Milliarden-Steuerspardose Luxemburg

Milliarden-Steuerspardose Luxemburg
(Tageblatt-Archiv/Pierre Matgé)

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Durch Steuertricks in Luxemburg spart Amazon Milliarden. Ein kompliziertes Firmenkonstrukt sorgt für die Einsparungen. Auch das US-Geschäft profitiert davon.

Im Jahr 2005 zog der neue Mieter in das fünfstöckige Gebäude im malerischen Luxemburger Stadtteil Grund ein. In dem historischen Altbau am Ufer der Alzette residierte fortan ein Ableger des weltgrößten Internet-Händlers Amazon. Nach Luxemburg war der milliardenschwere US-Konzern allerdings nicht gekommen, um dort Bücher, CDs und andere Waren zu verkaufen, sondern um Steuern zu sparen. Niemand wirft dem Web-Giganten vor, seine Gewinne in Europa illegal durch Luxemburg in die USA geschleust zu haben – gleichwohl gingen dem Fiskus Hunderte von Millionen Euro verloren, die Amazon ohne die geschickte Steuergestaltung hätte zahlen müssen. Wie das System Amazon funktioniert, zeigen Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters in sechs Ländern.

Der Online-Pionier ist kein Einzelfall. Auch andere global agierende Konzerne wie der Kaffee-Riese Starbucks nutzen Schlupflöcher in Europa, um sich in ihrer Heimat arm zu rechnen. Der Widerstand gegen dieses Finanzgebaren wächst nicht nur in Europa – schließlich werden die Amazon-Waren über Straßen transportiert, für die andere Steuern bezahlt haben. Auch in den USA wird der Ton rauer. So spricht der demokratische US-Senator Carl Levin offen von „Tricksereien“.

Kein Kommentar

Nach den Reuters-Recherchen ist es Amazon.com gelungen, mit Hilfe seiner Luxemburger Firmen-Konstruktion rund zwei Milliarden Dollar steuerfrei beiseitezulegen – Geld, das nun für die Expansion der Firma genutzt wird. 2011 offenbarte Amazon, dass die US-Bundessteuerbehörde IRS eine Nachzahlung von 1,5 Milliarden Dollar fordert. Eine Stellungnahme zu den Vorgängen lehnte die Firma ab. Schriftlich erklärte ein Sprecher lediglich: „Amazon bezahlt alle anfallenden Steuern in allen Ländern, in denen wir aktiv sind.“

Um das System Amazon zu verstehen, muss man ins Jahr 1998 zurückspringen, als der Konzern Online-Geschäfte in Deutschland und Großbritannien übernahm. 2000 kam Frankreich dazu. Zunächst wurde wenig unternommen, um die neuen Ableger in den Konzern zu integrieren, wie frühere leitende Angestellte sagen. Selbst der Einkauf, in dem Amazon später mit seiner Marktmacht enormen Druck auf Lieferanten ausübte, wurde in den unterschiedlichen Märkten individuell geregelt. Ende 1999 wurde dann der Geschäftszweck der britischen Tochter von „Vermarktung und Verkauf von Büchern über das Internet“ in „Bereitstellung von Dienstleistungen für andere Unternehmungen der Gruppe“ geändert: Wer fortan auf „Amazon.co.uk“ einkaufte, trat in eine Geschäftsbeziehung mit der US-Tochter mit Sitz in Delaware.

Mit Übersee verrechnet

Ähnliche Änderungen gab es auch im Deutschland-Geschäft (www.amazon.de). Die schnell wachsenden Europa-Töchter wurden damit letztlich zu reinen Erfüllungsgehilfen, zuständig für den Versand von Päckchen und den Kundenservice. Diese Änderung der Struktur half bei der Lösung eines Problems zu Hause: Die 1995 gegründete Firma hatte bis 2003 in jedem Jahr Verlust gemacht. Das war in der damaligen Dotcom-Hysterie nicht ungewöhnlich, als mehr auf den Aktienkurs und das Potenzial als auf den Gewinn geschaut wurde. Ende 1999 schwoll der Verlust allerdings auf mehr als eine Milliarde Dollar an, so dass selbst die eigenen Buchhalter Zweifel bekamen, ob man die Summe jemals würde steuermindernd einsetzen können – denn es war damals völlig unklar, wann in den USA die Gewinnschwelle erreicht werden könnte.

Der Clou: Durch den Umbau der Europa-Töchter konnten die US-Verluste mit den Übersee-Gewinnen verrechnet werden. Im Ergebnis musste Amazon damit auf seine Auslandserträge zu Hause keine Steuern entrichten, sagt der US-Steuerrechtsexperte Stephen Shay von der Elite-Universität Harvard.

Die Lösung Luxemburg

Die Lage änderte sich 2003, als Amazon in den USA begann, ordentliche Gewinne einzufahren. Nun habe die Gefahr bestanden, dass die Auslandserträge die weltweite Steuerrechnung der Gruppe nach oben treiben würden, erklärt Shay. Denn die Steuersätze auf Unternehmensgewinne seien in den USA höher gewesen als in anderen Regionen wie etwa Großbritannien. Für das Problem musste schleunigst eine Lösung her – gefunden wurde sie am Ufer der Alzette im beschaulichen Luxemburg.

Zwar werden Unternehmensgewinne dort nominell mit 29 Prozent belastet. Unter bestimmten Umständen werden aber Einkünfte, die mit geistigem Eigentum erwirtschaftet werden, bis zu 80 Prozent von der Bemessung des zu versteuernden Gewinns ausgenommen. Dadurch kann die effektive Belastung unter sechs Prozent sinken, Steuerexperten zufolge sind sogar knapp null Prozent möglich, wenn weitere Maßnahmen zur Steueroptimierung ergriffen werden.

Briefkasten im Wohngebiet

Im Juni 2003 meldete Amazon in Luxemburg die „Amazon Services Europe SARL“ an, untergebracht in einem grauen Betonklotz gegenüber dem zentralen Parkplatz für Busse. Einen Monat später wurden in Großbritannien die Geschäftsbedingungen geändert: Verträge mit Dritt-Anbietern, die Amazon zur Abwicklung ihrer Geschäfte nutzten, wurden nicht mehr über die USA, sondern über Luxemburg abgewickelt.

Im Juni 2004 wurde dort eine weitere Firma gegründet, die „Amazon Europe Holding Technologies“. Als Geschäftszweck wurde angegeben, Anteile von Amazon-Töchtern zu halten und den Gebrauch von geistigem Eigentum wie Patenten und Lizenzen zu regeln. Nach Angaben eines Luxemburger Regierungssprechers wurde sie als „Société en Commandite Simple“ gegründet – diese Gesellschaftsform ist von der Einkommensteuer befreit. Mitarbeiter gab es nicht, nur eine Adresse in einem Wohngebiet.

„Betriebsvermögen“ verschoben

Schließlich wurde einen Monat später eine dritte Firma gegründet, die „Amazon EU SARL“. Ihr Hauptzweck wurde beschrieben als „Verkauf, Versteigerung, Verpachtung oder sonstiger Vertrieb von Produkten aller Art“. Das Problem war nur: Die Amazon Europe Holding Technologies besaß zu dem Zeitpunkt keine Technologie, die man hätte lizenzieren können. Die Amazon-Patente, darunter die Marke selbst und ihre „1-click“-Bestellsoftware, lagen bei Amazon Technologies Inc, einer Tochter, die im US-Bundesstaat Nevada registriert war.

Zur Lösung dieses Problems wurde Anfang 2005 ein firmeninternes Geschäft abgewickelt. Die Details wurden nie bekannt. Amazon-Finanzchef Tom Szkutak sagte einige Wochen danach in einer Analysten-Telefonkonferenz, beim Aufbau der Aktivitäten in Luxemburg seien „gewisse Teile des Betriebsvermögens“ verschoben worden, was die Steuerrechnung des Konzerns um 58 Millionen Dollar erhöhen, langfristig aber zu Einsparungen führen werde. Im Ergebnis hat die Luxemburg-Struktur dazu beigetragen, dass Amazon in den vergangenen fünf Jahren in den USA im Schnitt 5,3 Prozent Steuern auf seine Auslandsgewinne bezahlt hat – weniger als ein Viertel der durchschnittlichen Belastung auf den wichtigsten Auslandsmärkten.

Gelddruck-Maschine Luxemburg

Die Bilanzen zeigen, dass die Amazon Europe Holding Technologies an die Amazon Technologies Inc in Nevada beginnend im Jahr 2005 jedes Jahr 230 Millionen Dollar abgeführt hat. Im gleichen Zeitraum nahm Amazon Europe Technologies jährlich bis zu 583 Millionen Euro von den europäischen Töchtern des Konzerns ein. Der Differenzbetrag verblieb in Luxemburg. Über die Zeit hat Amazon damit dort steuerfrei über zwei Milliarden Dollar angespart. Senator Levin gehört zu den zahlreichen US-Politikern, die solche innerbetrieblichen Zahlungen künftig wieder besteuern wollen. Vor einer Gesetzesänderung 1997 galten sie teilweise als Dividenden.

Damit die steuerfreie Gelddruck-Maschine in Luxemburg weiterlaufen konnte, musste Amazon dem Land belegen, dass dort nicht nur eine Briefkastenfirma sitzt. Ende 2005 hatte der Konzern nur rund ein Dutzend Mitarbeiter vor Ort. Im Februar 2006 wurde das Eigentum an den Geschäften in Großbritannien, Deutschland und Frankreich auf die Amazon EU SARL übertragen, die Rechte an den Internet-Domänen in Großbritannien und Frankreich auf die Amazon Europe Holding Technologies. Außerdem wurden Führungskräfte aus den USA nach Luxemburg versetzt, mehr einheimische Mitarbeiter angeheuert und man begann intern damit, von der Europa-Zentrale des Welt-Konzerns zu sprechen.

Expansionspläne finanziert

Mit dem Anwachsen der Gelder in der Spardose Amazon Europe Holding Technologies wurde damit begonnen, Beträge an die Amazon EU SARL zu verleihen. Damit wurden Expansionspläne finanziert – und ab 2005 bis zu 45 Millionen Euro im Jahr Zinsen vereinnahmt, steuerfrei. Heute beschäftigt Amazon in Luxemburg 300 Mitarbeiter und mehrere 10.000 verteilt über ganz Europa. Im Oktober zog man stolz in ein neues Gebäude um.