/ Parlamentswahl im Zeichen der Politikverdrossenheit

Die Wahl findet zu einem Zeitpunkt statt, da das nordafrikanische Land wegen gesunkener Ölpreise eine schwere Finanzkrise durchmacht. Der Groll in der Bevölkerung über soziale Missstände, Korruption und nicht gehaltene Versprechen durch die Staatsführung ist groß.
Mehr als zwei Millionen Algerier klickten ein vor wenigen Tagen bei YouTube veröffentlichtes Video an. Darin wirft ein Landsmann der Regierung vor, ihre Zusagen für eine bessere Gesundheitsversorgung und die Behebung der Wohnungsnot nicht gehalten zu haben. Während des Wahlkampfs riefen staatliche Stellen fortwährend dazu auf, massiv zu den Urnen zu gehen. Algeriens Stabilität stehe auf dem Spiel, hieß es.
Die Prediger in den Moscheen wurden aufgefordert, die Botschaft an die Gläubigen weiterzugeben. Ähnlich äußerte sich der seit 1999 autoritär regierende Staatschef Abdelaziz Bouteflika, der nach einem Schlaganfall 2013 im Rollstuhl sitzt und kaum noch öffentlich auftritt. In einer am Samstag in seinem Namen verlesenen Erklärung hieß es, eine hohe Wahlbeteiligung sei von entscheidender Bedeutung, damit das Land „stabil“ bleibe.
Kein Geld mehr in der Staatskasse
Ministerpräsident Abdelmalek Sellal forderte die mit den Zuständen unzufriedenen Menschen auf, „geduldig zu sein“. In der Staatskasse gebe es „kein Geld mehr“, sagte er vor kurzem in einer Rede. 2011 machten hohe Erdöl- und Erdgaseinnahmen noch Erhöhungen bei Einkommen und Zuschüssen möglich. Parallel dazu begegnete die Regierung Protesten im Zuge des „Arabischen Frühlings“ mit scharfer Repression.
Ab 2014 setzten infolge des Einsturzes der Rohölpreise jedoch Steuererhöhungen ein. Der angekündigte Bau von Wohnungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen blieben aus. Dringendstes Problemen bleibt die hohe Arbeitslosenzahl. In Algerien mit seinen 40 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte unter 30 Jahre alt ist, hat jeder dritte junge Mensch keine Arbeit.
Die aufwändige Werbung durch Bouteflikas ehemalige Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) und ihren langjährigen Koalitionspartner Sammlungsbewegung für Demokratie (RND) von Bouteflikas Kabinettschef Ahmed Ouyahia vermochte das Wahlvolk kaum von den Stühlen zu reißen. In Medienberichten hieß es, bei den Algeriern stoße die Präsidentschaftswahl in der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich auf mehr Interesse als die im eigenen Land.
Islamisten größte Oppositionskraft
Allgemein wird damit gerechnet, dass Bouteflikas FLN, die seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1962 an der Macht ist, ihre Mehrheit im Parlament behalten wird. Bei der Parlamentswahl 2012 kam die FLN-Partei auf 221 Sitze, ihr Juniorpartner RND auf 70.
Die Islamisten, die im bisherigen Parlament über 60 Mandate verfügten, sind die größte Oppositionskraft. Sie treten mit zwei größeren Bündnissen an. Eigenständig bewirbt sich die an der derzeitigen Regierung beteiligte islamistische Sammlungsbewegung der Hoffnung für Algerien (TAJ). Sie wird vom ehemaligen Minister für öffentliche Arbeiten und entschiedenen Bouteflika-Unterstützer Amar Ghoul geführt.
Weitere Bewerber sind die säkulare Sammlungsbewegung für die Kultur und die Demokratie (RCD) sowie die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS). Die FFS hatte bereits an der vorherigen Parlamentswahl teilgenommen, während die RCD zum Boykott aufgerufen hatte. Beide Parteien setzen sich für die Rechte der Berberminderheit ein. Für die 462 Sitze in der Nationalversammlung bewerben sich 12.000 Kandidaten. 23 Millionen Menschen sind als Wähler registriert.
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