Nach 22 Jahren: Entschädigung angeboten

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Chinas Sicherheitsorgane wollen die Angehörigen der Opfer des Massakers von 1989 zum Schweigen bringen. Erst mit Schikane, jetzt mit Geldangeboten.

Erstmals seit der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung vor 22 Jahren in China ist einigen Hinterbliebenen der Opfer finanzielle Entschädigung angeboten worden. Das „Mütter von Tian’anmen“ genannte Netzwerk der Familien berichtete am Dienstag, die Behörden wollten anscheinend herausfinden, ob sich die Familien stillschweigend mit Zahlungen zufriedenstellen ließen. In einem Appell zum 22. Jahrestag des Massakers am Samstag zeigten sich die Familien befremdet und überrascht von dem Angebot, weil gleichzeitig die Unterdrückung in China aus Angst vor Volksaufständen nach arabischem Vorbild drastisch verschärft worden sei.

„Wir glauben, es war nur ein Versuch. Sie wollten die Situation besser verstehen und Geld einsetzen“, sagte die frühere Professorin Ding Zilin, die an der Spitze des Netzwerks steht, der Nachrichtenagentur dpa in Peking. Die 74-Jährige berichtete, ein Vertreter der Sicherheitsorgane sei seit Februar dreimal auf eine Familie zugegangen. „Er meinte einfach, mit wie viel Geld lässt sich das regeln?“ Die Familie habe abgelehnt und auf die drei Kernforderungen der Hinterbliebenen nach «Wahrheit, Entschädigung und Verantwortlichkeit» verwiesen. Die Familien haben 203 Todesopfer des Massakers identifiziert. Doch gebe es viele weitere Opfer.

Endlich eine Antwort

Trotz alle Kritik begrüßte Ding Zilin, dass die Familien erstmals eine Antwort auf ihre jahrelang ignorierten Appelle bekommen hätten. „Egal, was wir gehört haben, es ist endlich eine Antwort.“ Ein ernsthafter Dialog müsse aber anders verlaufen. „Wir können nicht akzeptieren, dass es unter dem Tisch geregelt wird“, sagte Ding Zilin. Es sei immer von „privater Kommunikation“ die Rede: „Das ist nichts anderes als eine Mafia-Bande“, meinte die Professorin. „Sie wollen Geld für alles einsetzen – selbst um Sünden auszulöschen und die Tian’anmen-Mütter zu entzweien.“ Da täuschten sie sich aber.

Der 74-Jährigen wurde allerdings auf Anweisung „von oben“ untersagt, am Jahrestag wieder an der Stelle zu trauern, wo ihr 17-jähriger Sohn damals erschossen wurde. Auch andere Hinterbliebene oder Überlebende werden unter Druck gesetzt. Qi Zhiyong, der 1989 ein Bein verloren hatte, wurde unter Drohungen aufgefordert, den Mund zu halten. „Der Polizist sagte mir: Wenn du nur ein Wort sagst, lass ich dich tagelang nicht schlafen und nicht essen. Wenn ich dich festnehme und ins Gefängnis für Behinderte stecke, wird dir keiner helfen“, berichtete der gesundheitlich angeschlagene 55-Jährige der dpa.

Sein einziges Erbe

Trotzig habe er ihm geantwortet: „Es ist mein einziges Erbe, meine Kinder und meinen Enkel wissen zu lassen, warum ich mein Bein verloren habe – warum die Kommunistische Partei es genommen hat. Das kann mir niemand nehmen.“ Trotz der Repressionen hat Qi Zhiyong jedes Jahr die Aufrufe für eine gerechte Aufarbeitung des Massakers mitunterzeichnet. Der neue Appell verweist auf den Kampf um Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in Nordafrika und dem Nahen Osten, der sich „wie ein Lauffeuer“ verbreite, während Chinas unterdrückte Demokratiebewegung ihren 22. Jahrestag begehe.

„Unsere Erinnerung ist noch frisch und unser Leiden ist unerträglich, während wir zurückblicken auf den tragischen Ausgang dieser beispiellosen Katastrophe.“ Nach den Protesten in der arabischen Welt spreche Chinas Regierung nur von „Tumulten“, ohne den Ruf nach Freiheit und Demokratie zu erwähnen. „Warum? Dahinter steckt Angst.“ Die kommunistische Führung fürchte, dass sich die Ereignisse von 1989 wiederholen könnten. Deswegen sei die Kontrolle der Gesellschaft und die Unterdrückung verschärft worden. „Die Situation seit Februar dieses Jahres ist die schlimmste seit dem 4. Juni 1989“, stellten die Familien fest. „Schweigen herrscht im ganzen Land.“