Paris lächelt wieder

Paris lächelt wieder
(AP)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ein dreitägiger Ausnahmezustand, wie Paris ihn bisher noch nicht gekannt hat, hat am Freitag ein brutales Ende genommen. Die Anschläge hatten die Wucht einer Bombe.

Paris befand sich in einer Art Schockstarre seit den Schüssen auf die Charlie-Hebdo-Journalisten am letzten Mittwoch. Es war ein Zustand zwischen tiefer Trauer, Angst und Ungewissheit. Am gestrigen Sonntag wurde der Opfer der terroristischen Anschläge mit einer „marche républicaine“, zu der neben geschätzten 1,5 Millionen Teilnehmern und französischen Politikern auch internationale Gäste, darunter Premierminister Xavier Bettel und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angereist waren, gedacht.

Charlie Hebdo ist, wie Satire sein soll: rotzig, frech, gnadenlos. Dafür wurden die Charlies leidenschaftlich gehasst und gerade deswegen ist das, was man nun beobachten kann, beispielslos: Es sind Momente des nationalen Zusammenhalts um ein mit einer Auflage von 75.000 Stück (200.000, wenn die Wellen hochschlugen) eigentlich ziemlich marginales Blatt.

Frankreich und die Weltöffentlichkeit nehmen Anteil. Kulturministerin Fleur Pellerin versicherte sogar, man werde sich schnellstmöglich um eine Million Euro bemühen, um Charlie wieder neues Leben einzuhauchen.

Frankreich beweist Größe

Es sind aber auch Augenblicke einer völlig neuen Vertrauenssituation. Und das sogar zwischen sonst eher verfeindeten Lagern: Zu keinem Zeitpunkt haben die Journalisten die Kompetenz der Polizei und der Einsatztruppen angezweifelt. Sie ließen keinen Zweifel an ihrer vollen Unterstützung aufkommen. Alle haben an einem Strang gezogen. In seinen Grundfesten erschüttert, beweist Frankreich im entscheidenden Augenblick Größe.

Seit letzten Mittwoch in der rue Nicolas Appert der erste Schuss fiel, gefolgt von dem Angriff auf Polizisten in Montrouge und der Geiselnahme in Vincennes, herrschte stille Leere in Paris. Das Geschehene war allgegenwärtig, bedrückend und verstörend. Sogar die üblichen Musik- und Spielesendungen fielen am Abend aus. Auf allen Kanälen und in aller Munde nur Charlie und die Geiselnahme. Das Leben in der Großstadt schien plötzlich stillzustehen, ausgebremst von einer noch nie da gewesenen Trauersituation. Auch Argwohn konnte man spüren. Nun, da alles vorbei ist, kehrt wieder etwas Leben ein.

Als wir am Sonntag zur Place de la République zum Treffpunkt der „marche républicaine“ fahren, füllt sich die Metro nur zaghaft. Châtelet: ruhig. Opéra: ruhig. Das übliche Gedränge fällt aus. Man vermisst es fast.

Wir machen noch einmal in der rue Nicolas Appert Halt. In der kleinen Nebenstraße ist es trotz der internationalen Kamerateams unglaublich still. Man hört nur das entfernte Pulsieren des Boulevard Richard Lenoir. Manche blicken ungläubig in Richtung Redaktion. Ein Polizist bewacht die Absperrung. Er ist unbewaffnet. Lächelt. Die Fassade an der Straßenecke ist mit bunten Gedenkzetteln beklebt. Wir laufen weiter. Es ist 13.30 Uhr. In den Cafés und Restaurants kehrt wieder Leben ein. Nur der Winterschlussverkauf – er begann, als bei Charlie Hebdo die Schüsse fielen – will nicht so richtig anlaufen, meint eine Verkäuferin.

Trotz des Nieselregens scheint die Sonne. Das ist ganz bezeichnend für die besondere Stimmung an diesem Tage. Vorgestern herrschte in Paris noch gähnende Leere.

Heute ist Paris ganz plötzlich wieder voll. So sieht es aus, wenn eine ganze Stadt in eine Richtung läuft. Aus allen Nebenstraßen strömen Menschenmengen auf die großen Hauptachsen. Alle bewegen sich von République nach Nation. Es geht über zwei Wege: über den Boulevard Voltaire, benannt nach dem großen Philosophen der Aufklärung, oder über die Avenue de la République.

Beide Wege und ihre Nebenstraßen sind bald völlig dicht. Die Place de la République ist voll, die Place de la Nation am Ende des Gedenkumzugs noch viel voller.

Die Franzosen sind besonders gut in der Disziplin „mouvement social“. Aber das hier ist etwas anderes. Herausgerissen aus dem Vertrauen, manche Dinge seien unantastbar, hält Paris heute die Freiheit hoch. Obwohl dann und wann geklatscht wird und „Liberté“-Rufe den Umzug begleiten, ist es ein stiller Marsch.

Drei Kilometer Fußmarsch als Plädoyer für eine freiheitliche Gesellschaft.

Ein Angriff auf die Aufklärung

Es geht vorbei an Haussmannschen Fassaden, über majestätische Boulevards. Auf dem Boulevard Voltaire wird eines immer klarer: Das Geschehene ist nicht nur eine menschliche Tragödie. Es tangiert die Fundamente unseres Selbstverständnisses als freie Menschen. Die Anschläge haben die Kulturnation Frankreich mitten ins Herz getroffen. Es waren Anschläge auf die Integrität der europäischen Aufklärung, die ihre Wiege im Frankreich des 18. Jahrhunderts hat. Sie ist die Basis der Republik Frankreich, der Menschenrechte, der Presse- und Meinungsfreiheit, die hier empfindlichst getroffen wurden. Die Frage lautet nun: Mit welchen Mitteln wird man diese Freiheiten verteidigen?

Dass sich diese Frage während der „marche populaire“ alle stellten, haben wir gespürt. Dass die Verletzung tief greift, auch. Da ist immer noch Verstörung. Und Wachsamkeit. Vielleicht auch eine leichte Nervosität. Man weiß nicht so recht, ob „Es“ jetzt vorbei ist.

Aber wir sehen auch eins – wenn auch zaghaft und vorsichtig: Paris lächelt wieder.