„Ich bin kein Idealist, aber ein Realist“

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Während 25 Jahren stand er dem hauptstädtischen Geschäftsverband vor und ist heute bereits 85: Josy Welter, die Galionsfigur des Einzelhandels. Er hat nichts an seiner Aktivität und Vitalität eingebüßt und verfolgt auch weiterhin mit Interesse die Entwicklung „seiner“ Stadt./Romain Durlet

LUXEMBURG – Der am 10. Januar 1924 im Pfaffenthal geborene „Stater Jong“ entstammt einer Familie von Händlern und Handwerkern, die ihr erstes Geschäft bereits 1865 führten und vor allem Hafer, Weizen, Klee- und Grassamen im Angebot hatten.
Nach der Primärschulzeit im Aldringen-Gebäude (Zufall: gerade hier sollte später die erste hauptstädtische Tiefgarage entstehen) kam er ins Athenäum und stand kurz vor seinem Abitur, als die Deutschen einrückten. Da er nicht Mitglied der Hitler-Jugend werden wollte, flog er von der Schule und arbeitete in der Landwirtschaft. Sein Vater, ein Resistenzler, wurde von den Besatzern in Luxemburg ins Gefängnis gesperrt und 1943 im Konzentrationslager von Natzweiler von den Nazis umgebracht.

Im Dienst vonGeneral Patton

Josy Welter wollte sich zuerst der deutschen Wehrmacht entziehen, wurde dann aber zwangsrekrutiert, konnte sich dann zur „Armée blanche“ durchschlagen. „Hier wurde ich als Terrorist ausgebildet“, sagt er heute schmunzelnd. Nach der Landung der Alliierten kam er als „Civilian in the american army“ ins „Food and agriculture department“ von General Patton und unterstand Colonel Odland. Die Aufgabe dieser Abteilung war die Versorgung der Luxemburger Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Samen.
Nach Kriegsende und der Rückkehr seiner Mutter und seines jüngsten Bruders aus der Deportation studierte er Phytobiologie und Phytochemie, also Pflanzenbiologie und -chemie in der Schweiz, Frankreich und Belgien. Er übernahm 1949 den Familienbetrieb – ein Jahr zuvor hatte er seine Frau auf der Uni kennengelernt – und musste die Verwandten, die Teilhaber des Geschäftes waren, abfinden. Ein finanziell schwieriger Beginn im Berufsleben, den Josy Welter jedoch mit viel Bravour und Energie meisterte.
Für ihn stand fest, dass der Betrieb modernisiert werden musste. Er ließ sich im Ausland beraten, investierte in zusätzliches, modernes Material, erstand eine Einfüllmaschine für Samen, betreute seine Kundschaft durch Mailing und erkannte die Notwendigkeit der Werbung. Das bedeutete die Aufnahme und das Zurückzahlen von Krediten.
Doch dann lief alles normal und das Geschäft beim „Roude Pëtz“, das heute immer noch besteht und von seinem Sohn geführt wird, wurde zum Treffpunkt jener, die sich für die Pflanzenwelt interessieren. Zusätzlich verkaufte Welter Tiere wie Goldfische, Hamster, Vögel usw. Konjunkturabhängig erfuhr er die 1. Krise beim Problem des Suez-Kanals. Dann ging es mit dem Einführen des Index und der Gehälterrevision der Staatsbeamten wieder aufwärts. Einen Rückschritt gab es mit der Stahlkrise und dem Bau der Supermärkte. Auch die heutige Wirtschaftskrise macht dem Handel zu schaffen.

1952: Sekretär der„Union commerciale“

Schon 1952, also im Alter von erst 28 Jahren, wurde Josy Welter Sekretär der „Union commerciale“. Und wann wurde er zum Präsidenten gewählt? „Ich wurde eigentlich nicht gewählt. Ich ersetzte den kranken Präsidenten und auf der Generalversammlung hieß es: Da fuere mer esou weider …“ Während 25 Jahren, also eines Vierteljahrhunderts, war er von 1969 bis 1994 Vorsitzender der UC.
Es galt, eine ganze Reihe Nüsse zu knacken. Die Entstehung der Supermärkte „auf der grünen Wiese“ machte dem Einzelhandel schwer zu schaffen. Niedrige Preise, groß angelegte Werbung, Parkingmöglichkeiten, Einstellen von nicht spezialisiertem (billigem) Personal, niedrige Mieten waren Trümpfe, die die Supermärkte ausspielen konnten. Apropos Mieten: „Die Bank- und EU-Beamten trieben die Mieten in die Höhe, was sich negativ auf unsere Geschäfte auswirkte.“
Die beiden Regierungsmitglieder Marcel Mart und Paul Helminger waren bemüht, einen Ausgleich zu finden. Die Kaufkraft der Luxemburger und der Verdienst der in Luxemburg Schaffenden aus der Grenzregion boten ein großes mögliches Einkaufsvolumen und es galt halt, der ausländischen Konkurrenz gleich hinter den Grenzen entgegenzutreten. Die Parole lautete: „Das Geld soll in Luxemburg bleiben!“ Der Einzelhandel, so Josy Welter, habe sich nicht gegen die Einkaufsflächen der Belle Etoile und City Concorde gewehrt. „Aber dann wurden wir überrannt.“ Immer mehr solcher Konsumpaläste wurden gebaut und machten dem „kleinen“ Geschäftsmann arg zu schaffen.

Mehr Parkingsfür die Hauptstadt

Das Steckenpferd von Josy Welter war die Umgestaltung der Stadt als einkaufsfreundliche Metropole. Und das bedingte die Schaffung von Fußgängerzonen und neuen Parkmöglichkeiten für die Kunden. Zuerst tat sich der Handel beim Bau der Fußgängerwege schwer, weil er das Verschwinden zahlreicher Abstellplätze befürchtete, doch sollte dies nach längeren Diskussionen und einer Reihe von Sitzungen geklärt werden. Parkmöglichkeiten schaffen bedingte den Bau von Tiefgaragen. Und der wohl beste und wichtigste Platz hierfür war in der Oberstadt das Aushöhlen des Knuedler.
Die Gemeinde stellte das Gelände gratis zur Verfügung; der Bau des Parkings und seine Inbetriebnahme gingen integral auf die Kappe des Handels. Um das nötige Geld aufzutreiben, gingen die Verantwortlichen der UC von Haus zu Haus und so verkauften sie schließlich 1.500 Aktien. Hiermit hatten sie den geforderten Basisbetrag zusammen, um einen Kredit aufzunehmen. So wurde eine Konvention mit der Gemeinde abgeschlossen, welche verfügte, dass die Tiefgarage nach 30 Jahren in den Besitz der öffentliche Hand übergehe. Und das ist im Herbst dieses Jahres …
Heute hat man eingesehen, dass es vorteilhafter gewesen wäre, den Parking größer zu bauen, doch damals war man in Ungewissheit des Erfolgs und beschränkte sich auf 350 Plätze.
Aber: Brauchen wir wirklich noch zusätzliche Parkplätze, wo doch Umfragen ergaben, dass die Tiefgaragen in der Oberstadt nur zu 75% und die im Bahnhofsviertel nur zu 50% ausgenutzt werden? Welter ist mit dieser Zählung nicht einverstanden, weil sie u.a. auch und vor allem jene Zeitabschnitte beinhaltet, in denen die Stadt noch oder schon wieder im Schlaf liegt, und das heißt bis zehn Uhr morgens und ab fünf Uhr nachmittags.
Er stellt folgende Berechnung auf: Bei 100.000 m2 Verkaufsfläche entfällt auf 25 m2 ein Platz, was also insgesamt 4.000 ausmachen würde. Doch ein Teil ist vermietet, ein anderer Teil verkauft, sodass für das Publikum, also den Kunden, nur noch 1.500 übrig bleiben. Josy Welters Vorschlag: Unter dem bd Roosevelt bestünde die Möglichkeit, zwischen 1.100 und 1.500 Plätze zu schaffen. „Doch niemand tut was…“

Ideenfür die Zukunft

Eine Reihe von Nüssen wurden nicht geknackt. Und wie sieht der einstige Präses der „Union commerciale“ die Zukunft? Was kann man tun, damit die Kunden den Weg in die Stadt zurückfinden? Er hat eine Reihe von Ideen. So die Schaffung einer Gesellschaft für Altbausanierung. Der Mieter bringt die Altwohnung selbst und auf eigene Kosten in Ordnung und hat das Recht, 15 Jahre dort zu wohnen. Dann fällt das Ganze zurück an den Besitzer, aber der Mieter zahlt während der 15 Jahre null Euro.
Und weiter: Man sollte sich auf kollektive Werbung einigen. Möglichkeiten zur Gepäckaufbewahrung sollten für die Kunden geschaffen werden. Verkäufer und Verkäuferinnen müssten mittelfristig dazu angehalten werden, Luxemburgisch zu sprechen und zu verstehen. Schaffung von überdachten Ständen in der Großstraße, so wie auf der Mitte der place d’Armes anlässlich des Weihnachtsmarktes. Wenn man was erreichen will, muss man halt dafür kämpfen und überzeugende Argumente vorbringen. „Ich bin kein Idealist, aber ein Realist“, meint Josy Welter. „Und als Realist kann man, muss man aber nicht in die Reihe passen. Ich glaube nicht an die Kreation, sondern an die Evolution. Und das ist die harte Nuss…“