Nächste Stufe der Eskalation droht

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Am Sonntag stimmt die ukrainische Krim über einen Anschluss an Russland ab. Der Ton der EU und der USA gegenüber Moskau wird immer schärfer. Bei einem Treffen diesen Freitag in London will US-Außenminister Kerry Russland noch umstimmen.

Kurz vor dem umstrittenen Krim-Referendum am Sonntag steuern der Westen und Russland auf die nächste Stufe der Eskalation zu. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel drohte Moskau am Donnerstag im Bundestag erneut mit weiteren Sanktionen, sollte es nicht in den allernächsten Tagen zu Ergebnissen in Verhandlungen kommen. Zugleich mahnte sie eine diplomatische Lösung an.

Der Anführer der Krim-Tartaren hat zum Boykott der Volksabstimmung über die Zukunft der ukrainischen Halbinsel am Sonntag aufgerufen. „Wir rufen die Tartaren der Krim auf, das Referendum zu boykottieren“, sagte Mustafa Dschemilew am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. Zugleich rief er die NATO auf, wie im Fall des Kosovos militärisch auf der Krim zu intervenieren, um „ein Massaker“ zu verhindern. Da eine UN-Resolution zur Entsendung von Blauhelmen aufgrund des russischen Vetorechts unmöglich sei, müsse die NATO intervenieren, sagte Dschemilew.

Gerichtshof für Menschenrechte eingeschaltet

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich auf Antrag der Regierung in Kiew in den Konflikt der Ukraine mit Russland eingeschaltet. Die russische und die ukrainische Regierung sollten beide keine Militäraktionen einleiten, die Verletzungen der Menschenrechte nach sich ziehen könnten, hieß es in einem Dringlichkeitsbeschluss des EGMR von Donnerstag in Straßburg. Derartige Dringlichkeitsbeschlüsse sind bindend. Wie der EGMR weiter vorgeht, ist noch nicht bekannt.

US-Außenminister John Kerry will bei Verhandlungen mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow an diesem Freitag in London versuchen, Russland in letzter Minute noch zum Einlenken zu bewegen. Andernfalls würden am Montag „eine sehr ernsthafte Reihe von Schritten“ der USA und der EU folgen, sagte Kerry am Donnerstag bei einer Anhörung im Kongress in Washington. Die USA hätten „eine sehr klare Liste“ der Leute, die beim Scheitern der Diplomatie mit Sanktionen belegt werden könnten.

Demonstrant getötet

Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern der Übergangsregierung in Kiew ist im Osten der Ukraine ein Demonstrant getötet worden. Bei den Auseinandersetzungen in der Stadt Donezk seien zudem 16 Menschen verletzt worden, sagte ein örtlicher Behördensprecher. Er äußerte sich nicht dazu, welcher Seite die Verletzten angehörten. Vertreter der Rettungskräfte sagten, der getötete Mann sei offenbar erstochen worden. Es war der erste Tote in der Ukraine seit Beginn der Krise auf der Krim Ende Februar.

Am Abend hatten sich in Donezk rund tausend Anhänger der proeuropäischen Übergangsregierung in Kiew versammelt, um gegen eine Aufspaltung des Landes zu demonstrieren, doch tauchten daraufhin doppelt so viele Anhängern einer Annäherung an Moskau auf. Einigen von ihnen gelang es, die Polizeikette zu durchbrechen. Bei dem darauf folgenden Handgemenge wurde der 22-jährige Demonstrant erstochen, wie die Rettungskräfte mitteilten.

„Diplomatische Lösung“

Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk hat vor dem UN-Sicherheitsrat zu einer diplomatischen Lösung der Krim-Krise aufgerufen. „Wir glauben noch immer, dass wir eine Chance haben, diesen Konflikt auf eine friedliche Weise zu lösen“, sagte Jazenjuk am Donnerstag bei einer Dringlichkeitssitzung des Gremiums in New York. Jazenjuk forderte Russland auf, die auf der Halbinsel Krim eingesetzten Soldaten zurück in die Kasernen zu beordern und „echte“ Verhandlungen zu starten. „Wir wollen Gespräche führen. Wir wollen keine Art von militärischer Aggression“, sagte er.

„Wir hoffen, dass es noch Zeit ist, das Schlimmste zu verhindern, nämlich die erzwungene Annektierung der Krim,“ so Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. Luxemburg sei zutiefst besorgt. Das umstrittene Krim-Referendum am kommenden Sonntag sei konträr zur ukrainischen Verfassung, betonte Luxemburgs Außenminister am Donnerstag. „Wir rufen Russland dazu auf, jegliche Aktion zur Unterstützung dieses Referendums zu unterlassen.“ Der Ausgang des Referendums werde von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) verlängert seine Expertenmission in der Ukraine. Das Team habe „gute Fortschritte“ bei der Prüfung der Kassenlage gemacht und werde nun in Verhandlungen mit der Übergangsregierung in Kiew über ein Hilfspaket eintreten, teilte die IWF-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag in Washington mit. Bis zum 21. März soll ein wirtschaftliches Reformprogramm stehen, das Voraussetzung für Finanzhilfen ist. Die Experten des Währungsfonds waren am 4. März in die Ukraine gereist, ihre Mission sollte ursprünglich bis Freitag dauern.

Entschlossenheit bei Konfliktparteien

Die Konfliktparteien demonstrierten derweil Entschlossenheit. Die Ukraine beschloss den Aufbau einer Nationalgarde mit bis zu 60.000 Mann. Die Truppe werde hauptsächlich aus Freiwilligen der sogenannten Maidan-Selbstverteidigungskräfte bestehen, sagte der Chef des Nationalen Sicherheitsrats, Andrej Parubij. Russland ließ für Manöver 12.500 Soldaten aufmarschieren.

Deutschlands Kanzlerin Merkel warnte Russland vor einer internationalen Isolierung. In einer Regierungserklärung in Berlin sagte sie, wenn Russland seinen Kurs fortsetze, wäre dies nicht nur „eine Katastrophe für die Ukraine“. Damit schade sich Russland auch ganz massiv selbst, und zwar „ökonomisch wie politisch“. Die Kanzlerin bekräftigte den Willen der Europäischen Union (EU) zu Sanktionen gegen Russland. „Niemand von uns wünscht sich, dass es zu solchen Maßnahmen kommt“, sagte sie. „Doch wir alle wären zu ihnen bereit und entschlossen, falls sie unumgänglich werden.“ Wenn es „in den allernächsten Tagen“ nicht zu Verhandlungen mit Russland komme, die zu Resultaten führten, würden die EU-Außenminister am nächsten Montag weitere Sanktionen beschließen. Dazu gehörten Einreise- und Kontensperrungen. Ein militärisches Eingreifen im Krim-Konflikt schloss sie aus. „Militärisches Vorgehen ist keine Option für uns“, sagte sie.

Warnung vor Sanktionen

Die russische Regierung warnte den Westen vor Wirtschaftssanktionen. Strafmaßnahmen gegen Russland würden wie ein „Bumerang“ zurückschlagen, teilte Vize-Regierungschef Dmitri Rogosin mit. Die russische Industrie werde damit höchstens gezwungen, noch besser zu werden und ohne ausländische Produkte auszukommen. Zuvor hatte Kremlchef Wladimir Putin gewarnt, dass Sanktionen immer einen Schaden für beide Seiten bedeuten würden.

Putin wies erneut jede Verantwortung Russlands für die Krise zurück. „Ich möchte versichern, dass Russland jene Umstände nicht initiiert hat, mit denen wir heute konfrontiert sind“, sagte er am Rande der Paralympics in der Schwarzmeer-Kurstadt Sotschi.

Abstimmung am Sonntag

Die ukrainische Halbinsel Krim stimmt am Sonntag in einem Referendum über einen Anschluss an Russland ab. Eine Mehrheit dafür gilt als sicher. Der Westen und die ukrainische Regierung in Kiew werfen Russland vor, die Halbinsel am Schwarzen Meer mit Tausenden Soldaten unter Kontrolle gebracht zu haben. Moskau will den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation schnell umsetzen.

Der Westen lehnt den Anschluss als völkerrechtswidrig ab und fordert von Russland Verhandlungen im Rahmen einer internationalen Kontaktgruppe. Die EU hatte in der vorigen Woche aus Protest gegen das Verhalten Russlands einen Drei-Stufen-Sanktionsplan beschlossen. Für den Fall einer Eskalation der Lage will die EU Strafmaßnahmen bis hin zu Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen.

Beitrittsverhandlungen auf Eis

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) legte am Donnerstag Beitrittsverhandlungen mit Russland auf Eis. Der OECD-Rat sei damit einem Antrag der 34 Mitgliedstaaten gefolgt, teilte die Organisation in Paris mit. Stattdessen solle nun die Zusammenarbeit mit der Ukraine gestärkt werden.

Der ukrainische Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk stellte der Krim Zugeständnisse in Aussicht. „Als ukrainische Regierung sind wir bereit, einen landesweiten Dialog über die Stärkung der Rechte der Autonomen Republik Krim zu beginnen“, sagte Jazenjuk in Washington vor dem „Atlantic Council“. Das betreffe Steuern und Amtssprache. Die Einwohner auf der Krim sind mehrheitlich russische Muttersprachler. Jazenjuk deutete zudem an, das Parlament in Kiew könne einer Volksbefragung auf der Halbinsel zustimmen. Jede Diskussion müsse aber in einem verfassungsrechtlichen Rahmen stattfinden, sagte er.

US-Präsident Barack Obama bekräftige nach einem Treffen mit Jazenjuk im Weißen Haus, Russland werde einen Preis zahlen, sollte es in der Ukraine weiterhin internationales Recht brechen.