Nachbarn wollen keine syrischen Flüchtlinge mehr

Nachbarn wollen keine syrischen Flüchtlinge  mehr
(AFP/AFP/Yasin Akgul)

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Nach Schätzungen der Vereinten Nationen ist rund die Hälfte der Syrer auf der Flucht. Die Nachbarländer Libanon, Jordanien und Türkei versuchen, den Flüchtlingsstrom zu bremsen - auch wenn die Mittel völkerrechtlich nicht immer korrekt sind.

Rund eine Millionen Flüchtlinge aus Syrien hat der Libanon mittlerweile aufgenommen. In den vergangenen Monaten hat das Land seinen Kurs geändert. Immer mehr Flüchtlinge werden nun entweder gezwungen, in ihre Heimat zurückzukehren, wo ihnen Verfolgung und Tod drohen. Oder aber sie bleiben illegal, was sie für Ausbeutung und Missbrauch anfällig macht.

Auch die Türkei und Jordanien haben ihre Flüchtlingspolitik verschärft.
Obwohl sich die Bedingungen in Syrien im fünften Bürgerkriegsjahr verschärft haben, zwang der Libanon in der vergangenen Woche 407 Flüchtlinge, in ihre Heimat zurückzukehren. Sie waren am Flughafen von Beirut gestrandet, weil die Türkei ohne große Ankündigung ihre Visa-Bedingungen verschärft hatte. Es war die bislang bei weitem größte Zwangsrückführung von Flüchtlingen.

Angst vor Ausweisung

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilte die Aktion als «einen unerhörten Bruch der internationalen Verpflichtungen des Libanons», die vorschreiben, dass man keine schutzbedürftigen Personen in ein Konfliktgebiet zurückschicken darf.
«Syrer haben hier keinen Wert. Sie haben uns die Tür verschlossen», sagt ein 34-jähriger Flüchtling aus Rakka, der inoffiziellen Hauptstadt der Terrormiliz Islamischer Staat. Er lebt in Beirut, arbeitet dort als Türsteher. Seinen Namen will er nicht nennen – aus Angst vor Ausweisung.

Im vergangenen Jahr hat der Libanon seine Politik der offenen Tür für Syrer revidiert. Bis dato konnten Menschen aus dem Nachbarland relativ unbehelligt einreisen und im Libanon leben. Jetzt müssen sie umgerechnet knapp 200 Euro pro Erwachsenem zahlen, um eine Aufenthaltserlaubnis für sechs bis zwölf Monate zu erhalten. Hinzu kommt eine enorme bürokratische Prozedur, die sie über sich ergehen lassen müssen.

Legaler Aufenthaltsstatus verloren

Nadim Houry, stellvertretender Nahost-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagt, die meisten Flüchtlinge hätten wegen der neuen Regelungen mittlerweile ihren legalen Aufenthaltsstatus verloren. «Das ist keine abstrakte Feststellung. Wenn du keinen legalen Status hast, kommst du in der Regel durch keinen Kontrollposten. Die Männer können so das Haus nicht verlassen», sagt er.

«Das bedeutet, dass diese Menschen ihre Kinder zur Arbeit schicken, weil die normalerweise nicht kontrolliert werden. Und das heißt auch, dass Frauen, die sexuell belästigt werden, nicht zur Polizei gehen können, weil sie dort festgenommen werden», fügt Houry an.

In der Türkei, wo mehr als zwei Millionen Flüchtlinge leben, ist die Situation ähnlich. Ankara hat die Visa-Bedingungen für Syrer verschärft, um den Strom von Migranten nach Europa zu stoppen.
Jordanien beharrt darauf, seine Grenzen für syrische Flüchtlinge offenzuhalten. Doch auch dort wurden die Regelungen zuletzt verschärft.

Ein kleiner Wüstenlandstrich ist seit Mitte 2013 der einzige Landweg für Flüchtlinge von Syrien nach Jordanien. Dort leben nach Regierungsangaben mittlerweile 16 000 Menschen. Pro Tag dürfen nur etwa 50 bis 100 von ihnen einreisen. Sicherheit habe oberste Priorität, sagt ein Regierungssprecher.

Rund die Hälfte der Syrer ist nach Schätzungen der Vereinten Nationen auf der Flucht. In Jordanien leben demnach derzeit 630 000 Flüchtlinge. Im Libanon sind es rund eine Million. Das entspricht etwa einem Viertel der Gesamtbevölkerung. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Flüchtlinge jedoch etwas zurückgegangen. Denn für viele Familien ist die Situation dort unerträglich.

Aufnahmestopp im Libanon

90 Prozent der Flüchtlinge sind nach einer Studie der Vereinten Nationen verschuldet, 70 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Einige sind deswegen nach Syrien zurückgekehrt, andere haben die gefährliche Flucht in die Türkei oder nach Europa gewagt.
Die Ressentiments gegen Flüchtlinge haben in der ohnehin instabilen politischen Ordnung des Libanons zugenommen. Im Oktober 2014 sprach sich die Regierung für einen Aufnahmestopp aus. Im Januar verbot sie dem UN-Flüchtlingswerk, weitere Flüchtlinge zu registrieren.

Ein weiterer Syrer, er nennt nur seinen Spitznamen Abu Ali, um für die libanesischen Behörden anonym zu bleiben, lebt nach eigener Aussage seit 2012 in dem Land. Jetzt hat er wegen der neuen Regelungen seinen Aufenthaltsstatus verloren. «Ich kann meine Tochter nicht mehr zur Schule schicken, weil wir uns illegal in dem Land aufhalten», sagt er. Mit einem Job in einem Sandwich-Laden in Beirut schlägt er sich durch.

Im Amt für Allgemeine Sicherheit, das für Einwanderung und Grenzkontrollen zuständig ist, weist man Mutmaßungen zurück, dass die neuen Vorschriften das Ziel haben, Syrer zur Rückkehr zu zwingen. «Es gab eine Menge Druck an unserer Grenze – und wir mussten unsere Kriterien für die Einreise organisieren», heißt es dort. «Es geht nicht darum, die Menschen zum Verlassen zu zwingen.»