Polen gefährdet seine Demokratie

Polen gefährdet seine Demokratie
(Jakub Kaminski/ dpa)

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Der Europarat sieht die Demokratie in Polen durch die umstrittene Reform des polnischen Verfassungsgerichts gefährdet.

Diese Reform lähme die Wirksamkeit des Gerichts und gefährde somit „nicht nur die Rechtsstaatlichkeit, sondern auch das Funktionieren des demokratischen Systems“, warnte die sogenannte Venedig-Kommission des Europarats in einem am Freitag veröffentlichen Gutachten.

Dem Gremium gehören anerkannte Verfassungsrechtler aus 60 Ländern an. Die auch in Polen heftig umstrittene Reform wurde Ende Dezember vom polnischen Parlament verabschiedet, das von der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dominiert wird.

Die Reform

Der Reform zufolge ist für alle Entscheidungen des Verfassungsgerichts eine Zweidrittelmehrheit notwendig statt wie bisher eine einfache Mehrheit. Zudem müssen bei wichtigen Entscheidungen mindestens 13 der 15 Verfassungsrichter anwesend sein, um ein Urteil fällen zu können – bisher reichten neun.

Außerdem müssen die Fälle der Reihe nach behandelt werden: Gesetze, die die Verfassung verletzen, können somit monatelang in Kraft bleiben, bis sie von den Verfassungshütern geprüft werden. Diese Vorgaben machten es unmöglich, dringende Fälle zu behandeln, das Verfassungsgericht würde so „ineffizient“, heißt es nun in der in Venedig angenommenen Stellungnahme der Kommission des Europarats.

Das polnische Verfassungsgericht hatte die Reform am Mittwoch als Verstoß gegen die Verfassung gewertet. Eigentlich ist die Regierung in Warschau verpflichtet, dieses Urteil im Amtsblatt zu veröffentlichen, damit es rechtskräftig wird.

Zehntausende protestierten

Regierungschefin Beata Szydlo kündigte jedoch bereits an, sie werde dies nicht tun – wogegen Zehntausende polnischer Bürger bereits protestiert haben. Die Venedig-Kommission forderte die Regierung in Warschau nun auf, „auf der Basis der Rechtsstaatlichkeit eine Lösung zu finden, welche das Urteil des Verfassungsgerichts respektiert“.

Das Urteil müsse im Amtsblatt veröffentlicht werden. Wenn dies nicht geschehe, werde die „Verfassungskrise in Polen noch weiter vertieft“, warnten die Juristen. Der stellvertretende polnische Außenminister Konrad Szymanski kritisierte die Stellungnahme des Expertengremiums.

Chance vertan

Die Venedig-Kommission „hätte eine Rolle spielen können, um die Verfassungskrise zu beenden“, erklärte er am Freitag. Dies habe sie nicht getan. Damit sei „eine Chance vertan worden“. Zu der Sitzung in Venedig waren auch mehrere Vertreter der polnischen Regierung eingeladen worden, unter ihnen Szymanski.

Die Regierung in Warschau hatte das Gutachten bereits vor der offiziellen Verabschiedung als „politisch beeinflusst“ kritisiert. Sie reagierte damit auf die Veröffentlichung von Auszügen aus dem Entwurf durch die polnische Presse.

Prüfung der Rechtsstaatlichkeit

Das Gutachten der Venedig-Kommission wurde auch von der Europäischen Union mit Spannung erwartet. Die amtierende niederländische EU-Ratspräsidentschaft hat wegen der Schwächung des Verfassungsgerichts und anderer umstrittener Gesetze ein Verfahren zur Prüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet.

Dies ist eine Premiere in der Geschichte der EU. Mehrere Europaabgeordnete forderten die Regierung in Warschau auf, Konsequenzen aus der Kritik der Venedig-Kommission zu ziehen. Nötig sei nun eine „breite Debatte unter Einbeziehung aller Institutionen in Polen“, betonte die SPD-Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann. Auch der Europaabgeordnete der Grünen, Reinhard Bütikofer, forderte die Regierung zum Umdenken und zum Dialog mit der polnischen Demokratiebewegung auf.