Luxemburgs unbekannter Weltkonzern

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Die Isolation technischer Anlagen ist ein weltweites Geschäft der Zukunft, das weit in den Bereich des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit hineinspielt. Der Armacell-Konzern mit Sitz in Capellen ist dabei, einer der wichtigen Mitspieler in dieser Branche zu werden.

An der place de l’Alma in Paris treffen sich die Touristen gemeinhin, um ihre Bootsfahrt auf der Seine zu beginnen. Der Platz hat seit Oktober vergangenen Jahres eine neue Attraktion. Hoch über den Bäumen des nahen Parks ragt eine goldene Kuppel empor. Sie gehört zur russisch-orthodoxen Kathedrale, die Russlands Staatspräsident seiner Kirche in Paris geschenkt hat. Das Besondere an der Kuppel: Sie ist außen mit echtem Gold abgedeckt und innen mit einem Dämmschaum isoliert, der aus 100.000 PET-Flaschen hergestellt wurde. Das Ganze ist eine Arbeit des in Luxemburg beheimateten Weltkonzerns Armacell.

Das Unternehmen ist in 16 Ländern mit 25 Standorten auf vier Kontinenten vertreten. Darunter die USA mit mehreren Standorten, Russland, China, Italien, Brasilien. Aus Saudi-Arabien verabschiedet sich Armacell gerade und wechselt den Standort. Zukünftig will das Unternehmen aus Bahrain heraus arbeiten. Armacell arbeitet grundsätzlich alleine und entsendet keine Mitarbeiter aus Europa und sucht keine Partner im Ausland. Selbst in China hat das Unternehmen eine chinesische Beteiligung vermeiden können. Korea ist die Ausnahme. Armacell würde gerne auf den iranischen Markt gehen, sieht sich in dieser Absicht aber durch die US-Politik gehindert. Derzeit beschäftigt die Firma etwa 3.000 Mitarbeiter.

Armacell arbeitet mit recycelten PET-Produkten und mit Gummi als Dämmstoffen. Vorbei sind dabei die Zeiten, in denen Dämmung mit Glaswolle oder mit Steinwolle erfolgt. Im hoch technisierten Bereich sind Schäume heutzutage die Regel, was aber nicht heißt, dass herkömmliche Dämmstoffe nicht noch ihren Markt haben.

Von Münster nach Luxemburg

Das Unternehmen, das seinen Sitz aus Münster nach Luxemburg verlegt hat, ist eine Firma „im Werden“. Richtig rund seien sie noch nicht, gibt der Vorstandsvorsitzende Patrick Mathieu zu. Dazu ist der Markt zu kompliziert, sind die Anforderungen in den verschiedenen technischen Bereichen zu hoch, wird das Unternehmen immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Immerhin belegt Armacell in einem Weltmarkt, der derzeit gerade 10 Milliarden groß ist, mit einem Anteil von zehn Prozent bereits einen beachtlichen Platz. Mathieu aber ist ehrgeizig. Er will 50 Prozent erreichen in einem Markt, der stetig wächst.

Was macht man mit „technischen Isolierungen“? In der Arktis erfreuen sich Eisbären an einem neuen „Konkurrenten“. Es reicht nicht, einfach eine Messstation aufzustellen. Sie muss – genauso wie die Behausungen von Forschern und die Forschungsstation selbst – vor Kälte geschützt werden. Das gilt aber nicht nur für die Außenhaut. Intelligente Isolierung muss auch die Standbeine von unten schützen, die auf dem Eis stehen. Armacell bietet hier die Lösungen an. Allerdings: Die mit blauer Farbe angestrichenen Container und Messstationen gefallen den Eisbären überhaupt nicht. Sie attackieren sie und versuchen, den vermeintlichen Konkurrenten zu vertreiben.

Isolation für Autos und Container

„Schäume“, sagt Mathieu in Gespräch mit dem Tageblatt in Düsseldorf, „haben erhebliche Vorteile. Sie sind leicht, was in der Automobilindustrie wichtig ist, und sie schützen vor Vibrationen, fangen sie auf und lassen sie den Autofahrer zum Beispiel nicht spüren.“ Und mit dem Modell der PET-Flaschen, die derzeit etwa 20 Prozent des Umsatzes ausmachen, bewegt sich Armacell in einem wichtigen Bereich der Nachhaltigkeit und auch des Umweltschutzes. Die Flaschen werden vor der Verarbeitung gewaschen, dann geschreddert, wieder gewaschen, verschmolzen, und dann verschäumt.

Das Problem ist, dass PET-Flaschen heutzutage nicht alle dieselbe Stärke haben. Es gibt dünne oder dicke. Man muss sie selektieren und dann mischen, um ein einheitlich qualitatives Schaumprodukt zu erreichen, sagt Mathieu. Schäume befinden sich als Isolierstoff heutzutage überall, zum Bespiel in Containern, in Schiffen, in Autos, in Skistiefeln und auch in Babywagen. Die Armacell-Story hat ihren Beginn eigentlich in den USA, genauer gesagt in Pittsburgh, wo Thomas Armstrong in bescheidenem Maße begann, Korken für Flaschen herzustellen. 1954 entsteht dann Armaflex. Es ist die Erfindung von hochflexiblen Gummi-Isolierstoffen. In Europa beginnt die Geschichte in den 1960er Jahren. Seit 2003 ist man auch in Belgien tätig, wo PET-Schaum hergestellt wurde, aber damals wusste noch niemand so recht, was man damit wirklich anfangen sollte.

Vorteile gegenüber dem Standort Deutschland

Armacell, im Jahre 2000 als eigenständiges Unternehmen aus der Dämmstoff-Division des US-Unternehmens Armstrong World Industries hervorgegangen, entwickelt daraus Thermo-Schmelzpolymere, die derzeit das Wachstum des Unternehmens befördern. Dieses erhält 2016 eine neue Kapitalstruktur. Der Investmentfonds Blackstone übernimmt 68 Prozent des Kapitals. Kirkby, eine Holdinggesellschaft, die der Kristiansen-Familie gehört, steigt als langfristiger Investor ein und hält 17 Prozent. Den Rest übernimmt das Management. Das Unternehmen lässt sich in Luxemburg nieder. Entgegen anderslautenden Vermutungen in Deutschland hat dies nichts mit der Steuerlast des Unternehmens zu tun, stellt Mathieu klar. „Luxemburg liegt in der Mitte Europas. Die Verwaltung des Landes ist hochprofessionell. Die Wege sind kurz, Kontakte schnell hergestellt.“

„Der Armacell-Vorstand sieht hier erhebliche Vorteile gegenüber etwa dem Standort Deutschland, in dem die Verwaltung als schwerfällig empfunden wird. Wir haben es gleich konsequent und richtig gemacht und sind mit 12 Personen nach Luxemburg gegangen“, sagt der Unternehmenschef.

Nach 18 Monaten im kleinen Land will Mathieu aus Luxemburg eigentlich nicht mehr weg. „Lebensqualität“ heißt für ihn das Stichwort, wenn man ihn fragt, was ihn in Luxemburg hält. Ein Trumpf, der für Führungskräfte in Unternehmen immer wichtiger wird.

Deutliche Vorstellungen von der Zukunft

Wer sich mit Isolierungen beschäftigt, darf nicht übersehen, wo die Zukunft liegt. Im Falle von Armacell lag sie in Korea. Hier hat das Unternehmen gerade ein Joint Venture mit einer Gesellschaft abgeschlossen, die mit Gel arbeitet. Das Produkt war bekannt, das Verfahren auch, hatte aber einen Nachteil: Die Trocknung des Gels dauerte drei Tage. Das gab dem Gel keine Chance. Jetzt ist das Verfahren so verbessert worden, dass das Gel in drei Stunden trocknet. Über das koreanisch-luxemburgische Joint Venture kann Armacell nun neue Märkte in Angriff nehmen. Neue Märkte zeigen sich auch im Baubereich. Wie zum Beispiel kann man in Hotels Klimaanlagen so dämmen, dass ihre Geräusche die Hotelgäste nicht mehr stören?, lautet die Frage. Armacell diskutiert dieses Problem derzeit mit einer internationalen Hotelkette.

Hier zeigen sich allerdings auch Probleme für das Unternehmen selbst. „Wir müssen in solchen Fällen mit Architekten kooperieren, weil wir keine Fachleute für den Bau selbst sind“, sagt Mathieu. Armacell, das sieht er, wird neben der Entwicklung eigener Produkte mehr und mehr zum Problemlöser in der Industrie und benötigt dafür seinerseits wieder externes Wissen. In die Forschung und Entwicklung steckt das Unternehmen jährlich etwa zwei Prozent des Umsatzes. Im vergangenen Jahr waren das neun Millionen Euro.

Börsennotierung ist ein Ziel

Die Verschuldung des Unternehmens liegt mit 550 Millionen relativ hoch, macht dem Management aber keine Sorgen. Sie beträgt 5,5 Mal das Ergebnis vor Steuern und Abschreibungen. 2016 hat Armacell eine Umschuldung vorgenommen, die eine Zinsersparnis von 15 Millionen Euro eintrug. Die Investitionen lagen im vergangenen Jahr bei 30 Millionen Euro. Investitionen in Produktionslinien sind in diesem Industriezweig schnell rentabel. „Eine Produktionslinie zur Schaumherstellung benötigt Investitionen in Höhe von sechs bis acht Millionen Euro. Damit können wir einen Umsatz von 20 bis 25 Millionen Euro erzielen und einen Gewinn von vier Millionen. Die Rentabilität einer solchen Linie ist nach einem, maximal zwei Jahren, gewährleistet“, erklärt der Vorstandsvorsitzende. Durch den hohen Cashflow, den das Unternehmen generiert, will Mathieu die Verschuldung in den kommenden zwölf Monaten drastisch abbauen.
Das Management des Konzerns hat deutliche Vorstellungen von der Zukunft.

Die Börsennotierung ist ein Ziel, das angestrebt wird bei „einer Milliarde Umsatz und einem Ergebnis vor Steuern und Abschreibungen von 150 bis 200 Millionen Euro“. Einen Aufkauf des Unternehmens durch einen multinationalen Großkonzern will Mathieu nicht ausschließen. Wenn der Marktanteil bei 50 Prozent liegt, scheint ihm das möglich. Auch dafür ist Luxemburg ein guter Standort. „Denn alle, auf die es ankommt, sind hier vertreten.“