Postfaktisch: Das Wort des Jahres 2016

Postfaktisch: Das Wort des Jahres 2016
(Susann Prautsch)

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Weil es in politischen und gesellschaftlichen Debatten zunehmend um Emotionen statt Fakten geht, ist das für diesen Trend stehende Kunstwort "postfaktisch" zum Wort des Jahres gekürt worden.

Auf Platz zwei der von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) am Freitag veröffentlichten Rangliste kam der „Brexit“, gefolgt von der „Silvesternacht“, der „Schmähkritik“ und dem „Trump-Effekt“. Mit der Wahl von „postfaktisch“ zum Wort des Jahres richte die Jury „das Augenmerk auf einen tiefgreifenden politischen Wandel“, erklärte die für die Aktion verantwortliche GfdS. I

Österreich
„Bundespräsidentenstichwahl-wiederholungsverschiebung“: So lautet das „Wort des Jahres“ 2016 in Österreich, das am Freitag bekannt gegeben wurde. Das Wortungetüm mit 51 Buchstaben landete in einer Umfrage unter 10.000 Personen auf dem ersten Platz. Der Zungenbrecher bezieht sich auf den längsten Wahlkampf in der Geschichte der österreichischen Demokratie: Eine erste Stichwahl im Mai war wegen Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung für ungültig erklärt worden. Nach der Annullierung der Wahl wurde ein neuer Termin für die Stichwahl im Oktober bekanntgegeben. Doch dieser wurde dann wegen fehlerhafter Klebestreifen bei den Umschlägen für die Briefwahl auf den 4. Dezember verschoben.

Immer größere Bevölkerungsschichten seien in ihrem „Widerwillen gegen ‚die da oben‘ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren“. Das deutsche Wort „postfaktisch“ lehnt sich an den englischen Begriff „post truth“ an. Mitte November hatte bereits die renommierte britische Wörterbuchreihe Oxford Dictionaries das Wort „post truth“ zum Wort des Jahres gewählt.

Das Ranking

Die Gesellschaft für deutsche Sprache wertete auch den „Brexit“ als einen „Triumph postfaktischer Politik“. In einem Referendum im Juni hatte sich eine Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union ausgesprochen. Mit „zum Teil gezielten Fehlinformationen“ hätten die Befürworter des Austritts den Unmut der Bevölkerung geschürt, erklärte die GfdS.

Auf Rang drei kam die „Silvesternacht“, die 2016 oft mit den massiven sexuellen Übergriffen von meist nordafrikanischen Tätern auf Frauen zum Jahreswechsel in Köln verbunden wird. Auf dem vierten Platz landete das auf den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan gemünzte „Schmähgedicht“ des ZDF-Moderators Jan Böhmermann. Erdogan hatte Strafanzeige gegen ihn gestellt, doch die Staatsanwaltschaft stellte später ihre Ermittlungen ein.

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten prägte auch aus Sicht der Sprachforscher dieses Jahr, weshalb sie den „Trump-Effekt“ auf den fünften Platz wählten. Dieser Begriff stehe für die vermuteten Auswirkungen des Wahlkampfs und des für viele überraschenden Ergebnisses. „Mit Diskriminierungen und wahrheitswidrigen Behauptungen“ habe der Milliardär Erfolg gehabt, erklärte die GfdS.

Den sechsten Platz belegten die „Social Bots“. Unter einem „Bot“, das sich vom englischen robot (Roboter) ableitet, wird laut GfdS ein Computerprogramm verstanden, das automatisch bestimmte sich wiederholende Aufgaben bearbeitet. In sozialen Medien kann damit Werbung oder auch politische Propaganda verbreitet werden.

Platz sieben ging an den Ausdruck „schlechtes Blut“, den der türkische Staatschef Erdogan für türkischstämmige deutsche Abgeordnete benutzt hatte, die der Armenien-Resolution des Bundestags zugestimmt hatten. Auf den Rängen acht und neun folgten „Gruselclown“ und „Burkiniverbot“.

Den zehnten Platz belegte der Satz „Oh, wie schön ist Panama“, der im Zusammenhang mit Enthüllungen über Briefkastenfirmen in Panama verwendet wurde. Die Wörter des Jahres wurden zum 41. Mal vergeben. Die Jury sucht dabei jeweils Ausdrücke, „die das zu Ende gehende Jahr besonders charakterisieren“. Im vergangenen Jahr war „Flüchtlinge“ gewählt worden.