SerieHistorisches und architektonisches Esch (27): Industrie- und Handelsschule (Lycée de garçons) (1)

Serie / Historisches und architektonisches Esch (27): Industrie- und Handelsschule (Lycée de garçons) (1)
Hauptfassade des „Lycée de garçons“ mit dem Mitteltrakt, heute © Christof Weber, 2015

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„Wir wollen in Esch, was Sie in Luxemburg haben.“ Diese Worte richtete der sozialistische Abgeordnete des Kantons Esch und seit fünfzehn Jahren als Arzt in Esch tätige Michel Welter am 9. Mai 1901 in der Abgeordnetenkammer an den Generaldirektor (Minister) für Finanzen und höhere und mittlere Bildung Mathias Mongenast. 

Es geschah während der Debatte über den Gesetzentwurf zur Einrichtung einer Industrieschule in Esch. Etwa zwanzig Escher Familienväter hatten bereits 1894 in einer Petition an den Gemeinderat die Gründung einer Mittelschule gefordert. Der zweite sozialistische Escher Abgeordnete C. M. Spoo hatte den Antrag weitergeleitet und sich nicht nur für eine Handwerkerschule, wie von der Regierung vorgeschlagen, sondern auch für eine wissenschaftliche und technische Sekundarschule ausgesprochen, die die Jugend des Bergbaugebiets bitter nötig hatte. Als durch ein Gesetz von 1896 in Luxemburg-Stadt eine Handwerkerschule gegründet wurde, forderten die Abgeordneten des Kantons Esch eine Mittelschule in ihrem Wahlkreis. Schließlich erhielt Esch nach lebhaften Parlamentsdebatten durch das Gesetz vom 19. Juni 1901 zwar eine (industrielle) Sekundarschule, Unter- und Oberstufe, aber keine technische Fachschule. Eine lateinische Sektion, also klassische Studien, die den Zugang zu sämtlichen akademischen Laufbahnen eröffneten, wurde erst 1940 eingeführt. Die Staatliche Handwerkerschule in Esch wurde 1914 provisorisch und durch das Gesetz vom 18. Juli 1924 endgültig als eigenständige Struktur geschaffen.

Die Industrie- und Handelsschule war zunächst im 1898 erbauten Rathaus in der heutigen rue de l’Alzette untergebracht. Dann beschloss der Gemeinderat, ein neues Gebäude „Hinter dem Thiergarten“ zu bauen, an einem Ort, der „zur Sonne und frischen Luft gedreht ist, im Zentrum der Stadt, weit weg von allen lauten Einrichtungen“. Mit der Erstellung der Pläne wurde der Stadtarchitekt Paul Flesch (1870-1955) beauftragt.

Die Industrie- und Handelsschule ist eines der Hauptwerke von Paul Flesch, einem Freidenker und Bewunderer des antiken Griechenlands und des Geistes der Aufklärung. Wie Ed Maroldt hervorgehoben hat, sind ihr Standort und ihre Ausrichtung reich an Symbolik. Die Hauptfassade ist der aufgehenden Sonne, also der Aufklärung zugewandt. Dieses Denkmal des Humanismus wendet sich zugleich dem direkt gegenüberliegenden, der Religion gewidmeten Monument zu, der St.-Joseph-Kirche, die vom Staatsarchitekten Charles Arendt 1877 nach Plänen errichtet wurde, die von Eugène Viollet-le-Duc, dem Vater der Neogotik in Frankreich, abgesegnet wurden. Auf die französische Neogotik der Kirche antwortet die französische Neorenaissance der Schule. Den Symbolen des Christentums und der geistlichen Macht stehen die Symbole der griechischen Antike und der weltlichen Macht gegenüber.

Diese sind insbesondere am Mitteltrakt der Hauptfassade zu sehen. Der Mitteltrakt umfasst drei Joche und ist in seinem oberen Teil wie ein Portikus ausgebildet. Die vom ionischen Stil inspirierten Säulen tragen einen großen gesprengten Segmentgiebel, der von einem Pyramidendach überragt wird. In der Mitte des Giebels thront das Wappen der Stadt Esch/Alzette, darüber ein Modell der mittelalterlichen Befestigung. Drei Maskarons – Merkur und zwei Frauenköpfe – schmücken die Fenster des zweiten Stocks. Unterhalb der Säulen befinden sich vier Löwenköpfe, die Pinienzapfen im Maul halten. Die übrige Fassade wird durch Pilaster mit ionisch geprägten Kapitellen gegliedert. Die Eckpavillons betonen die monumentale Wirkung des Gebäudes. Ein von den Wohnhäusern des Direktors und des Hausmeisters umgebener Hof vervollständigt die großartige Anlage. Das Gebäude wurde am 1. Oktober 1909 eingeweiht. (Fortsetzung folgt morgen.)