieder fest und hielten improvisierte Gerichtsverfahren ab. Dem Staat drohte sein Gewaltmonopol zu entgleiten.

„Die Regierung darf diese Gruppen nicht tolerieren“, sagt der Präsident der Nichtregierungsorganisation Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden, José Antonio Ortega. „Das wäre ein Eingeständnis der Machtlosigkeit des Staates.“

Rund 40 Tage nach dem Aufmarsch der Truppen herrscht in Michoacán angespannte Ruhe. Tag und Nacht patrouillieren schwer bewaffnete Soldaten und Bundespolizisten in der Region, die Mitglieder der Bürgerwehren tragen nun zumindest ihre schweren Waffen nicht mehr offen.

Wehren respektieren den Staat

„Wir akzeptieren die Autorität des Staates“, sagt der Chef der Bürgerwehr in der Ortschaft La Ruana, Hipólito Mora. „Wir beobachten, und wenn uns etwas auffällt, melden wir es den Soldaten oder der Polizei.“

Auch Oberstleutnant Jorge Alfredo Flores Bolaños von der 43. Militärzone spricht von einer guten Zusammenarbeit. „Unsere örtlichen Kommandeure stehen in ständigem Kontakt mit den Selbstverteidigungskräften“, sagt der Offizier.

Es sind Zweifel erlaubt

Die wortreich beschworene Kooperation darf jedoch getrost bezweifelt werden. Beim Versuch, die Bürgerwehren zu entwaffnen oder ihre Führer festzunehmen, kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen den selbst ernannten Gemeindepolizisten und den staatlichen Sicherheitskräften.

Ende Mai hielt die örtliche Bürgerwehr in der Ortschaft Buenavista Tomatlán eine Militärpatrouille mehrere Stunden in der Polizeiwache fest. Die peinlichen Fernsehbilder von den Soldaten hinter Gittern waren im ganzen Land zu sehen.

Experten warnen zudem davor, die Bürgerwehren könnten von den Kartellen unterwandert werden. So gibt es in Michoacán Hinweise darauf, dass sie von dem konkurrierenden Cartel Nueva Generación de Jalisco finanziert und ausgerüstet werden, um gegen die Tempelritter zu kämpfen.

Ein neuer Akteur

So sind die Bürgerwehren gleichzeitig eine Reaktion auf das organisierte Verbrechen und möglicherweise ein neuer Akteur in dem blutigen Konflikt zwischen den Kartellen und den staatlichen Sicherheitskräften.

„Sollte die Regierung dem Problem nicht Herr werden, droht eine Ausbreitung der Bürgerwehren im ganzen Land“, schreiben die Experten des Forschungsinstituts International Crisis Group in ihrer jüngsten Analyse. „Das dürfte zu mehr Gewalt und weiterem Schaden für den Rechtsstaat führen.“