Neuer Präsident – alte Probleme

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Tunesien gilt als Vorbild für die arabische Welt. In freien Wahlen wurden ein Parlament und nun ein Präsident bestimmt. Doch die junge Demokratie steht vor Entscheidungen, die große Risiken bergen.

Bei einer Botschaft sind sich selbst die Rivalen einig. „Tunesien hat gewonnen“, resümieren säkulare und islamistische Politiker am Tag nach der Präsidentenwahl in Tunesien unisono. Die Abstimmung am Sonntag stand am Ende einer Phase der Demokratisierung des nordafrikanischen Landes, die nach der Jasminrevolution vor vier Jahren eingeleitet worden war. Heute gilt Tunesien als Hoffnungsträger in der von Konflikten gebeutelten arabischen Welt mit einer modernen Verfassung, einem freigewählten Parlament und nun auch einen neu gewählten Präsidenten.

Am Montag gab die Wahlkommission den Sieg des langjährigen Regierungspolitikers Béji Caïd Essebsi bekannt. Er kam im vorläufigen Ergebnis auf 55,68 Prozent der Stimmen. Sein Gegner Moncef Marzouki, der bisherige Übergangspräsident, erhielt 44,32 Prozent.

Soziale und wirtschaftliche Lage bleibt weiterhin angespannt

Schon jetzt ist klar: Die neue Führung wird nicht lange bestehen, wenn sie nichts gegen die wirtschaftlichen und sozialen Probleme tut. Denn die Lage der sozial Schwachen hat sich seit Dezember 2010, als sich ein junger Straßenhändler aus Verzweiflung selbst anzündete, eher noch verschlechtert.

Schätzungsweise 15 Prozent der rund elf Millionen Tunesier leben in Armut. Fast täglich gibt es Streiks. Die Arbeitslosigkeit ist gerade unter jungen Tunesiern hoch. Laut lokalen Medien boykottierten viele von ihnen die Wahlen. Gutverdiener – wie Anwälte oder Ärzte – zahlen häufig ihre Steuern nicht. Die Staatskassen sind leer, selbst die Auszahlung der Beamtengehälter war zeitweise gefährdet.

IWF fordert Streichung von Subventionen

Eine rasche Lösung ist nicht in Sicht. Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank dringen auf mehr Wettbewerb und die Streichung von Subventionen – zum Beispiel auf Strom und Benzin. Diesen Forderungen wird die künftige Regierung wohl nicht so schnell nachkommen, glaubt der Tunesien-Experte der globalen Risikounternehmensberatung Control Risks, Geoffrey Howard. „Wenn zum Beispiel die wichtigsten Posten angegangen würden – wie Subventionen oder öffentliche Gehälter – würde man eine massive Destabilisierung riskieren“, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Auch politisch gibt es Zündstoff. Der tunesische Historiker Adel Ltifi schreibt in einem Beitrag für das Netzwerk arabischer Analysten, Arab Reform Initiative, von einer zunehmenden Polarisierung zwischen den modernen und den traditionellen Kräften im Land. Der Erfolg der jungen Allianz Nidaa Tounes bei der Parlamentswahl im Oktober stehe für eine Entscheidung der Tunesier für den modernen Nationalstaat und gegen den politischen Islam. Aus der ersten freien Wahl 2011 war noch die islamistische Ennahda als stärkste Kraft hervorgegangen.

Control-Risks-Analyst Howard sieht in der Dominanz der Nidaa Tounes ein gewisses Risiko. Da deren 88-jähriger Vorsitzender Essebsi nun Präsident wird, kommt viel Macht in die Hände eines einzigen politischen Blocks. Sollte die Ennahda – heute zweitstärkste Fraktion im Parlament – im politischen Prozess ausgeschlossen werden, drohe die Lage sehr kritisch zu werden, sagt er. „Die Kluft zwischen Islamisten und Säkularen könnte sich weiter vergrößern, was islamistische Extremisten wiederum zu mehr Gewalt animieren würde.“ Schon jetzt gibt es regelmäßig Anschläge und Übergriffe von Dschihadisten auf Militär und Polizei.