Zwischen Herz und Verstand

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Vergangene Woche wurden 22 abgewiesene Asylberwerber in den Kosovo ausgewiesen. / Robert Schneider

Eine Familie und ein Ehepaar verhinderten die Ausweisung in letzter Minute durch ein Urteil des Eilgerichts, das ihnen einige Monate Aufschub gewährte. Wir unterhielten uns mit dem zuständigen Regierungsmitglied Nicolas Schmit, der – wie er betont – sich dieses Ressort nicht aussuchte, aber versucht, das Beste daraus zu machen.

Tageblatt: Es gab unterschiedliche Meldungen über die Ausweisungen vergangene Woche, sowohl was die Zahl der Betroffenen als auch was die Zahl der Flüge betrifft. Was geschah wirklich?
Nicolas Schmit: „Es sollten 29 Menschen aus dem Kosovo ausgewiesen werden; schlussendlich flogen lediglich 22 in ihre Heimat zurück, da eine Familie mit Kindern (die in Useldingen wohnt) bei Eilgericht einen Aufschub bis Juli erwirkte, wenn das Schuljahr abgeschlossen ist. Ein Paar, das in medizinischer Behandlung ist, darf laut Gericht ebenfalls noch einige Zeit im Lande bleiben.
In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass praktisch alle Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien, die vor 2004 kamen, also zu einer Zeit, als die Situation in ihrer Heimat lebensbedrohlich war, regularisiert wurden. Bei den aktuellen Fällen (die nach 2004 kamen) waren alle Prozeduren erschöpft, den Leuten wurde mehrmals angeboten, sie mit Begleitung und unter anderen Umständen nach Hause zu bringen.
Da dies nicht fruchtete, mussten wir leider auf die weniger angenehme Methode einer Abschiebung mit der Polizei, inklusive des morgendlichen Einsatzes um 6 Uhr, zurückgreifen.
Der Gegenpart einer ernsthaften Asylpolitik muss die Rückführung bei abgewiesenem Antrag sein. Wenn jeder, der anklopft, genommen wird, werden wir automatisch zu einem bevorzugten Ziel für Wirtschaftsflüchtlinge.
Bei allen Fällen waren die Rekursmöglichkeiten erschöpft und wir untersuchten Fall für Fall, ob Gefahr für die Betroffenen bei einer Rückführung bestand.
Ich kann mir darüber hinaus kaum vorstellen, dass viele andere Staaten den Asylbewerbern bis zuletzt Anwälte zur Verfügung stellen, die schlussendlich in den beiden Fällen einen Aufschub via ‚référé‘ erwirkt haben.“
„T“: Die Lage im Kosovo ist Ihrer Meinung nach also nicht lebensbedrohlich. Ist es nicht auch legitim, aus wirtschaftlichen Gründen zu flüchten?
N.Sch.: „Durchaus, aber für die Immigration stehen andere Instrumente zur Verfügung und die Asylpolitik muss dort helfen, wo Menschen aus politischen, ethnischen oder religiösen Ursachen verfolgt werden.
Obwohl Kosovo nicht EU-Mitglied ist, gibt es Möglichkeiten für Ex-Jugoslawen, nach Luxemburg zu kommen; insbesondere wenn sie eine Arbeit haben, etwa in der Gastronomie oder der Landwirtschaft, wo noch Arbeitskräfte fehlen. Den Versuch, über einen Asylantrag eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lebensumstände zu erreichen, mag legitim sein, ist aber kein Aspekt unserer Asylpolitik.“

„T“: Sowohl der Europarat als auch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen raten davon ab, Flüchtlinge zurück in den Kosovo zu senden. Wieso tun wir es trotzdem?
N.Sch.: „Der letzte Bericht des Flüchtlingsrats der Vereinten Nationen stammt aus dem Jahr 2006. Ich war vor einem Jahr im Kosovo und habe mich dort auch mit Serben unterhalten, die kein rosiges Bild vermittelt haben. Allerdings besteht keine direkte Gefahr für die Ausgewiesenen. Lebensgefahr ist eines der Fundamente der Asylpolitik und ist in der Region nicht gegeben.
Wir sind uns der Probleme von ethnischen Minoritäten, wie den Serben in Kosovo, bewusst, es gibt auch andere kleinere Minoritäten, die wie nicht ausweisen.
Die Politik der Serben, die ihre Leute versuchen, davon zu überzeugen, nicht mit der albanischen Mehrheit zusammenzuarbeiten, macht es uns übrigens nicht einfacher. Es gibt etwa 140.000 Serben in Kosovo; wenn ein Asylantrag ausreicht, um definitiv in Luxemburg aufgenommen zu werden, können Sie sich vorstellen, wie schnell sich dies herumsprechen würde und was die Konsequenzen wären.

Eine Frageder Signale

Wir werden keine solch generellen Signale geben. Unsere Nachbarländer sind übrigens weitaus härter in ihrer Ausweisungspolitik.
Schließlich soll Kosovo multi-ethnisch bleiben und in diesem Sinn unterstützen wir die Anstrengungen, die Situation der Minderheiten in der Region zu verbessern.
Die EU hat viele Milliarden in den Balkan investiert, hat KFOR-Truppen vor Ort und leistet wirtschaftliche Hilfe. Wir tun dies nicht, um dann gleichzeitig die Menschen nach Luxemburg zu ziehen.
Wir haben unsere Pflicht gemacht, als die Menschen dort um ihr Leben fürchten mussten.
Luxemburg muss ein Asylland bleiben können; die Ausweisungen haben auch mit der Möglichkeit zu tun, an anderen Orten effizient helfen zu können.
So werden wir 28 Iraker aufnehmen, die hauptsächlich der christlichen Minorität angehören, wir werden auch den Maltesern helfen und sechs Flüchtlinge aufnehmen.
Natürlich macht es keinen Spaß Menschen, besonders jene mit Kindern, auszuweisen. Am liebsten würde ich alle aufnehmen, dies ist allerdings aus oben genannten rationalen Gründen nicht möglich. Die Aufgabe ist ein Hochseilakt zwischen Herz und Verstand.“

„T“: Aber die Methode … Schulpflichtige Kinder morgens um 6 Uhr mit der Polizei aus den Betten zu scheuchen?
N.Sch.: „Natürlich entspricht dies nicht unseren Idealvorstellungen. Aber wie bereits erwähnt, den abgewiesenen Bewerbern wurde wiederholt eine Rückführung mit finanzieller Unterstützung und Begleitung angeboten. Das Problem ist, dass viele einfach nicht daran glauben, dass wir es ernst meinen. Wenn die Beamten nicht so früh am Tag erscheinen, ist das Risiko groß, dass die Personen nicht mehr angetroffen werden. Früher versuchten wir, Familien mit Kindern in den Sommermonaten zwischen den Schuljahren auszuweisen. Mittlerweile haben viele sich darauf eingestellt und sind in diesen Monaten nicht an ihrer Adresse anzutreffen.“

„T“: Wäre es nicht einfacher für die Menschen im Kosovo, wenn die Perspektive eines EU-Beitritts Realität würde. Gibt es überhaupt eine geopolitische Alternative zu einem solchen Beitritt?
N.Sch.: „Nein, die gibt es nicht. Dennoch bleibt das Instrument der EU-Aufnahme unser wichtigstes Druckmittel im Westbalkan, und wir wollen ja, dass die Völker in der Region miteinander klarkommen. Außerdem ist Serbien politisch nicht stabil, Bosnien ist noch kein Staat …
Der EU-Beitritt ist wahrscheinlich unser einziges Mittel der Stabilisierung der Region, in der keine bewaffneten Auseinandersetzungen, aber eine Art kalter Friede vorherrscht.
Im Übrigen beginnt eine vorsichtige „Europäisierung“: Die Visa-Pflicht für mazedonische Serben wird so etwa aufgehoben. Dies ist ein Weg, die Menschen auf dem Balkan ‚unserem‘ Europa näherzubringen.“

Keine Jagdauf Illegale

„T“: Wie präsentiert sich zurzeit die Problematik der illegalen Einwanderer?
N.Sch.: „Wir wissen nicht genügend über diese Menschen; einige hundert leben wohl in Luxemburg, besonders Menschen aus dem Maghreb, Kapverdier, Inder und Chinesen. Wir finden diese bei zufälligen Polizeikontrollen, wobei wir keine systematische ‚chasse à l’homme‘ durchführen. So etwas liegt nicht in unserer Tradition.
Es gibt Länder, wie etwa Algerien, die diese Menschen nicht zurücknehmen. Dies führt u.a. dazu, dass Flüchtlinge aus Marokko, die gefunden werden, sich als Algerier ausgeben.
Wir werden im Immigrationsgesetz schärfere Strafen für illegale Einwanderung festlegen; weniger für die Flüchtlinge selbst als für Schlepperbanden oder jene, die von diesen Menschen profitieren. Ich kann nur jedem raten, der einen Illegalen beschäftigt, sich zu melden: Wir werden versuchen, die Situation zu regeln.
Wir können es nicht hinnehmen, dass Menschen ohne Statut, ohne Papiere, ohne Absicherung hier leben und arbeiten.“