TrierIm Prozess um die Amokfahrt befreit die Richterin eine Zeugin von einer großen Last

Trier / Im Prozess um die Amokfahrt befreit die Richterin eine Zeugin von einer großen Last
Der Angeklagte betritt an einem früheren Prozesstag den Gerichtssaal. Foto: Rolf Seydewitz

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Erneut haben Zeugen im Trierer Landgericht am Dienstag (25.1.) den Moment geschildert, als die schreckliche Amokfahrt vor 14 Monaten begann. Und trotzdem gab es an diesem Prozesstag eine Besonderheit – und Tränen der Erleichterung.

Kann es in einem für alle Prozessbeteiligten und -beobachter so schwierigen und fordernden Verfahren wie dem Trierer Amokprozess Momente geben, die einfach nur schön und rührend sind? Am Dienstag, dem inzwischen 19. Verhandlungstag im Mordprozess gegen einen 52-jährigen Tatverdächtigen aus dem Trierer Stadtteil Zewen, gibt es diesen kleinen Augenblick. Als die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz einer Zeugin kurz vor der Mittagspause sagt, dass ein tot geglaubtes Opfer des Amokfahrers die brutale Attacke am 1. Dezember 2020 überlebt hat, steigen der 43-jährigen Frau Tränen in die Augen. Die Zeugin schaut die nur zwei Meter von ihr entfernt sitzende Chef-Richterin ungläubig an, und beinahe versagt ihr ein wenig die Stimme, während sie leise „Danke!“ sagt. Es ist, als fiele in dem Moment eine schwere Last von ihr.

Erleichterung während der Aussage

Minuten zuvor hat die 43-Jährige berichtet, wie sie diesen so schrecklichen Tag erlebt hat. Die Zeugin stand vor einer Bäckerei, als der Geländewagen aus der Konstantinstraße in die Fußgängerzone flog, wie sie sagt, und eine Passantin erwischte. „Sie ist einfach regungslos da liegengeblieben“, erinnert sich die 43-Jährige an das dramatische Geschehen. Dann sei der Geländewagen auch schon weitergerast, „und ich hab‘s nur noch knallen gehört“.

„Was ich da gesehen habe, hat mich mit einem solchen Entsetzen erfüllt, als hätte jemand die Zeit angehalten und als hätte sich etwas über mich gelegt“, schildert die Frau ihre Empfindungen unmittelbar danach. Obwohl sie unverletzt geblieben sei und eigentlich der Frau helfen wollte, habe sie in dem Augenblick nicht mehr handeln können. Auch in den Tagen und Wochen nach dem Gewaltverbrechen habe das Gesehene ihr „ganzes Denken, Handeln und Fühlen dominiert. Und meine Gedanken kreisten immer wieder um die Frage: War die Frau sofort tot? Oder hat sie noch etwas mitbekommen, bevor der Wagen sie umgefahren hat?“

Mit der Zeit gelang es der Augenzeugin, die Gedanken in den Hintergrund zu schieben und zumindest etwas in den Alltag zurückzufinden. „Ich hatte einen Weg gefunden, damit umzugehen“, sagt sie, bis – ausgerechnet am Jahrestag der Amokfahrt – sie die Ladung zur Gerichtsverhandlung bekommen habe. Da kamen die schlimmen Gedanken wieder hoch – an den brutalen Amokfahrer, die regungslos in der Fußgängerzone liegende Frau und das Entsetzen in den Gesichtern der Passanten.

Im großen Sitzungssaal des Landgerichts ist es ganz still, als die Zeugin dies erzählt. Und die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz wartet einen Augenblick, als wolle sie die Dramatik noch steigern, bis sie in Richtung der schräg vor ihr sitzenden Zeugin sagt: „Damit Sie diese Ungewissheit nicht mehr haben: Die Frau hat überlebt.“

Bis heute Angstzustände

Die 43-Jährige ist nicht die Einzige, die das zweite Opfer des Amokfahrers tot wähnten. Auch am vorausgegangenen Prozesstag sagten mehrere Augenzeugen aus, dass die Frau den Aufprall nicht überlebt haben könnte.

Die inzwischen pensionierte Verwaltungsangestellte hat das Gewaltverbrechen überlebt und an einem der vorausgegangenen Prozesstage auch schon selbst als Zeugin ausgesagt. An das Geschehen selbst kann sich die 64-Jährige nicht mehr erinnern. „Meine Erinnerung setzt erst wieder ein, als ich auf dem Boden lag und Rettungskräfte an mir gearbeitet haben.“

Sie erlitt unter anderem mehrere Rippenbrüche und eine Schädelfraktur, lag vier Tage auf der Intensivstation, bis sie aus dem Gröbsten raus war. Und wie andere Opfer und Zeugen auch leidet die 64-Jährige immer noch unter dem Geschehen, hat Angstzustände beim Autofahren oder als Fußgängerin Herzrasen, „wenn ein Auto an mir vorbeikommt“.

Der Mordprozess gegen den 52-jährigen Tatverdächtigen ist bis Ende April terminiert.

Dieser Artikel erschien zuerst im Trierischen Volksfreund.