/ LEITARTIKEL/Starke Jugendliche
In den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte die Magersucht zuletzt durch die medienwirksame und nicht unumstrittene Werbekampagne für eine italienische Modemarke mit dem Bild einer nackten anorektischen Frau. Die Zahl der von dieser psychisch bedingten Erkrankung Betroffenen, die ihre Nahrungsaufnahme drastisch einschränken mit dem Ziel, Körpergewicht zu verlieren, hat in den letzten Jahren erschreckend zugenommen. Schätzungen zufolge sind bis zu drei Prozent der Jugendlichen von Magersucht betroffen. In Luxemburg geht man von 200 bis 300 erkrankten Personen aus. Anorexie tritt zwar vorwiegend bei Mädchen – in den meisten Fällen bei ehrgeizigen und intelligenten jungen Frauen – und meist in der Pubertät auf, befällt inzwischen aber auch männliche Jugendliche. Und Magersucht ist potenziell gefährlich, führt sie doch in rund zehn Prozent der Fälle durch einen Abbau des Gewebes und schließlich der lebenswichtigen Organe zum Tod. Aber auch wenn die lebensbedrohliche Situation noch abgewendet werden kann, kommt es in vielen Fällen zu dauerhaften Gesundheitsschäden. Zu den Ursachen der Anorexia nervosa gibt es viele Vermutungen, aber kaum gesicherte Erkenntnisse. Als Grund für das selbstschädigende Verhalten werden Störungen im Körperbild und im weiblichen Selbstwertgefühl vermutet. Oft spielen in den jeweiligen Krankheitsgeschichten konfliktgeladene Familienstrukturen eine wichtige Rolle. Ob und inwiefern die Mode- und Medienbranche mit zuweilen schlechten Vorbildern eine Mitschuld an einem übertriebenen Schlankheitswahn und der damit verbundenen Magersucht tragen, ist umstritten.
Tabuthema
Vergangene Woche haben die CSV-Abgeordneten Martine Stein-Mergen und Laurent Mosar einen Gesetzesvorschlag zur Bekämpfung von Magersucht vorgelegt. Kernelement des Textes ist, dass zukünftig die Anstiftung zu Anorexie unter Strafe gestellt werden soll. Zu diesem Zweck wollen die beiden Abgeordneten zwei neue Delikte im Strafgesetzbuch einführen: Erstens soll die Unterstützung von magersüchtigem Verhalten und zweitens die Werbung für ein solches unter Strafe gestellt werden. Visiert sind nach Aussagen der beiden Autoren vor allem Zeitungen und Internetseiten, die offen Magersucht verherrlichen. Anrechnen muss man den beiden Politikern, dass sie, in der an politischen Themen eher armen außerparlamentarischen Sommerzeit, das immer noch allzu oft tabuisierte und in seiner Ernsthaftigkeit unterschätzte Thema Magersucht mit ihrem Vorstoß ins Licht der Öffentlichkeit rückten. Zweifeln muss man aber an der Effizienz der vorgeschlagenen Gesetzesregelung. Denn ähnlich wie bei der Zigarettenwerbung hat ein Verbot von einschlägigen Annoncen oder Internetseiten auf ausschließlich nationaler Ebene keinen Sinn. Denn die anvisierten Medien operieren aller Wahrscheinlichkeit nach (fast) ausnahmslos aus dem mehr oder weniger weit entfernten Ausland. Wenn überhaupt, dann ergibt in diesem Zusammenhang nur eine gesamteuropäische Gesetzgebung Sinn. Außerdem stellt sich die Frage, ob es mit Repression allein getan ist. Oder anders gefragt: Wird die Abbildung von zukünftig üppigeren Models in Modezeitschriften die Magersucht-Problematik eindämmen? Genauso wie das Verbot gewalttätiger Videospiele Jugendliche wieder zu friedfertigen Mitbürgern macht? Wohl kaum. Fakt ist, dass es sich bei Anorexie (wie auch bei Bulimie) um eine Suchtkrankheit handelt, die therapeutisch nur schwer in den Griff zu bekommen und bei der die Rückfallquote beträchtlich ist. Eine umso wichtigere Rolle kommt dementsprechend der Prävention zu. Ansetzen sollte man also vordergründig nicht bei den „Tätern“, sondern bei den potenziellen „Opfern“, bei den weiblichen (und männlichen) Jugendlichen. Und sie durch Informationskampagnen über die Risiken von Essstörungen sowie die Wichtigkeit gesunder Ernährung aufklären. Gleichzeitig und vor allem sollte man versuchen, familiäre Probleme und/oder Alarmsignale frühzeitig zu erkennen und anzusprechen. Nur auf diesem Weg können Kinder und Jugendliche stark werden. Nicht nur gegen Essstörungen.
twenandy@tageblatt.lu
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