/ So nah und doch so fern
Die Großregion als politisches Konstrukt, deren Fundament der Arbeitsmarkt sein sollte, besteht lediglich auf dem Papier. Die Ursachen liegen unter anderem in der mangelnden politischen Kooperation zwischen den deutschen, französischen und belgischen Regionen und dem souveränen Staat Luxemburg, aber auch im egozentrischen Leben der französischen Großstädte in Lothringen. Dieser Ansicht ist Roger Cayzelle, Präsident des Wirtschafts- und Sozialrates Lothringens. Am Mittwochabend hielt er im Auditorium der BGL in Luxemburg eine Konferenz ab. Eingeladen hatte die französische Botschaft.
Vor einem halben Jahrhundert war Lothringen die reichste Region Frankreichs. Heute ziehen seine Einwohner zu Zehntausenden ins Nachbarland Luxemburg zur Arbeit. Für viele Lothringer sei Luxemburg ein Rätsel, so Cayzelle. Ein Land, auf das man vor einem halben Jahrhundert noch als ein kleines, sympathisches Land blickte – adrett, fein säuberlich in Ordnung gehalten wie ein Vorstadtgärtchen, zitierte Cayzelle Françoise Bernard, eine in den 1960er Jahren bekannte Publizistin. Auch heute noch hätten manche Franzosen, zumal in Paris, ein verzerrtes Bild von Luxemburg, das sie lediglich als Steuerparadies betrachten würden.
Flamen und Wallonen
Das Verhältnis zwischen Luxemburgern und Lothringern verglich Cayzelle mit Flamen und Wallonen, wobei die Luxemburger die Flamen, die Lothringer die Wallonen abgeben. Dabei würde Luxemburg mitunter verdächtigt, Lothringen Arbeitskräfte wegzunehmen.
Manche würden sogar von einer Luxemburger Gefahr reden. Doch hängt die Zukunft Lothringens eng mit jener Luxemburgs zusammen, und umgekehrt, so der Präsident des WSR Lothringens.
Unerlässlich sei eine politische Zusammenarbeit in der Großregion. Doch dazu gebe es vorerst kaum wirksame Instrumente. Die aktuelle politische Konstruktion bezeichnete er als obsolet. Zu schwach seien die Beziehungen auf politischem Plan.
Ein großes Signal habe jedoch Luxemburg mit der Schaffung eines Ministeriums der Großregion gegeben, betonte der Präsident des Wirtschafts- und Sozialrats.
Große Mängel sieht Cayzelle vor allem bei seinen eigenen Landsleuten. Sind Luxemburg, das Saarland, Rheinland-Pfalz und die Wallonie bei politischen Begegnungen der Großregion von jeweils einem Spitzenpolitiker vertreten, entsendet Lothringen bis zu vier Männer oder Frauen: den Präsidenten des „Conseil régional“, den Präfekten der Region, die Präsidenten der „Conseils généraux“ der „Moselle“ und der „Meurthe-et-Moselle“. „Si le ridicule tuait, nous serions, nous les Lorrains, rayés définitivement de la carte nationale“, ironisiert Cayzelle in seinem soeben erschienenen Buch „La Lorraine en face“.
Spritzig und humorvoll erzählte er am Mittwochabend aus dem politischen Mikrokosmos Lothringens, geißelte die mangelnde politische Bereitschaft Lothringens, in der Großregion mit einer Stimme zu reden. Sein Vorschlag, dessen Realisierung er jedoch selbst bezweifelte: Paris sollte eine Art Sonderbotschafter Lothringens ernennen, eine Kontaktperson für die anderen Partner der Großregion.
Mangelndes Interesse
Lothringens Städten riet Cayzelle zu einer stärkeren Kooperation. Zwar hätten sich Nancy oder Metz verändert; sie seien in den vergangenen Jahren attraktiver geworden. Doch das Gefühl einer Metropole vermittle nur Luxemburg-Stadt, obwohl sie kleiner sei. In Luxemburg könne man fast alle internationalen Zeitungen kaufen. Im Vergleich dazu sei Metz tiefste Provinz, illustrierte Cayzelle seine These. Lothringens Städte müssten sich vernetzen, miteinander reden, statt sich demonstrativ zu meiden.
Mangelndes Wissen über den Nachbarn, aber auch Interessenlosigkeit am jeweiligen politischen Leben des Anderen beherrschten die Diskussion im Anschluss an Cayzelles Ausführungen. Tatsächlich interessierte sich in Lothringen so gut wie niemand für die Parlamentswahlen in Luxemburg, wo sich wiederum niemand für die Regionalwahlen in Lothringen erwärmen konnte.
Kaum zu überwinden sind derzeit auch die administrativen Hürden bei gemeinsamen, grenzüberschreitenden Projekten. Nicht möglich sei es beispielsweise, einen Chor mit Jugendlichen aus den vier Ländern der Großregion aufzubauen, beschwerte sich eine Diskussionsteilnehmerin, da nicht gewusst sei, wie diese Asbl. rechtlich gestaltet werden könne.
Andere Gesprächsteilnehmer beklagten sich über Verkehrshütchen am französischen Grenzübergang Zoufftgen, die den Verkehrsfluss in Richtung Frankreich ungemein störten, über das fehlende Interesse französischer Forscher und Lehrer für eine Arbeit an Luxemburger Forschungseinrichtungen …
Luxemburg und Lothringen, so nah und doch so fern.
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