„Wir waren jung, stark und dumm“

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Nello Baschera, Jahrgang 1928, ist wohl einer der letzten lebenden Escher Grubenarbeiter. Er hat jedoch mehr zu erzählen als nur über seine Zeit im Bergwerk. Beeindruckend ist auch seine Zeit als Musiker: 76 Jahre lang hat er Klarinette und Saxofon gespielt.

„Als wir das erste Mal in die Mine hineingefahren sind, war es stockdunkel. Das war schon ein komisches Gefühl.“ Nello Baschera, Kind italienischstämmiger Einwanderer und 1928 in Esch geboren, war 14 Jahre alt, als er das erste Mal unter Tage fuhr. An diesen Tag erinnert er sich noch, als wäre es gestern gewesen: Es war während des Zweiten Weltkriegs, am 13. Juni 1942 – und zwar an einem Samstag. Nello wollte schon früh mit arbeiten anfangen, da ihm die Schule nicht zusagte. Die Frühschicht begann um 6 Uhr. Im Zechenhaus, wo sich die „Salle des pendus“, Umkleideräume und Duschen befanden, zogen sich die Minenarbeiter um. Dann fuhr der Zug acht bis zehn Kilometer in die Mine hinein. An Ort und Stelle wurden die einzelnen Aufgaben an die Arbeiter verteilt.

Gearbeitet wurde sechs Tage die Woche in Schichtarbeit. Dazwischen lagen acht Stunden, um sich zu erholen. Oft mussten Doppelschichten geschoben werden. Manchmal durften die Arbeiter die Mine nach getaner Arbeit nicht verlassen. „Dann musste ich schnell ein Brot machen und eine Thermoskanne füllen“, erzählt Nellos Ehefrau Caroline (84) – damit ihr Ehemann wenigstens etwas zu essen hatte. Dazu sagt Nello heute: „Wir waren jung, stark und dumm.“ Damals haben ihnen die Arbeitsbedingungen nichts ausgemacht. Die Arbeit unter Tage war ein Knochenjob. Unter fast unmenschlichen Bedingungen wurde tagein, tagaus geschuftet: „Wenn ich heute daran zurückdenke, frage ich mich oft, wie ein Mensch so etwas aushalten kann.“ Auf die Frage, wie er das denn geschafft habe, antwortet der 90-Jährige nur: „Ich war gesund.“

Rastlos

In seiner Zeit unter Tage hat er viele Unfälle miterleben müssen: „Ich habe Tote erlebt und ein paar davon selbst bergen müssen.“ Einer der Arbeiter wurde unter einem zwei Tonnen schweren Buggy begraben, ein anderer von einem überfahren. Nello kennt bis heute die Namen der Verunglückten. Er selbst hat bei einem Unfall ein Stück eines Fingers verloren. Nach seiner Zeit im Bergwerk bediente er als Maschinist elektrische Anlagen. Auch nach Schichtende hatte Nello nicht viel Zeit, um die Füße hochzulegen. „Nach der Schicht kam ich nach Hause und war müde wie ein Hund. Dann ging es direkt in meinen sieben Ar großen Garten“ – wohl auch zum Ausgleich für den harten Arbeitsalltag.

Nello Baschera ist zeit seines Lebens ein begeisterter Musiker gewesen, 76 Jahre lang hat er aktiv Musik gemacht. „Viele falsche Noten habe ich gespielt, manchmal war dann eine richtige dabei. Nach der Arbeit fanden dreimal die Woche Proben statt und am Wochenende wurde samstags und sonntags zum Tanz aufgespielt.“ Im Jahr 1955 war er an der Gründung des Escher Jazz-Klubs beteiligt. Zudem war er langjähriges Mitglied der „Biergaarbechter-Musek“ und der „Escher Stadmusek“.

Feuer und Flamme für seine Frau

Nello hat sein ganzes Leben lang – bis auf eine zweijährige Unterbrechung – in Esch gelebt. Aufgewachsen ist er „an der Hiel“ der damaligen Arbeitersiedlung. Das Leben dort beschreiben er und seine Frau Caroline als „arm“. Anfangs gab es keine Räumlichkeiten für Toiletten und nur Wasser im Keller. Dort wusch man dann, so gut es ging, die Wäsche und sich selbst. Später wurde ein kleiner Ofen installiert, in dem Wasser erhitzt werden konnte. Wenn Nello an seine Kindheit zurückdenkt, fallen ihm jedoch viele Erlebnisse übers Fußballspielen und Raufboldgeschichten ein.

Durch all die Jahre der beschwerlichen Grubenarbeit musste Nello nicht alleine gehen: Caroline Gilson ist seit mittlerweile 63 Jahren die Frau an seiner Seite. Sie haben sich an einem Tanzabend kennengelernt und waren sofort Feuer und Flamme füreinander. Carolines Augen glänzen immer noch, wenn sie davon erzählt. Den Haushalt schmeißen die beiden heute noch fast allein. Nachdem Caroline einen Schlaganfall erlitten hat, ist sie nicht mehr so mobil. Also kauft Nello ein und bereitet das Essen zu. Sowohl sein Sohn als auch Caroline haben großen Respekt davor. „Er ist wirklich Gold wert“, sagt seine Frau. Gesundheitlich geht es Nello gut. Kürzlich erst hatte er ein Check-up beim Arzt. Dieser habe bestätigt, dass alles in Ordnung sei, sagt Nello, nicht ohne ein bisschen Genugtuung in der Stimme.