SerieHistorisches und architektonisches Esch (51): Herrenhäuser der rue Emile Mayrisch

Serie / Historisches und architektonisches Esch (51): Herrenhäuser der rue Emile Mayrisch
Die Häusergruppe 36-40 nach Plänen des Architekten Nicolas Schmit-Noesen in den 1920er Jahren für den Chefarzt im städtischen Krankenhaus erbaut. Auf Nr. 34 rechts daneben wohnte der Besitzer der „Belle Jardinière“.  Foto: © Christof Weber, 2015

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Die gute wirtschaftliche Lage in den 1920er Jahren spiegelt sich in der Stadtentwicklung wider. Zwar verlangsamte sich die Aktivität im Bausektor nach der Weltwirtschaftskrise von 1929, aber erst mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam sie vollständig zum Erliegen. Das Viertel „Dellhéicht“ wurde zum bevorzugten Wohnort für die führende Gesellschaftsschicht.

Im Umfeld der 1930 eingeweihten Stadtklinik beauftragten Ärzte, Industrielle, Unternehmer, Schuldirektoren, Notare, Kaufleute, Architekten und Ingenieure bekannte Architekten, darunter mehrere Escher, mit der Planung ihrer Häuser. In diesem Viertel lässt sich denn auch die Entwicklung der Architekturstile studieren, die in Luxemburg zwischen den beiden Weltkriegen en vogue waren.

Einige der schönsten Villen der Stadt aus den 1920er und 1930er Jahren sind in der rue Emile Mayrisch versammelt. Diese Straße und der gleichnamige Square waren auf dem Stadterweiterungsplan des deutschen Städteplaners Josef Stübben aus dem Jahr 1925 eingetragen. Zu dieser Zeit gab es nur zwei Häuser in der geplanten Dellhöhstraße, das heutige Haus Nr. 39 in der rue Emile Mayrisch, das Ed. Gillain (Besitzer des gleichnamigen Eisenwarenladens) gehörte, und das Nachbarhaus am heutigen Square Emile Mayrisch Nr. 45, in dem der deutsche Direktor des Eisen- und Metallwarengrossisten Ferroknepper Otto Mayer mit seiner Frau Louise Nast, ihrem Sohn und einem Dienstmädchen wohnte. Der Architekt des Hauses Mayer – vielleicht auch des Hauses Gillain – war Georges Stoves (1879-1937). Er stammte ursprünglich aus Castrop in Deutschland und hatte sich um 1913 in Esch niedergelassen, wo er zahlreiche Aufträge erhielt. Der Baustil der beiden Villen mit dem Türmchen und ihren Vorbauten erinnert an das 1912 von der Gelsenkirchener Bergwerks-AG erbaute Casino, das ebenfalls in diesem Stadtführer behandelt wird. Bemerkenswert sind die roten Sandsteinelemente des Hauses Gillain, ein Stein, der in Rheinland-Pfalz abgebaut wird, z.B. in der Region Trier, und dort häufig verwendet wird, in Luxemburg aber nicht sehr oft vorkommt.

Die Häuser Nr. 36-40 auf der anderen Straßenseite wurden 1927 von dem Architekten Jean Deitz-Kintzelé (1892-1967) entworfen. Bauherr war Dr. J.-P. Knaff, Chirurg, Chefarzt und 1935 Direktor des städtischen Krankenhauses. Das Gebäude Nr. 40 kam 1938 hinzu, diese Pläne hat Schmit-Noesen unterzeichnet. Die drei Häuser bilden ein attraktives Ensemble mit einer symmetrischen Fassade, die von zwei Ecktürmen mit einer Art Zwiebeldächern eingefasst wird. Rundbogen- und Korbbogenfenster sowie die zweifarbige Stuckverzierung tragen zum Charme dieser Häusergruppe bei. Dr. Knaff wohnte im Haus Nr. 36 mit 13 Zimmern mit seiner Frau Léonie d’Huart, den drei Söhnen und dem Dienstmädchen Marguerite Gaertner. Das Eckhaus nebenan, Nr. 34, gehörte Abraham (Adolphe) Seligmann, dem Besitzer des ersten Escher Kaufhauses „Belle Jardinière“. Er wohnte dort mit seiner Familie, bis die Villa 1940 Sitz der Gestapo wurde und anschließend Wohnung des Kreisleiters. Dem Kaufhaus und der Geschichte der Familie Seligmann ist ein eigener Beitrag gewidmet.

Etwas weiter, in Richtung Innenstadt, auf Nr. 26, ließ Jean Deitz-Kintzelé 1930 sein eigenes, frei stehendes Haus bauen, eine der größten Villen in diesem Viertel. Er lebte dort mit seiner Frau Léonie, den beiden Töchtern und dem Hausmädchen Anna Hammes. Das Eingangsgitter im Art-déco-Stil ist mit dem Monogramm DK der Eheleute verziert. Weitere  Elemente dieses Stils sind an dem linken Giebel zu sehen, wo sich der Hauseingang befindet. Das Gebäude beherbergt derzeit die Stadtbibliothek. Das Nachbarhaus auf Nr. 24 ist ähnlich groß angelegt. Es wurde 1929 nach Plänen des Architekten Nicolas Schmit-Noesen (1899-1964) für den Notar René Wagner errichtet. Der junge Architekt aus Esch vermochte sich schnell einen Namen zu machen, nicht nur im Minettebecken, sondern auch in Luxemburg-Stadt. Die bürgerliche Klientel schätzte vor allem die Qualität seiner Projekte und wohl auch seine Fähigkeit, sich die unterschiedlichsten Stile anzueignen, wie man insbesondere in der rue Emile Mayrisch sehen kann. Mit seinem runden Erker am rechten Giebel und der darüber liegenden Loggia erinnert das Haus Wagner an Villen in südlichen Ländern.

In den 1930er Jahren hielt ein Stil Einzug, der vom Modernismus beeinflusst war. Dieser spiegelt sich vor allem in der architektonischen Gestaltung der Eingänge, Balkone und Loggien wider. Der rustizierte Steinsockel und das klassische Mansarddach wurden jedoch beibehalten. Diese Mischung aus modernistischen und traditionellen Elementen ist typisch für die Architektur der 1930er Jahre in Luxemburg. Ein schönes Beispiel ist die Vierhäusergruppe (Nr. 48-54) gegenüber dem Square in der rue Emile Mayrisch. Die ersten Häuser der Bauherren Welschbillig, Schockweiler und Moia wurden 1935 von Nicolas Schmit-Noesen entworfen. Das Haus von Paul Schleimer und seiner Frau Florence Kayl auf Nr. 54 wurde 1938 gebaut. Paul Schleimer war Doktor der Physik und Mathematik und zunächst Professor an der Industrieschule. 1945 wurde er zum Direktor der Staatlichen Berufsschule in Esch ernannt. Florence Kayl war Gynäkologin am Städtischen Krankenhaus und hatte ihre Praxis in dem neuen Haus. Heute gehört dieses zum „Hôpital de la Ville“. Einige Elemente wie die Eingangshalle mit der Treppe und die marmorne Wandverkleidung sind im Inneren erhalten geblieben.

Die Raumaufteilung der bürgerlichen Häuser in der rue Emile Mayrisch entsprach den funktionellen und repräsentativen Bedürfnissen ihrer Besitzer. Die größeren Häuser verfügten über zehn bis 13 Zimmer. Neben einer gebührenden Anzahl von Schlafzimmern sind zu vermerken: Eingangshalle, Räume für den Empfang von Gästen – Wohnzimmer, Esszimmer und Raucherzimmer –, Arbeitszimmer des „Hausherrn“, Näh- und Bügelzimmer, Gästezimmer sowie Dienstmädchenzimmer. Das Badezimmer war Standard. Viele Details – Türen und Fenster, Baumaterialien – sowie die Ausstattung wie etwa Weinkeller, Terrassen und schöne Gärten zeugen noch heute von materiellem Komfort. Die meisten Häuser wurden von den Eigentümern selbst bewohnt. Das Vermieten war recht selten. Die Volkszählung von 1935 zeigt jedoch einige Beispiele, bei denen sich mehrere Haushalte ein Haus teilten.