Historisches und architektonisches Esch (72)Théâtre municipal

Historisches und architektonisches Esch (72) / Théâtre municipal
Das Escher Theater heute Foto: Christof Weber

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Es war das erste Kulturhaus des Landes. Inspiriert wurde es von den „Maisons de la culture“, die 1959 vom ersten Kulturminister Frankreichs, André Malraux, gegründet wurden, der eine Idee des „Front populaire“ übernommen hatte. Diese „Maisons de la culture“ institutionalisierten die ab 1946 in Frankreich geschaffenen regionalen und nationalen Kulturzentren. Ziel war es, die Bevölkerung sämtlicher französischen Regionen in das künstlerische und kulturelle Leben einzubeziehen, insbesondere durch erschwinglichen oder sogar freien Eintritt. 

Die Demokratisierung der Kultur war eine Herausforderung, die in Esch von Leuten wie dem jungen Jos Wampach, Generalsekretär des „Syndicat d’initiative“, der der erste Direktor des Stadttheaters werden sollte, in Angriff genommen wurde. Um Erfolg zu haben, mussten sie überzeugen. Ab 1949 taten sie dies mit Unterstützung des damaligen Bürgermeisters Michel Rasquin durch ein ganzes Programm „kultureller Präfiguration“, das von Anfang an künstlerische Ausstellungen, literarische Vorträge, Konzerte und Theateraufführungen kombinierte.

Als Vorbereitung auf die doppelte Einweihung einer Stadtgalerie (1958 im neuen Gebäude an der Ecke rue de l’Ecole – Grand-rue eingerichtet) und eines Theaters (1962), die die „maison de la culture eschoise“ bilden sollten. Bis dahin war das Staatsmuseum in Luxemburg die einzige öffentliche Einrichtung mit einem eigenen Budget und Personal für die Organisation von Ausstellungen gewesen.

Das Orchester von Radio Luxemburg war das einzige professionelle Musikensemble, das regelmäßig Konzerte gab, und das „Théâtre de la ville de Luxembourg“ (in der ehemaligen Kapuzinerkirche) organisierte Theateraufführungen. Die Gemeinde Esch verfügte zu dieser Zeit über eine kleine Theaterbühne. Der Nazi-Besatzer hatte sein „Kleines Theater“ im Kino Nouveautés-Palace eingerichtet, das der Notar Ad Gantenbein 1921 auf der place du Brill (Architekt: Albert Thill) errichten lassen hatte.

Hier organisierte Jos Wampach die meisten Aktivitäten der kulturellen Präfiguration: Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen, Kabarett, Filme, Vorträge. Die beiden jährlichen Sinfoniekonzerte fanden im Festsaal der Staatlichen Handwerkerschule statt. Bei Aufführungen mit einer Rundbühne wurde der Festsaal des Arbed-Kasinos benutzt.

Die großen Varieté- und Ballettaufführungen wurden in den Kinos Rex und Empire gezeigt. Ausstellungen, darunter die beiden jährlichen Kunstausstellungen des Staatlichen Museums, vom Leiter der Kunstabteilung Joseph-Emile Muller organisiert, fanden im großen Saal im dritten Stock des Rathauses statt.

Der Erfolg dieses Programms bei der Bevölkerung, den Schülern und sogar der Öffentlichkeit der Grenzregionen veranlasste die Gemeindeführung, ein neues multifunktionales Theater anstelle des Nouveautés-Palace zu bauen und gleichzeitig das Gelände zwischen der rue de l’Alzette und der rue Pasteur zu integrieren. Der Escher Stadtarchitekt Robert Van Hulle zeichnete für die Pläne verantwortlich.

Am 15. April 1957 wurde mit den Stimmen der sozialistischen/christlich-sozialen Mehrheit des Bürgermeisters Antoine Krier ein Kredit von 35 Millionen Franken beschlossen. Die Gründung der „Amis du théâtre municipal d’Esch“ und der „Jeunes amis du théâtre“ im Jahr 1959 zeigt, dass dieses ehrgeizige Projekt in einer Zeit, in der Kino, Fernsehen und Radio ihren Siegeszug antraten, nicht auf einhellige Zustimmung stieß.

Robert Van Hulle, Sohn eines auf Tunnelbau spezialisierten flämischen Ingenieurs, der nach Lothringen und dann nach Luxemburg eingewandert war, war von 1953 bis 1972 Architekt der Stadt Esch. Für die „Maison de la culture“ entwarf er ein monumental anmutendes Gebäude, dessen angeschnittene Fassade jener der gegenüberliegenden „Ecole du Brill“ entspricht.

Stadtarchitekt verweigert Teilnahme

Diese Fassade – wie auch die über den Seiteneingängen – ist durch mehrfarbige Mosaikfenster mit Glasmalerei gekennzeichnet. An der Hauptfassade ist das flache Mansarddach mit polychromen Keramikreliefs verziert, auf denen Figuren dargestellt sind, die die vielfältigen künstlerischen Ausdrucksformen des Stadttheaters symbolisieren: Theater, Oper, Tanz, Musik, bildende Kunst. Am Tag der Einweihung, dem 26. Mai 1962, in Anwesenheit von Großherzogin Charlotte, Prinz Félix und dem Erbgroßherzog, kam es zum Eklat.

Der Sozialist Robert Van Hulle, der den republikanischen Idealen seiner Jugend treu blieb, weigerte sich trotz des Drucks des Bürgermeister- und Schöffenkollegiums, an der offiziellen Zeremonie teilzunehmen. Er erklärte sich in einem Brief: „J’ai le profond regret de vous informer qu’il m’est impossible d’assister à l’ouverture solennelle du théâtre municipal, qui aura lieu en présence de LL. AA. RR. Afin de justifier ma conduite peu conforme aux règles admises, j’ai l’honneur de vous dire que mes opinions politiques et ma conscience de démocrate ne me permettent pas de participer à cette manifestation.“

Das neue Theater wurde zum modernsten Theater im Großherzogtum (das „Neie Theater“ in Luxemburg-Stadt wurde 1964, zwei Jahre später, eröffnet). Das Auditorium hat eine ovale Form. Die Sitzplätze auf dem Parkett und auf den beiden Balkonen sind als Amphitheater angeordnet. Der Orchestergraben, dessen Boden angehoben werden kann, bietet Platz für 60 Musiker. Die Bühne ist 17 m breit, 18 m tief und 26 m hoch. In den Pausen stehen den Besuchern vier große Foyers zur Verfügung, die auch für Ausstellungen genutzt werden können. Auf der Seite der rue Pasteur befinden sich Künstlerlogen für bis zu 120 Personen. Von der rue Pasteur aus ermöglicht ein breiter Korridor die Durchfahrt eines Lastwagens, um das Material direkt zur Bühne zu transportieren.

Das Theater bietet dem Publikum aus Esch, Luxemburg und den Grenzregionen das vielseitige Programm, das Jos Wampach seit 1950 angeboten hatte: klassisches Theater, Kammertheater, Rundtheater, Opern und Operetten, Ballett und Volkstänze, Konzerte, Kammermusik und Liederabende, Kunstausstellungen, Vorträge, Filmprojektionen und Varieté. Eine vollständige energetische, sicherheitstechnische und akustische Sanierung wurde nach etwa 30 Jahren in mehreren Etappen durchgeführt (Architekten: Beng).

Die erste Phase der 1996/1997 begonnenen Arbeiten betraf den öffentlichen Teil: die Anpassung des Saals, der nun mehr als 500 Zuschauer fasst, und seiner Foyers an den heutigen Standard. Bei dieser Gelegenheit wurde das Erdgeschoss dank großer Türen und Fensterflächen weit nach außen geöffnet. Die zweite Phase der technischen Arbeiten von 2008 bis 2011 ermöglichte die Erweiterung und vollständige Erneuerung des Bühnenkäfigs, die Erweiterung und Schaffung neuer Umkleideräume und Verwaltungsbüros, die Einrichtung eines großen Probenraums unter dem Dachboden sowie technische und szenografische Installationen nach internationalen Standards.

Seit 2011 ist der Zugang zum Theater dank des Baus eines Verbindungstunnels von der Tiefgarage auf der place de la Résistance aus möglich. Mit modernster Technik ausgestattet (aber immer noch mit weniger als einem Viertel des Budgets des „Neien Theater“ der Hauptstadt), führt das Theater die unter der Leitung von Jos Wampach begonnene und von Guy Wagner, Philippe Noesen und Charles Muller fortgesetzte kulturelle Arbeit, seit 2018 unter der ersten Direktorin, Carole Lorang, weiter.

Vielleicht immer noch inspiriert von den Worten des Präsidenten der „Amis du théâtre municipal d’Esch“ und Direktors des „Lycée de jeunes filles“, Albert Goedert, aus dem Jahr 1962: „Une fois que le théâtre est allé vers le peuple et qu’il s’est mis à parler à des auditoires élargis, il est apparu que toute ville, petite ou grande et jusqu’à d’humbles bourgades, pouvaient l’accueillir. Il s’est confirmé que le théâtre, le grand et vrai théâtre, peut et doit être, sous peine de dépérir, un art populaire, comme il l’a été à ses débuts et aux époques d’intense floraison dramatique.“

Postkarte von Esch aus den 1960er Jahren mit den Wahrzeichen Bahnhof (Wirtschaft), Theater (Kultur) und Rathaus (Politik)
Postkarte von Esch aus den 1960er Jahren mit den Wahrzeichen Bahnhof (Wirtschaft), Theater (Kultur) und Rathaus (Politik) Foto: Archives de la Ville d’Esch, Postkartensammlung