/ Netzfreiheit in Gefahr?

Im schlimmsten Fall drohen wahre Horrorszenarien. Womöglich wäre es mit dem anonymen Surfen auf dem Internet bald vorbei. Ausländische Websites könnten nur gegen Extra-Gebühren angesteuert werden. Statt einer internationalen Nonprofit-Agentur würden Staaten die Web-Adressen regulieren. Und wenn sie es wollten, könnten Regierungen Websites kurzerhand abstellen.
Solche verheerenden neuen Regeln könnten im bisher freien Internet einziehen, falls sich an der Konferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) in Dubai die restriktivsten Vorschläge durchsetzen. Dort sitzen seit Montag Regierungsvertreter aus 193 Staaten zusammen, um innert elf Tagen Vereinbarungen zur grenzüberschreitenden elektronischen Kommunikation zu treffen. Verfechter der Netzfreiheit befürchten, dass sich die ITU an ihrer ersten Konferenz seit 1988 des Internets bemächtigen könnte.
„USA für Freiheit im Netz“
Damit würde sich die zur Uno gehörende Organisation viele Feinde schaffen. Allen voran setzen sich die USA für die Beibehaltung der bisherigen Freiheitlichkeit im Netz ein. Unterstützt – und angespornt – wird Amerika von seinen mächtigen Internet-Konzernen, deren Geschäftsmodelle vom gebührenfreien Netzverkehr abhängen. Google hat zu diesem Zweck die Webseite „Take Action“ eingerichtet, wo über die Gefahren informiert und Unterschriften gesammelt werden.
Zu den engagiertesten Kämpfern für die Netzfreiheit zählt Googles „Internet Evangelist“ Vint Cerf. Der sonst als zurückhaltend bekannte Miterfinder der technischen Internet-Protokolle hat für die Kontrollabsichten der Regierungen und der staatlichen Telekom-Unternehmen nur Hohn übrig. Sie bewiesen bloss, wetterte Cerf gegenüber Reuters, „dass diese Dinosaurier mit ihren erbsengroßen Gehirnen nicht herausgefunden haben, dass sie tot sind, weil das Signal noch nicht ihre langen Hälse hochgewandert ist.“
Alle Inhalte gleichberechtigt
Die Internet-Konzerne und die meisten westlichen Industriestaaten wollen die freiheitliche Verfassung des Internet beibehalten. Gegenwärtig sind auf dem Netz alle Inhalte gleichberechtigt, und das Internet reguliert sich in Eigenregie über die international zusammengesetzte Nonprofit-Agentur Icann, die ihrerseits dem US-Handelsministerium untersteht.
Eine Änderung der geltenden Ordnung verlangen die Entwicklungsländer. Ihnen fehlt das Geld zur Errichtung einer Breitband-Infrastruktur, und sie hoffen, mit Zahlungen seitens der Internet-„Sender“ den Anschluss an die moderne Netzwelt zu schaffen. Eine Grundlage für solche Ausgleichszahlungen schufen Europas Telekom-Unternehmen in einem dieses Jahr veröffentlichten Bericht. Darin schlugen sie vor, dass sich Google, Facebook, Netflix und andere große Inhaltslieferanten finanziell an den von ihnen verursachten Übertragungskosten beteiligen sollen. Europas Regierungen distanzierten sich später jedoch von dieser Idee.
Anonymität beim Surfen in Gefahr
Autoritäre Regierungen versuchen, das Internet ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Von 17 arabischen Staaten stammt der Vorschlag, die Anonymität beim Surfen abzuschaffen und ein Register zu erstellen, worin die Eigentümer aller Geräte mit IP-Adressen gespeichert wären. Nach den Vorstellungen Russlands soll jedes Land auf seinem Rechtsgebiet das Internet nach Gutdünken regulieren können. Worauf das hinausliefe, wurde vergangene Woche klar, als sich die russische Regierung mit einem neuen Gesetz das Recht gab, kinderschädigende Webseiten ohne richterliche Aufsicht abzuschalten. Der Verdacht ist berechtigt, dass das Gesetz auch gegen Web-Auftritte von Oppositionsparteien eingesetzt werden kann.
Die meisten Eingaben der Konferenz sind geheim. Bekannt sind bloss Dokumente, die Aktivisten auf der Webseite wcitleaks.org veröffentlichen. Grundsätzlich gehen Beobachter davon aus, dass eine grosse Mehrheit der ITU-Mitgliedstaaten die Regulierung des Internets befürwortet. Der aus Mali stammende und in der Sowjetunion ausgebildete ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré sagte dem Magazin „Vanity Fair“: „Wenn eine Erfindung von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt verwendet wird, bleibt sie nicht mehr das Eigentum einer einzigen Nation, wie mächtig diese Nation auch ist. Es sollte einen Mechanismus geben, der vielen Ländern die Gelegenheit zur Mitsprache bietet.“
Die von Touré angesprochenen USA haben erklärt, an der Konferenz gegen jegliche Kontrolle des Internets durch die ITU ankämpfen zu wollen. Sie hoffen, dass die Konferenz folgenlos bleiben wird, weil traditionsgemäss alle Entscheidungen einstimmig gefällt werden.
- Was Jugendliche im Internet treiben: Bericht zeigt Nutzungsverhalten auf digitalen Geräten - 8. Februar 2023.
- Kritik am FDC: Die „schmutzigen“ Investments des „Pensiounsfong“ - 7. Februar 2023.
- Ein Plan für mehr Naturschutz in Luxemburg - 3. Februar 2023.