/ Welternährung - „We blew it“
Serge Kennerknecht
„Mordshunger“ betreibt nicht nur Ursachenforschung, sondern zeigt auch Lösungsansätze auf.
Das sei dringend geboten, so Jean Feyder, der am Donnerstag einen Vortrag im Campus Limpertsberg der Uni Luxemburg hielt. Denn die Reduzierung der weltweiten Unterernährung um die Hälfte bis zum Jahr 2015, so wie sie in den Millenniumzielen der Vereinten Nationen im Jahr 2000 festgehalten wurde, droht zu scheitern. 840 Millionen Menschen litten Hunger im Jahre 2000, im letzten Jahr waren es über eine Milliarde.
Auch wenn die Zahl inzwischen wieder unter der von einer Milliarde liegt, lässt dies keinen Zweifel am Scheitern der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, so Feyder.
Die meisten Hungernden leben nicht in Afrika (250 Millionen), wie man allgemein annehmen könnte, sondern vielmehr im Raum Asien und Pazifik mit 600 Millionen hungernden Menschen. In China schätzt man die Zahl auf 150 Millionen, in Indien sind es deren 200. Auch Länder wie Bangladesh und Pakistan sind auf der Liste.
75 Prozent der Menschen in äußerster Armut leben auf dem Lande. Etwa die Hälfte davon sind kleine Bauern, 20 Prozent haben kein eigenes Land zur Verfügung, 8 Prozent sind kleine Fischer oder Landarbeiter und 20 Prozent leben in Slums neben Großstädten. Hauptgrund für ihre Lage ist ihre geringe Kaufkraft und ein Mangel an Land sowie Gerät.
29 Millionen Traktoren, 1,3 Milliarden Bauern
Verfügen landwirtschaftliche Anwesen in unseren Gegenden im Schnitt über 40-60 Hektar Land zur Bewirtschaftung, sind es in den genannten Gebieten lediglich deren zwei, in China sogar nur ein Hektar. Interessant ist sicher die Tatsache, dass es weltweit rund 1,3 Milliarden Bauern gibt, jedoch nur 29 Millionen Traktoren. Glücklich schätzen können sich auch die wenigen Landwirte, die über ein Pferd oder ein anderes Zugtier verfügen, das bei der Bewirtschaftung eingesetzt werden kann. Der Rest, also etwa eine Milliarde Bauern, arbeitet mit Hacke oder Machete und den Händen, wobei in Afrika z.B. die Frauen zu 85 Prozent für die Ernährung der Familien zuständig sind.
Die so erklärbare, geringe Produktivität, oft gepaart mit Marktpreisen unter dem Gestehungspreis, ist die Grundlage für die unsichere Versorgung mit Nahrungsmitteln. Als Gründe hierfür, z.B. die niedrigen Marktpreise, sieht Jean Feyder eine verfehlte Politik in den letzten Jahrzehnten. Wurden im Jahre 1979 noch etwa 20 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe in die Landwirtschaft gesteckt, so waren es im Jahre 2005 nur mehr ganze 4 Prozent. Statt aus den Landwirtschaftsministerien die wichtigsten zu machen, wurde eben hier gespart, mit fatalen Folgen. Immer mehr Menschen ziehen vom Lande in die Städte, wo sie in Slums stranden, immer noch unterernährt und ohne Aussicht auf Besserung. Eine Landflucht, die zugleich auch die wenigen fähigen Köpfe, die eine Umkehr der Lage bewirken könnten, ebenfalls betrifft.
„Der Markt regelt alles“
Neben diesem ersten strukturellen Problem haben der internationale Währungsfonds und die Weltbank mit ihrer Entwicklungspolitik ein zweites geschaffen, wie Jean Feyder anführt. Entwicklungsländer, die auf Kredite der beiden Institutionen zurückgreifen wollten, um ihre Schulden zu begleichen und ihre Haushalte in Ordnung zu bringen, wurden gemäß dem Washingtoner Konsensus dazu angehalten, ihre Märkte zu öffnen. Gleichzeitig wurde ihnen angeraten, staatliche Aktivitäten in der Landwirtschaft zu unterlassen. „Der Markt regelt alles“, so das Kredo, mit dem Weltbank und IWF die Länder zudem in eine Spezialisierung ihrer Produktionen drängte, mit der Aufforderung, andere Produkte zu importieren.
Dabei wurde jedoch ein doppeltes Spiel getrieben. Während die Entwicklungsländer mit dem Wink mit dem Geldbeutel quasi dazu gezwungen wurden, ihre Zolltarife auf ein erbärmliches Minimum zu senken, blieben die hohen Zölle innerhalb der Industrienationen bestehen, wie Feyder erläuterte. So lagen die Zollsätze für Getreide in der Europäischen Union z.B. bei 50 Prozent, während sie in der Wirtschafts- und Währungsunion der westafrikanischen Länder auf 5 Prozent fixiert wurden. Das gleiche unfaire Spiel auch bei Milchpulver (87 Prozent gegenüber 5 Prozent), bei Zuckerprodukten (60/20 Prozent) und Fleisch (66/20 Prozent).
Beispiel Haiti
Haiti als weiteres Beispiel. 1980 lagen dort die Zölle bei 50 Prozent, 1996 musten diese auf Druck der internationalen Organisationen auf 3 Prozent gesenkt werden. Die einheimischen Landwirte konnten dort, wie überall in den anderen betroffenen Ländern auch, nicht mehr mithalten. Die einheimische Reisproduktion sank von 100 auf 20 Prozent. Die Bauern wurden ruiniert, was nun auch noch zusätzlich die Importe in diesen Ländern anheizte. Gesamtergebnis: weniger Einnahmen für den Staat, mehr Ausgaben für Importe.
Jean Feyder führte Ghana als weiteres Beispiel an. Als das Land, das zu den stabilsten in Afrika zählt, 2003 ankündigte, seine Zollsätze um bescheidene 3 Prozent von 20 auf 23 anzuheben, und ein entsprechendes Gesetz auch gestimmt worden war, war die Überraschung groß, als das Gesetz kurz danach einfach gekippt wurde. Hintergrund: Eine Delegation des Internationalen Währungsfonds, die zeitgleich in der Hauptstadt Accra über die Vergabe von Krediten entscheiden sollte, hatte angekündigt, dass sie das Land unverrichteter Dinge verlassen würde, sollte das Gesetz aktiviert werden. „Wir vernichten die Arbeitsplätze und die jungen Menschen finden keine Arbeit“, so das Fazit von Jean Feyder.
Clinton: „Wir haben es vermasselt“
Dass die Politik in der internationalen Gemeinschaft inzwischen auch bei Verantwortlichen als gescheitert betrachtet wird, unterstrich der frühere US-Präsident Bill Clinton, als er im Oktober 2008 vor den UN festhielt: „We blew it“ (wir haben es vermasselt). Ausdrücklich bezog er seine eigene Politik mit in die Kritik ein.
Was tun? Um aus der aktuellen Entwicklung auszubrechen, plädiert Feyder für Regierungen, die aktiv an der landwirtschaftlichen Entwicklung arbeiten und sich nicht aus diesem Markt heraushalten. Es gelte, neue Kapazitäten zu schaffen, auch wenn dies den Zielen der WHO nicht entspreche.
Landwirtschaftliche Reformen
Eine wichtige Voraussetzung für eine solche Umkehr sei der Zugang zu Land. Auffallend sei, dass Länder wie China, Japan Südkorea oder Taiwan zu den aufstrebenden Ländern gezählt werden. Und eben dort habe in den letzten Jahrzehnten jeweils eine groß angelegte landwirtschaftliche Reform eingesetzt. 30-40 Prozent des Landes seien umverteilt worden. Zugleich habe man 10-20 Jahre lang starke Schutzzölle angewendet.
Es bedürfe ebenso neuer Strategien wie des Zugangs zu Strom, zur Mikrofinanz und zu neuem Saatgut. Gleichzeitig sollte man das lokale Know-how mit in einen neuen Entwicklungsplan einbeziehen. Neue Märkte sollten durch Zölle geschützt werden dürfen. Handelsbüros sollen wieder eingerichtet und Lebensmittelreserven auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene wieder angelegt werden, so Jean Feyder. Vor allen Dingen jedoch sollten wir unsere eigene Handelspolitik überdenken und anderen Ländern genauso viel Schutz für ihre Märkte zugestehen, wie wir sie für unsere eigenen wollen.
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