Regierungsbildner Di Rupo unter Hochdruck

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Vor 14 Monaten fanden in Belgien Parlamentswahlen statt und erst jetzt beginnen erstmals ernsthafte Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung.

Alle Verhandlungsversuche waren bisher gescheitert, nicht zuletzt am Unwillen der flämischen Separatisten (N-VA), überhaupt zu einer Lösung zu kommen, die den Fortbestand des Königreiches gesichert hätte. Nach einer kurzen Sommerpause nahm Regierungsbildner Elio Di Rupo gestern seine Gespräche mit Vertretern der acht an den Verhandlungen beteiligten Parteien wieder auf.

Regierungsbildner Elio Di Rupo. (Foto: AFP)

Doch zuerst traf er gestern den amtierenden belgischen Premierminister, Yves Leterme, mit dem er gemeinsam den Staatshaushalt 2012 ausarbeiten muss. Am kommenden Freitag sitzen dann frankophone und flämische Sozialisten, Christdemokraten, Liberale und Grüne gemeinsam am Verhandlungstisch, zum ersten Mal seit dem 3. September 2011.

Der Einfluss der Finanzmärkte

Bisher war nicht klar, wer den Etat 2012 aufstellen sollte. Die geschäftsführende Regierung Leterme II oder die acht verhandelnden Parteien? Sollten die Verhandlungen über die Reform des belgischen Staates über den kommenden 10. September hinaus andauern, soll Leterme den Staatshaushalt 2012 schnüren, damit er so schnell wie möglich vom Parlament verabschiedet werden kann.

Darauf konnten sich Di Rupo und Leterme gestern schnell einigen, denn die Finanzmärkte haben Belgien ins Visier genommen. Während der dreiwöchigen Sommerpause der Politiker hat die europäische Schuldenkrise immer größere Ausmaße genommen. Das gilt auch für Belgien, das heute schon mehr Zinsen als vor einigen Wochen auf seine Staatsschuld zahlen muss. Nach dem Eingriff der Europäischen Zentralbank Anfang der vergangenen Woche hat sich die Lage zwar beruhigt, aber mit eigenen Maßnahmen darf auch in Belgien nicht mehr gezögert werden.
Die internationalen Finanzmärkte werden einen entscheidenden Einfluss auf den Fortschritt der Regierungsverhandlungen in Belgien haben. Doch ehe Staatshaushalt und sozialwirtschaftliche sowie finanzielle Maßnahmen in Angriff genommen werden, muss das leidige Problem Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) vom Tisch.

Dies ist der Kern der belgischen Staatsreform. Jahrelang hat es dafür keine Lösung gegeben und nun soll sie in wenigen Tagen vorliegen. Die Vorarbeit wurde in den Parteizentralen schon geleistet und Regierungsbildner Di Rupo träumt davon, dass die neue Regierung das Budget 2012 selbst aufstellt und im Oktober damit vors Parlament zieht. In Flandern zweifelt man daran, dass Di Rupo die frankofonen Liberalen (MR) zu einem BHV-Kompromiss wird überreden können, weil diese den Kartellpartner FDF Stimmen kosten kann.

Doch den Verhandlungstisch werden die Liberalen in Zeiten nervöser Finanzmärkte nicht verlassen können. Keine Partei kann das nach Ansicht des flämischen Finanzblattes De Tijd, weil keine die Schuld auf sich nehmen möchte, sollten die Finanzmärkte über Belgien herfallen. Fest stehe, dass die Belgier den Gürtel enger schnallen müssten. Um 17,5 Milliarden Euro müsse der Etat saniert werden und 10 Milliarden Euro könnten nach Meinung des Blattes Einnahmen, sprich Steuern, sein.

Zuerst kommt die Staatsreform

Gestern traf Regierungsbildner Di Rupo, nach seinem Gespräch mit Leterme, bereits zwei Parteivorsitzende zu bilateralen Gesprächen. Der Präsident der flämischen Liberalen, Alexander De Croo (Open VLD), fand es weiterhin in Ordnung, dass man erst die Staatsreform durchzieht, aber „wir müssen auch so schnell wie möglich Gespräche über den Haushalt 2012 von der geschäftsführenden Regierung übernehmen“.

Diese Haltung teilte die flämische sozialistische Parteivorsitzende, Caroline Gennez (SP.A). Sie fand es überhaupt und ganz allgemein „höchste Zeit, endlich an die Arbeit zu gehen“. Zuerst aber müsse der BHV-Stein aus dem Schuh. Man habe ausgemacht, dass erst der Wahlbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde geteilt und danach die sozial-wirtschaftlichen Reformen angegangen werden. „Der Druck hat in letzter Zeit nur noch zugenommen“, erklärte Gennez weiter, die damit nach dem Treffen mit Di Rupo erneut auf die Haltung der Finanzmärkte anspielte.

Heute führt der Regierungsbildner Gespräche mit Jean-Michel Javaux (Ecolo), morgen mit Charles Michel (MR), Laurette Onkelinx (PS) und Joëlle Milquet (CDH), übermorgen rundet er mit dem flämischen Grünen Wouter Van Besien seine bilateralen Gespräche ab. Am Freitag versammelt er die Vertreter aller acht Parteien um sich, 432 Tage nach den Parlamentswahlen.