/ „Menschlicher Fehler als entscheidender Faktor“

Wir unterhielten uns im Vorfeld mit dem Direktor der „Sécurité routière“, Paul Hammelmann, der seit 30 Jahren auch juristischer Berater und zuständig für die Kommunikation beim Luxemburger Verband der Versicherer (ACA) ist, über die eher soziologische und gesellschaftspolitische Seite der Unfallverhütung.
Tageblatt: Als Jurist beraten Sie seit Jahren schon den Verband der in Luxemburg tätigen Versicherer. Wie lange betreuen Sie denn nun die „Sécurité routière“, in der ja auch Akteure wie das Rote Kreuz, das die Vizepräsidentschaft innehat, die Sozialversicherungen, die Automobilhändler und viele andere mehr vertreten sind?
Paul Hammelmann: „Ich bin der ’Sécurité routière’, die übrigens im laufenden Jahr ihr 50. Jubiläum feiert, im Laufe des Jahres 1980 als Kontenkommissar beigetreten. Im Jahre 1994 habe ich dann die Präsidentschaft übernommen.“
„T“: Mit welcher Mannschaft leisten Sie diese Arbeit?
P. H.: „Unter der Direktion von Isabelle Medinger arbeiten Lydie Cruchten-Kaiffer, Yassa Eisen und Marco Barone für die Belange der ’Sécurité routière’.“
„T“: Was hat sich in der Zeit ihrer Aktivitäten bei der angestrebten Unfallverhütung, seien wir einmal optimistisch, zum Guten verändert?
P. H.: „Sehr viel. Hauptsächlich haben sich die Mentalitäten und die Sicht auf die Problematik verändert. Ein eminenter französischer Soziologe pflegt zu sagen, dass gesellschaftliche Phänomene wie Aids, Klimawandel oder denn auch der alltägliche Tod auf unseren Straßen immer drei Etappen brauchen, ehe ihre Tragweite von der gesamten Gesellschaft verinnerlicht wird. Die erste ist die politische Sorge um die Betroffenen, die zweite ist der staatliche Einsatz und die dritte und letzte Etappe ist die schon erwähnte Verinnerlichung der Problematik in der gesamten Zivilgesellschaft.“
Vorsichtstatt Angst
„T“: Man könnte also von einer Bewusstseinserweiterung auf allen Ebenen der Zivilgesellschaft und deren Gestaltungsmöglichkeiten sowohl im privaten wie öffentlichen Bereich sprechen?
P. H.: „Jawohl. Und entgegen der Aids-Problematik, um nur diese zu nennen, hat unser Dossier relativ viel Zeit in Anspruch genommen, um diese drei Etappen zu durchlaufen.“
„T“: Ist das vielleicht auch auf die weit verbreitete Mentalität „das passiert ja nur den anderen!“ zurückzuführen?
P. H.: „Sicher, doch wurde diese Mentalität bei der Aids-Problematik, wo anfangs nur Risikogruppen betroffen schienen, Lügen gestraft. Was nun die tödlichen Unfälle angeht, so will ich nur ein Beispiel anführen:
Wenn ein Autofahrer z.B. auf dem Weg in die Ferien auf der Autobahn einem schweren Unfall begegnet, steigt er, nachdem er mehr oder weniger lang den Blick nicht abwenden konnte, erstmal automatisch vom Gas, um aber eine je nach Temperament bemessene Zeit später wieder seine normale Kursgeschwindigkeit aufzunehmen. Glücklicherweise ist das so, ist man versucht zu sagen, denn sonst könnte der Mensch nicht funktionieren.
Wenn diese Bilder nämlich permanent präsent wären, würden wir ja zittern vor Angst und könnten wohl kaum noch ein Steuerrad halten.“
„T“: Wie haben Sie denn mit der „Sécurité routière“ diese drei sogenannten soziologischen Etappen durchlaufen?
P. H.: „Nun, am Anfang waren wir die Rufer in der Wüste. Neben der Prävention haben wir aber auch aktiv Lobbying gemacht, mit dessen Früchten wir die zweite Etappe überhaupt erst starten konnten, unter der ich die politische Bewusstseinsbildung und die daraus erfolgende staatliche Fürsorge verstehe. Zurzeit sind wir auf der dritten Etappe unterwegs (der Verinnerlichung der Problematik im gesellschaftlichen Bewusstsein), deren Ziel zu erreichen, wir uns bemühen.“
„T“: Es sind also nicht allein die Versicherungen, die aus Kostengründen ihre Bewegung unterstützen?
P. H.: „Nein, auch wenn sich die Versicherungen als Erste um die katastrophale Entwicklung auf unseren Straßen wussten und sich konsequenterweise Sorgen machten, sind es, wie schon erwähnt, Entscheidungsträger aus allen Schichten unserer Gesellschaft, die gemeinsam mit uns an einem Strick ziehen.“
Selbstverantwortung fördern
„T“: Was hat dieses kollektive Bewusstsein, wenn es denn bestehen sollte, an der Problematik verändert?
P. H.: „Um es in einem Satz zu sagen: Heute ist es nicht mehr ’schick’, sich betrunken ans Steuer zu setzen. Daneben sind viele potenzielle Beifahrer nicht mehr gewillt, sich nach einer durchzechten Nacht von einem betrunkenen Verkehrsteilnehmer nach Hause fahren zu lassen. Und da wäre noch das beste Beispiel: Das Kleinkind, das aus seinem sicheren Kindersitz auf der Rückbank heraus seinen Mitfahrern rät, den Sicherheitsgurt anzulegen.“
„T“: Das ist natürlich ein unschlagbares Argument. Doch haben Sie noch mehr Beispiele der kollektiven Bewusstseinsbildung?
P. H.: „Da wären ganz konkrete wie der ’Nightrider’ oder die gut bei der Bevölkerung angekommene Aktion ’Raoul’, welche die der ’gelben Kappe’ ergänzte, bei der einer der Feiernden sich bereit erklärt, nüchtern zu bleiben und seine Freunde – wenn kein Betrunkener dazwischenkommt – sicher nach Hause zu fahren.“
„T“: Nach diesen Ausführungen zu den präventiven Maßnahmen aber nun noch eine Frage zur Repression. Wie wir der Bilanz der „Sécurité routière“ entnehmen, wurden seit der Einführung strengerer Alkoholgesetze die Führerscheine ja körbeweise einbehalten. Fahren seither immer mehr Leute ohne Fahrlizenz, und, was noch gefährlicher ist, auch ohne Versicherung?
P. H.: „ Im sozial bestens abgesicherten Luxemburg noch nicht, doch kann man dieses Phänomen in Frankreich beobachten. Doch ist dies nicht eine Frage der Unfallvermeidung, sondern der Entschädigung.“
„T“: Ist man überhaupt versichert, wenn man keinen Führerschein besitzt?
P. H.: „Nein, doch wird das Opfer vom Garantiefonds entschädigt und es kann Rekurs auf den schuldigen Fahrer genommen werden. Man kann abschließend sagen, dass sich ein Verkehrsteilnehmer, der ohne Führerschein und Versicherung unterwegs ist, sich einer konsequenten Haftstrafe aussetzt.“
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