LEITARTIKEL: Arm und ärmer

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Im September letzten Jahres hatten die Vereinten Nationen zum Abschluss des UN-Entwicklungsgipfels 16 Milliarden Dollar zusätzlich für den Kampf gegen die weltweite Armut aufgetrieben. / Roger Infalt

Regierungen, Stiftungen, Unternehmen und gemeinnützige Organisationen sagten das Geld für unterschiedliche Projekte zu. Dieses Treffen hatte man einberufen, um die schleppende Umsetzung der im Jahr 2000 beschlossenen Millenniumsziele zur Bekämpfung der globalen Armut voranzutreiben.
Alles schön und gut, doch …
In diesen Tagen, wo wir uns durch den Dschungel der Geschenke schlagen, wo wir uns von den Angeboten der Boutiquen anlocken lassen, wo wir uns Gedanken über das Festtagsmenü machen und jetzt bereits Lachs und Kaviar reservieren, damit wir am 24. oder 31. Dezember nicht ohne dasitzen, in diesen Tagen, wo wir uns die Köpfe über unsere Garderobe zum Jahresende zerbrechen, wo wir unsere Villen mit Lichterketten schmücken und Lastwagenladungen an Dekorationsartikeln in die Wohnungen kippen, in diesen Tagen, wo wir uns auf die Jahresendfeiertage, auf das kommende Jahr usw. freuen, stehen viele unserer Mitmenschen rund um den Erdball am Abgrund.

Ein harter Kampf

Das Leben ist für sie zu einer wahren Schmach geworden. Täglich müssen sie hart kämpfen, um zu überleben, dabei sind sie physisch und psychisch längst am Ende. Der Hunger plagt sie, sie haben kein Dach über dem Kopf, von Bildung oder irgendeinem sozialen Netz, das sie auffangen könnte, kann schon gar nicht die Rede gehen. Sie verarmen zunehmend, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute.
Noch in dem Moment, wo wir Milliarden an Geldern im Kampf gegen die weltweite Armut einsetzen, steigt die Zahl der armen Menschen mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Und das nicht nur in Gebieten weit von unserem – oft gemeint – paradiesischen Land Luxemburg entfernt.
Hierzulande gibt es sie auch, die Armut. Wir sprechen hier vielleicht weniger von der absoluten als von der relativen Armut. Es gibt wohl Mitbürger, die am Randder Existenz leben, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen, doch bei der Mehrheit unserer armen Mitbürger handelt es sich um solche,die unter einer sozio-kulturellen Verarmung leiden, womit der Mangel an Teilhabe an bestimmten sozialen Aktivitäten als Folge der finanziellen Enge gemeintist. So geraten sie schnell an den äußersten Rand der Gesellschaft.
Nur ein einziges Beispiel: 17 Prozent aller in Esch lebenden Jugendlichen über 16 Jahren sind arbeitslos. Jawohl – siebzehn Prozent! Ob mit oder ohne Schulabschluss! Diese Jugendlichen haben meist keinen Halt mehr, weder in ihrer eigenen Familie noch sonst wo. Sie fallen zudem durch die Maschen unseres Sozialnetzes und schlagen hart auf dem Boden der Realitäten auf. Sie finden sich nur noch in den Reihen Gleichgesinnter zurecht, leben in den Tag hinein, sprechen vom „Scheißleben“, kämpfen mit den ihnen verfügbaren Mitteln ums „Überleben“, machen sich oft mit für uns unfassbaren Aktionen bemerkbar, werden zunehmend ärmer und ärmer … und denken plötzlich an den Tod, an den eigenen.
Und wir lassen Sektkorken und Feuerwerkskörper knallen!?

rinfalt@tageblatt.lu