„Nichts funktioniert hier mehr“

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(AFP)

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Die Bewohner der Region Venetien haben sich in einer Abstimmung mehrheitlich für die Abspaltung von Italien und die Gründung eines unabhängigen Staats ausgesprochen.

Die Abstimmung hat keine rechtliche Bindung – wohl aber einen hohen Symbolcharakter: Als das Ergebnis am Freitagabend in Padua verkündet wurde, brachen hunderte Unabhängigkeitswillige in Jubel aus und schwenkten venezianische Flaggen. Seit Montag waren die 3,8 Millionen Wahlberechtigten aufgerufen, darüber abzustimmen, ob ihre Region unabhängig werden soll. Insgesamt 73 Prozent kamen dem Aufruf der örtlichen Parteien, die die Abstimmung organisiert hatten, auch nach. Von ihnen stimmten 89 Prozent mit „Ja“ und elf Prozent mit „Nein“.

Zu der Region gehören neben Venedig unter anderem die Städte Treviso, Vicenza und Verona. Rechtlich hat die Abstimmung keine bindende Wirkung, sie zeigt aber den Rückhalt der Bevölkerung für ein offizielles Referendum. Voraussetzung für eine solche Volksabstimmung wäre nun zuerst, dass der Regionalrat zustimmt, dann will die Regionalregierung ihr Vorhaben ins Parlament in Rom einbringen.

Historisches Vorbild Venedig

Der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia von der rechtspopulistischen Lega Nord, hatte zwar schon am Mittwoch eingeräumt, dass die Zentralregierung das Ganze dann möglicherweise als „nicht verfassungskonform“ einstuft. „Aber dagegen wird die Region Berufung einlegen“, sagte er, so lange, bis Venetien am Ziel sei.

Befürworter der ersehnten eigenständigen Republik berufen sich auf das historische Vorbild der Republik Venedig – ein wirtschaftlich und kulturell bedeutendes Handelszentrum mit Venedig als Hauptstadt. Sie existierte vom rund siebten bis zum 18. Jahrhundert und wurde erst 1797 von Napoleon zu Fall gebracht. Italiener aus anderen Landesteilen halten das Vorhaben hingegen für „kompletten Wahnsinn“ – auf der Online-Plattform Twitter lieferten sich Unabhängigkeitsverfechter hitzige Debatten mit ihnen.

Ähnliche Bestrebungen in Europa

Regionalpräsident Zaia hatte bei seiner Pressekonferenz aber auch ganz aktuelle Gründe für das Bestreben seiner Region angeführt. „Rom denkt, dass es immer noch an der Spitze eines Kaiserreichs steht und betrachtet uns als Vorort dieses Reichs.“ Die Menschen in Venetien dienten nur als Steuerzahler, sagte er und betonte, dass mehr als die Hälfte Italiens bankrott sei, Venetien aber mit keinem einzigen Cent verschuldet. Der Regionalregierung zufolge zahlt Venetien 21 Milliarden Euro mehr an Rom, als es von dort an Zuwendungen bekommt.

Zaia schaut auch aufmerksam auf ähnliche Bestrebungen in Europa – unter anderem in Katalonien und in Schottland, wo im September ein Volksentscheid zur Unabhängigkeit stattfindet. Venetien könne das genauso gut. „Wir haben höflich an die Tür des Föderalismus geklopft, aber sie hat sich nicht geöffnet“, sagte er vor kurzem der Zeitung „Liberoquotidiano“. „Nun schlagen wir sie ein.“ Er sieht außerdem das internationale Recht auf seiner Seite.

Heftige Kritik

Für die Partei Unabhängiges Venetien, die das Online-Referendum unterstützt hatte, spielt vor allem auch die Unzufriedenheit der Bürger mit der Politik in Rom eine Rolle. Sie werfen der Führung Unfähigkeit im Kampf gegen Korruption und die Wirtschaftsflaute vor. „Wir wollen nicht länger zu einem Land gehören, das gegen die Wand fährt“, sagte Parteimitglied Nicola Gardin. „Nichts funktioniert hier mehr.“