Fast 99 Prozent für die Koalition

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Der außerordentliche LSAP-Kongress in Bonneweg hat gestern Abend mit überwältigender Mehrheit dem Koalitionsabkommen mit der CSV zugestimmt. Mehrheitlich angenommen wurde der Vorschlag für die LSAP-Regierungsmitglieder. Erstmals dabei ist Romain Schneider./ Lucien Montebrusco

Eine Stunde früher hatte der LSAP-Kongress begonnen, doch abgeschlossen wurde er fast gleichzeitig mit dem Parteitag der CSV, gegen 21.00 Uhr. Die Prozeduren sind bei der LSAP etwas komplizierter als bei der CSV. Zuerst musste das Koalitionsabkommen mit der CSV gutgeheißen werden, dann erst zog sich der Generalrat der Partei zurück, um über die Ministerposten zu beraten. Über die Ergebnisse wurde dann der Kongress informiert.
Die Höhepunkte der Koalitionsvereinbarung sollte der Delegationschef bei den Verhandlungen, Jean Asselborn, vortragen. Zuvor jedoch hatte Parteipräsident Alex Bodry, selbst an den Gesprächen beteiligt, den Kongress auf die wichtige Entscheidung eingestimmt.

Keine Wechselstimmung

Das Wahlergebnis spiegele keinen tiefgehenden Willen für einen politischen Wechsel wider, griff Bodry möglichen Kritikern vor, die die Partei lieber in der Opposition sahen. Zwar sei die CSV gestärkt, die LSAP aber keineswegs desavouiert worden, auch wenn das Ziel, den Abstand zur CSV zu reduzieren, nicht erreicht worden sei. Bemerkenswert sei zumal, dass erstmals keine Oppositionspartei gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen sei. Bodry zufolge sei das Koalitionsprogramm ein Bekenntnis zum Sozialmodell, zur antizyklischen Politik und zu Fortschritten in der Gesellschaftspolitik. Insbesondere habe man die CSV davon überzeugen können, den Weg des Sozialdialogs bei Reformen weiter zu beschreiten.
Gleichzeitig betonte der Parteichef, man wollte nicht um jeden Preis in die Regierung. Das Programm müsse schon die Handschrift der LSAP tragen.
Diese Handschrift versuchte Jean Asselborn den Delegierten zu entschlüsseln. Er legte dabei besonderen Wert auf die gesellschaftspolitischen Reformen. Ohne die LSAP würde das Programm anders aussehen, betonte er. Man habe die CSV ermutigt, sich zu bewegen.

Abtreibung:Fast Fristenlösung

Zu den großen Errungenschaften zählte er unter anderem die angestrebte Reform des Abtreibungsrechts. Erstmals würde sich die CSV zu diesem Gesetz aus dem Jahr 1978 bekennen. Die seither in Luxemburg geltende Indikationslösung werde durch eine soziale Komponente ergänzt. De facto werde man auf eine Fristenlösung mit obligatorischer Konsultation hinsteuern.
In Zukunft dürften auch Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern möglich werden. Reformiert würde laut Asselborn auch das Adoptionsrecht. Homo-Paare dürften ihre Kinder aus früheren Beziehungen anerkennen.
Beim sozialistischen Steckenpferd Religions- und Werteunterricht soll es beim Status quo bleiben, hatte Parteipräsident Bodry zuvor gesagt. Asselborn präzisierte: Für andere religiöse Gemeinschaften werde es in Zukunft keinen Platz in der öffentlichen Schule geben. Sollte es dabei rechtliche Probleme geben, müsste auch mit der katholischen Kirche neu verhandelt werden.
Asselborn schilderte vor allem die Vereinbarungen zu den eigenen Ressorts. Ein wichtiges Signal sei, dass der LSAP erstmals seit 1979 erneut das Arbeitsministerium zufiele. Dieses Ressort sei eine „fürchterliche Herausforderung“ angesichts einer steigenden Arbeitslosenzahl und der notwendigen Reform der Arbeitsmarktverwaltung ADEM. Die LSAP habe für dieses Ressort gekämpft, betonte Asselborn.
Erstmals übernimmt die LSAP das Ministerium für Landwirtschaft und Weinbau. Was Asselborn zufolge den Charakter der LSAP als Volkspartei betone.
Der Delegationschef stimmte seine Partei auf unangenehme Entscheidungen in der Zukunft ein. Noch zwei, drei Jahre könnte man auf die Mittel in den Spezialfonds zurückgreifen. Dann müsse die Regierung Darlehen aufnehmen. Doch auch dies sei begrenzt, so Asselborn. Schon die Erstellung des Haushalts 2010 sei kein „Business as usual“.
Auch bei den Renten stehen Reformen an. Man müsse die Verantwortung für die nächsten Generationen übernehmen, sagte er. Doch erfolge alles im Sozialdialog.

Kritische Stimmen

So ganz verstanden wurden die Botschaften vom Parteipräsidenten und Delegationschef beim Kongress scheinbar nicht. Gleich sieben Delegierte meldeten sich zu Wort, und nicht alle spendeten der Parteiführung Beifall. Vor Sozialabbau wurde gewarnt, zu einer tiefschürfenden Analyse des Wahlergebnisses der Partei aufgerufen.
Sorgen bereite ihm, was nicht im Koalitionsprogramm stehe, meinte der Monnericher Bürgermeister Dan Kersch. Die LSAP dürfe sich nicht als trojanisches Pferd für Sozialabbau missbrauchen lassen. Man gehe nicht in die Regierung, um Sozialabbau zu betreiben, das sollte unmissverständlich sein. Sein Parteikollege Laurent Kneip hingegen forderte angesichts der angespannten Finanzlage des Staates gar eine Allparteienregierung. Die Krise müsse vom ganzen Land und von allen Parteien getragen werden.
Skeptisch äußerte sich auch die Escher Stadtschöffin und Abgeordnete Vera Spautz. Nicht klar sei, was unter Selektivität bei den Sozialtransfers zu verstehen sei, wie das Rentensystem angepasst werden müsse. Sie hoffe, dass die Regierungsvertreter wüssten, wie weit sie gehen könnten.
Derlei Befürchtungen konnten jedoch die Delegierten kaum davon abbringen, für die Koalitionsvereinbarung zu stimmen. Die Abstimmung im Saal ergab bei drei Nein-Stimmen und drei Enthaltungen ein für LSAP-Verhältnisse doch klares Ergebnis seitens der 310 Delegierten.
Für keinerlei Überraschung sorgte auch der Generalrat, jenes Parteigremium aus Parteileitung, Bezirksvertretern und gewählten Mandataren, das über die Namen der Regierungsmitglieder entscheidet. 71 von 75 stimmten für den Vorschlag der Parteileitung. 

Details aus dem Programm
Einige interessante Details aus dem Koalitionsabkommen zwischen der CSV und der LSAP:
• Innenpolitik: Passives Wahlrecht bei den Kommunalwahlen für Nicht-EU-Bürger.
Nicht-Luxemburger können in Zukunft auch zum Bürgermeister oder Schöffen gewählt werden.
• Mittelstand: Verlängerung der Öffnungszeiten im Handel samstags bis 20.00 Uhr.
Abschaffung des wöchentlichen Ruhetages an den Tankstellen.
• Kultur: Einrichtung eines „guichet unique“ für Künstler.
• Schule: Schaffung von Internaten für Grundschüler.
• Umwelt: Schrittweise Anhebung des Kioto-Cents auf Treibstoff.
• Familie und Integration: Schaffung einer „épicerie sociale“ für notleidende Bürger. Reform des Adoptionsrechts.
• Institutionen: Errichtung von „Maisons de la laïcité“.
• Justiz: Reform des Adoptionsrechts, Homo-Ehe.
• Gesundheit: Reform des Abtreibungsrechts. Schaffung eines nationalen Dienstes für Umweltmedizin.
• Sozialversicherung: Langfristige finanzielle Absicherung des Rentensystems. Individualisierung der Rentenrechte.
• Arbeitsrecht: Reform der Mitbestimmungsgesetze; Einführung von Zeitsparkonten.