Experte: „Flou artistique“ im Operationssaal

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Die gestrige Sitzung in der Affäre der Hepatitis-C-Infektionen in der Klinik Ste- Elisabeth vor der siebten Kammer des Zuchtpolizeigerichtes unter Leitung von Richterin Paule Mersch wurde von den sogenannten Experten geprägt. Carlo Kass

Als erster Zeuge wurde der zum Zeitpunkt der Fakten verantwortliche Facharzt des Laboratoriums der Klinik Ste-Elisabeth gehört, der als Akademiker einer Krankenpflegerin unterstellt war und sich nicht so recht in der Hierarchie des Hauses, in dem er arbeitete, zurechtzufinden schien.
Er sprach dann auch von einer „ambiance secrète“ um die beim Personal angeordneten Urintests, bei denen er sich und sein Labor mehr als Postbüro für die Übermittlung der Probepäckchen sah. Bei der Frage um die Verschreibung dieser Urinproben, die gewöhnlich von einem Arzt angeordnet werden müssen, wurde geklärt, dass in dem für den behandelnden Arzt reservierten Kasten der Stempel der Klinik figurierte. Auch wenn er Doktor in Biologie sei, darf er keine solche Verschreibungen vornehmen, er kann sich also nicht selbst beauftragen, meinte der etwas überforderte Zeuge abschließend.
Es war dann an dem vom Untersuchungsrichter bestimmten belgischen Experten in Sachen Narkose, seine Schlussfolgerungen über drei Operationen zu ziehen, bei denen Patienten mit dem Virus angestochen wurden.
Ohne formelle Anomalien zurückzubehalten, bescheinigte er den Operationen ein gewisses „flou artistique“.
Vor allem störte ihn, dass bei den drei Operationen das vom Computer vorgegebene Protokoll über die lebenswichtigen Funktionen des Patienten und die mit der Hand eingetragenen Daten der Narkose nicht zeitgleich begannen. Bei einem Eingriff war es sogar mehr als eine halbe Stunde Differenz.
Auf seine eigenen Erfahrungen angesprochen, meinte der Facharzt, dass in der Klinik, in der er tätig ist, zurzeit laut Statistik drei von hundert Insidern ähnlich gelagerte Probleme haben, wie sie dem Hauptverdächtigen vorgeworfen werden.
Aus Fällen, von denen einige nach dem Tod der Betroffenen aufgeklärt wurden, wisse er, dass diese kranken Menschen sehr einfallsreich sein können und ihre Arbeit, bei der sie viele Spielräume zur Drogenbeschaffung hätten, durchaus über längere Zeit durchhalten könnten, ohne auffällig zu werden.
Auf die Frage, ob er, wie der Luxemburger Narkosearzt, dem der Hauptverdächtige scheinbar in die Falle ging, weiter mit einem solchen Narkosehelfer gearbeitet hätte, meinte er, dass es in Belgien zwar keine „infirmiers anesthésistes“ gäbe, ein solcher Mensch aber keinen Platz in einem Operationssaal habe.
Interessant war auch die Aussage des gestern gehörten Apothekers der Klinik Ste-Elisabeth, der schon im Sommer 1997, also ein halbes Jahr vor den Fakten, Unregelmäßigkeiten zwischen den physischen Reserven an Narkotika im OP und den entwendeten Beständen festgestellt hatte.
Anfang März 1998 wurde er mit den Urintests konfrontiert und sollte sich beim Fabrikanten der gesuchten Substanz erkundigen, wie man am besten vorgehen sollte.
Umso größer war sein Erstaunen, als er später erfuhr, dass die Tests im Staatslaboratorium landeten.

Selektive Erinnerung

Gegen Abend wurde denn auch der verantwortliche Professor des staatlichen Laboratoriums gehört, der Anfang 2002 anhand eines Haartests dem Hauptverdächtigen die Einnahme einer zur Abhängigkeit führenden Substanz nachgewiesen hatte, die jedoch nicht mehr mit den Fakten von 1998 in Verbindung zu bringen sind.
Ausgiebig wurde er dann aber über die Urintests, die vor den Hepatitis-Infektionen im Jahre 1998 beim Klinikpersonal durchgeführt wurden, befragt. Nach seinen Aussagen habe er nach fünf Tests die Klinik davon in Kenntnis gesetzt, dass mit diesem Verfahren lediglich eine Überdosis der gesuchten Substanz festgestellt werden könne, keinesfalls ein „recreation use“, wie die regelmäßige Einnahme eines Narkotikums in der Fachsprache heißt.
Um genauere Informationen zu beziehen, hätte man die Proben an den vom Apotheker bereits erwähnten Fabrikanten schicken müssen.
Auch konnte sich der sonst eher eloquente Zeuge zwar gestern nicht mehr erinnern, von wem genau in der Klinik Ste-Elisabeth er damals den Auftrag zu dieser doch sehr konzentrierten Aktion bekam, er schloss aber kategorisch aus, dass es sich um ein Mitglied der Direktion handelte. Das nennt man wohl selektives Erinnerungsvermögen.