„Müssen die bestehende Industrie halten“

„Müssen die bestehende Industrie halten“
(Tageblatt-Archiv)

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„Bevor wir darüber reden, Luxemburg zu reindustrialisieren, müssen wir uns Gedanken darüber machen, die bestehende Industrie in Luxemburg zu halten“, sagte Jean-Claude Bernardini, Mitglied des Zentralvorstandes des OGBL bei den Wirtschaftstagen.

Erstmals hat bei den von PWC organisierten Luxemburger Wirtschaftstagen ein Gewerkschaftsvertreter das Wort zu Problemen des Landes erhalten. Die Unterschiede zu Auffassungen von Wirtschaftsvertretern zur Situation der luxemburgischen Wirtschaft waren dabei nicht so groß, wie zu erwarten gewesen wäre.

„Bevor wir darüber reden, Luxemburg zu reindustrialisieren, müssen wir uns Gedanken darüber machen, die bestehende Industrie in Luxemburg zu halten“, sagte Jean-Claude Bernardini, Mitglied des Zentralvorstandes des unabhängigen Gewerkschaftsbundes OGBL. Dieser gedankliche Ansatz entsprach auch dem von Marc Solvi, Vorstandsvorsitzender des Ingenieurunternehmens Paul Würth. „Für Europa besteht die einzige Möglichkeit, zu einem nachhaltigen, wirtschaftlichen Wachstum zu kommen und seine industrielle Basis zu bewahren, dazu dauerhaft die Umwelt zu schützen, in der sozialen und technologischen Innovation“, sagte er. Hier bewegte sich Bernardini weiter als Raymond Schadeck, der als Redner zuvor die Innovationsergebnisse in Luxemburg sehr kritisch und als ungenügend beurteilt hatte.

Bernardini betrachtete den europäischen Rahmen der Industrie und er betrachtete, was nicht anders zu erwarten und sogar gewünscht war, Bewahrung von Industrie und Neu-Ansiedlung von Industrie aus dem Blickwinkel Europa und des Arbeiters. Dabei tauchte immer wieder der Gedanke des Schutzes der Arbeiter auf, den Bernardini mit dem europäischen Gedankenverband. „Uns fehlt in Europa immer noch eine kohärente und globale Industriestrategie, bei der die Gewerkschaften einer der zentralen Akteure sein müssten“, sagte er und kritisierte: „In dieser Krisenzeit hat sich mancher Mitgliedsstaat der Europäischen Union auf nationale Entscheidungen zu seiner Industriepolitik zurückgezogen, anstatt sich in einer Stärkung der innereuropäischen Kooperation zu engagieren. Es wäre nicht unnütz, wenn man innerhalb der Kommission eine Generaldirektion der Industriepolitik gründen würde“, fügte er an.

Keine Zukunft ohne Industrie

Bernardini warb darum, sich von dem Mythos des „Post-Industriellen“ zu trennen. „Ein Land“, sagte er, „entwickelt sich, weil es eine Industrie hat. Ein Land ohne Industrie hat keine Zukunft.“ Man müsse eine europäische Lohnpolitik einführen, die allen Arbeitnehmern ein sicheres und gerechtes Einkommen sichere. Die Vertiefung von Ungleichheiten und eine massive Verarmung von Arbeitern bewirkten in Europa eine tiefgehende soziale Rezession.

Für Luxemburg bedeute das die Bewahrung des Prinzips eines sozialen Mindestgehaltes mit gehobenem Niveau, wobei seine jeweilige Anpassung durch eine Indexierung der Gehälter zu erfolgen habe. Wenn man daher von Reindustrialisierung spreche, dann bedeute das eine enge Integration der sozialen Dimension in die Industriepolitik. Bernardini scheute sich nicht, ausdrücklich ein wirtschaftliches Wachstum, verbunden mit einer Verbesserung der jeweiligen Arbeitsbedingungen zu fordern. Beides sei Grundlage für eine makroökonomische Politik.

Qualitätsarbeitsplätze

Die Verbindung der Makroökonomie und der Industriepolitik müsse den Auftrag haben, die Schaffung und die Bewahrung von Qualitätsarbeitsplätzen zu unterstützen. Die monetären, fiskalischen und budgetären Politiken müssten nachfrageorientiert sein und in diesem Sinne auch unterstützt werden. Mit anderen Worten: Bernardini wehrt sich gegen eine Ausweitung von prekärer Arbeit, wehrt sich gegen die Ausweitung von Zulieferungsarbeiten und verlangt die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen, die gleichzeitig sicher sein sollen.

Bewahrung von Arbeitsplätzen, aber auch neue Arbeitsplätze im Rahmen einer Reindustrialisierung müssten anhand eines konkreten Investitionsprogrammes und eines Ausbildungsprogrammes bewerkstelligt werden, forderte Bernardini weiter. Dabei müsse es auf europäischer Ebene einen klaren, bindenden Rahmen geben, der die Industrie verpflichten solle, ihre Forschungsergebnisse auf der jeweils lokalen Ebene umzusetzen und dadurch entweder neue Produkte oder sogar neue Produktionseinheiten zu schaffen. Bernardini befand sich mit dieser Forderung wieder bei Raymond Schadeck, der bei den Untersuchungen für seinen Vortrag gerade mal 106 Patente aus der Innovationsforschung und Förderung entdeckt und dies als zu wenig bezeichnet hatte.

Dauerhafte Qualifizierung

Bernardini zog aus seiner Forderung nach Innovation aber eine andere Schlussfolgerung. Innovation, Forschung, Entwicklung seien die Grundlage dafür, dass auf europäischer Ebene die Abschaffung von Arbeitsplätzen, Versetzungen und auch die Schaffung von Arbeitsplätzen ein zentrales Thema der Ausbildung der Arbeitsmarktpolitik und der Sozialpolitik sein müssten. Seine Gewerkschaft fordere geradezu Ausbildung, Fantasie, und Innovation sowie die Notwendigkeit, jedem Arbeiter Zugang zu neuen und besseren Fähigkeiten zu gewähren. Anders ausgedrückt: In der dauerhaften Qualifizierung sieht Bernardini die Sicherung des Arbeitsplatzes.

„Die Zukunft der Industrie“, sagte das Mitglied des Zentralvorstandes des OGBL abschließend, „ist eng verbunden mit einer Modernisierung auf ökologischen Grundsätzen. Die Industrie müsse daran arbeiten, Energie effizienter zu nützen und die Abhängigkeit von Rohstoffen zu verringern, ein Öko-Konzept, das auf die jeweilige Industrie zugeschnitten ist. Recycle-Verfahren und eine Kreislaufwirtschaft, die aus recycelten Produkten neue schaffe, seien Grundlagen für eine moderne Industrie. Ernardini verlangte von der Industrie eine vorausschauende Politik.

Er verlangte die Einbeziehung des Klimawandels in die politisch strategischen Überlegungen für verschiedene Industriesektoren. Eine Wirtschaft der Verringerung des CO2-Ausstoßes würde sich in erheblichem Maße in einem neuen Angebot und einer neuen Nachfrage nach Arbeit niederschlagen, gleichzeitig zu neuen Qualifikationen innerhalb von Industriesektoren und auch Sektoren-übergreifend führen, erläuterte er unter dem Beifall der Zuhörer.