Etienne Schneider: „Der Index bleibt“

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Wirtschaftsminister Etienne Schneider plauderte angeregt während eines Mittagessens in der Postkutsch in Esch zwei Stunden lang mit den Tageblatt-Journalisten Helmut Wyrwich, Sascha Bremer und Stefan König.

Das Gespräch beim Mittagessen: Es öffnet Hintergründe. Es führt zu überraschenden Themen. Es lässt einen Plauderton zu, der sonst im Gespräch zwischen Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens nicht möglich ist. Wirtschaftsminister Etienne Schneider plauderte angeregt während eines Mittagessens in der Postkutsch in Esch zwei Stunden lang mit den Tageblatt-Journalisten Helmut Wyrwich, Sascha Bremer und Stefan König.

Etienne Schneider sitzt locker an dem runden Tisch im Restaurant. Er ist wie stets gut angezogen mit tadellosem Einstecktuch in seinem dunkelblauen Anzug. Die Karte des Restaurants lockt Erstaunen hervor. Die Postkutsch in Esch ist ein gut bürgerliches Restaurant mit einer exzellenten Küche. „Ich werde dennoch das Menu ein wenig verändern“, sagt Schneider.

Diät

Das hat seinen Grund. Der Wirtschaftsminister hat 28 Kilogramm abgenommen, hat seinen Lebensstil verändert und achtet streng darauf, was er isst, damit er nun nicht wieder zunimmt. Während des Wahlkampfes hat er sich noch eine andere Diät verordnet: Er trinkt keinen Tropfen Alkohol. Die Flasche Crémant in seinem Kühlschrank wirkt als ständige Herausforderung, der es zu widerstehen gilt. Überhaupt Kühlschrank. Mit Ausnahmen der Crémant-Flasche und einigen Joghurts (Null Prozent Fettgehalt) ist er leer.

„Ich gehe morgens früh aus dem Haus ins Fitness Studio, fahre dann in das Ministerium und komme abends erst zurück. Dann gibt es noch einen Joghurt und das war´s erzählt er. Früher war der Kühlschrank gut gefüllt. Da gab es am späten Abend auch noch eine Tiefkühlpizza. Das ist jetzt vorbei. Es gilt, das Gewicht zu halten. „Auf Wahlkampf-Veranstaltungen ist das nicht immer leicht. Mir sind am vergangenen Wochenende auf sechs Terminen jeweils Grillwürstchen angeboten worden. Das abzulehnen, ohne die Menschen zu beleidigen, die es ja gut mit mir meinen, ist nicht immer einfach“, lacht Schneider.

Linie

Getreu dieser Devise, steht Wasser auf dem Tisch. Die Weingläser werden abgeräumt, der Minister entscheidet sich für Tartar aus Thunfisch und einen Wolfsbarsch. Ein Essen, das seiner Linie entspricht. Die Härte, mit der Schneider seine Abnehmkur durchgeführt hat, entspricht seinem Selbstverständnis. Er hat klare Vorstellungen und zieht sie durch. Sein Ministerium hat er wie ein Unternehmen organisiert. Das gibt ihm an der Spitze freie Hand, politisch zu agieren, mit Unternehmen zu reden und die Grundsatz-Entscheidungen zu treffen. Das Wirtschaftsministerium ist unter ihm klar agierend geworden mit zugewiesenen Verantwortungsbereichen und mit deutlich höherer Effizienz. Schneider ist ein Adept der Kooperation von Entscheidern, die die Verwirklichung ihren Fachleuten überlassen können. „So möchte ich, dass die gesamte Regierung arbeitet“, sagt er. „Hätten wir das in den vergangenen Jahren gemacht, stünde Luxemburg ganz hervorragend da. Wir müssen als Regierung das Unternehmen Luxemburg zum Erfolg führen. Das ist in der zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht erfolgt.“

Der Mann, der heutzutage der Spitzenkandidat der Luxemburger Sozialisten für das Spitzenamt in der luxemburgischen Politik ist, hatte ursprünglich so etwas gar nicht vor. Nach dem Abitur wollte er eigentlich zur CFL gehen. „Da konnte man sofort Geld verdienen und das war ein sicherer Job“. Ein Freund überredete ihn, mit ihm in Brüssel zu studieren, erzählt Schneider vor Abiturienten. Seine Botschaft an die jungen Leute: Ihnen gehört die Welt, wenn sie sich überzeugen lassen, die Welt zu erobern. Jean Asselborn holte den jungen Volkswirtschaftler als Assistenten in die Fraktion der Sozialisten. Als es ihm zu langweilig wurde, ging er für Luxemburg in den diplomatischen Dienst zur Nato. „Aber da war es auch nicht viel besser. Die wichtigen Dinge entscheiden die Minister selber, die weniger wichtigen machen die Botschafter. Und ich durfte dann, über die Farbe und Muster der Panzer diskutieren. Das war nicht das, was ich mir eigentlich vorgestellt hatte.“

Werdegang

Etienne Schneider wurde von Jeannot Krecké nach Luxemburg zurückgeholt, zunächst in die Fraktion, dann, als er Minister wurde, in das Wirtschaftsministerium. Seinen politischen Werdegang verdankt Schneider diesen beiden Politikern, die Vertrauen in seine Fähigkeiten hatten. Krecké insbesondere profitierte davon. Schneider hielt ihm den Rücken frei, führte den Stromsektor zusammen zum Unternehmen Enovos und leitete es in der ersten Phase als Präsident des Verwaltungsrates mit der strategischen Ausrichtung. Auch bei der Wahl zum Spitzenkandidaten der LSAP, ließ Asselborn, der den jungen Mann einst entdeckt hatte, Schneider den Vortritt.

Etienne Schneider besitzt zwar vier Oldtimer, und er wäre auch gerne Autosammler geworden, aber es geht eben nicht immer alles. „Ich habe bei jeder Stufe meiner Karriere eigentlich immer Geld verloren“, lacht er amüsiert. Und was hat er verloren, als er Minister wurde? „Die Hälfte“, grinst er. Wer daran gewöhnt ist, bei jedem Jobwechsel Geld zu verlieren, kann auch das mit Fassung tragen.

Index

Als Schneider beginnt, seinen Wolfsbarsch zu attackieren, wird es ernst. Schneider wird politisch und deutlich. „Der Index wird mit mir nicht verschwinden. Jeder zweite Beschäftigte in Luxemburg hat keinen Tarifvertrag. Für diese Menschen ist der Index die einzige Möglichkeit, ihr Gehalt an die Entwicklung der Inflation anzupassen. Der Index bleibt“. Nicht begeistert zeigt sich der Wirtschaftsminister von der politischen Leistung des Staatsministers Jean Claude Juncker in Luxemburg in der zu Ende gehenden Legislaturperiode. „Jean-Claude Juncker hat sich zu wenig um Luxemburg gekümmert. Wann immer er hierzulande etwas zur Chefsache machte, durfte man davon ausgehen, dass da nichts geschehen würde. Das beste Beispiel sind die Wohnungsbaupolitik und die Verwaltungsvereinfachung. Er hat sie mit großen Ankündigungen an sich gezogen, nachdem in den Jahren zuvor schon so gut wie nichts geschehen war. Seitdem er zuständig ist, geschieht nichts mehr.“ Schneider wirft einigen CSV-Ministerkollegen in der Regierung vor, das Land nicht weiter zu bringen. Stillstand ist oft die Devise. „Das Schlimme ist, dass offensichtlich die Minister, die nichts tun, den höchsten Zuspruch bei den Wählern haben.“

„Gerade die Verwaltungsvereinfachung brauchen wir dringend. Die Unternehmen im Land und die, die sich ansiedeln wollen, brauchen klare Vorgaben vor der Ansiedlung oder vor Neubauten, die zu erfüllen sind und die dann auch überprüft werden. So wird man vertrauenswürdig in der Wirtschaft“. Enttäuscht von Juncker ist Schneider auch deswegen, weil er Juncker ein umfangreiches Papier mit Modernisierungs- und Verbesserungsmöglichkeiten sowie Reformvorstellungen in der Luxemburger Verwaltung zugestellt hat. „Ich weiß nicht, wo es geblieben ist. Eine Antwort darauf habe ich nie erhalten“, sagt Schneider.

Ideengeber

Der heutige Wirtschaftsminister, schon zu Zeiten von Jeannot Krecké der Ideengeber im Wirtschaftsministerium, hat in seinem Bereich sowohl organisatorische als auch politische Reformen vorgenommen. „Ich habe versucht, mit den zuständigen Ministerkollegen weitgehend zu kooperieren, um Projekte und auch Grundsätze zu verwirklichen. Zu diesen Ministern gehörten sowohl Verkehrsminister Claude Wiseler wie auch Arbeitsminister Nicolas Schmitt. „Die Entwicklung eines Logistik-Standbeins in Luxemburg geht nicht ohne den Verkehrsminister, egal welcher Partei er angehört. Auch im Ansiedlungsbereich sind wir neue Wege gegangen. Wir müssen doch darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, bei 100 neuen Arbeitsplätzen in Luxemburg 90 mit Grenzgängern zu besetzen, während gleichzeitig bei uns im Land die Arbeitslosigkeit steigt“.

Schneider hat in Kooperation mit Nicolas Schmit und der Adem Arbeitslose zu Berufskraftfahrern ausbilden lassen, die diesen Beruf ergreifen wollten, aber die 3.000 Euro für den Führerschein nicht hatten. „Es ist besser, wir bezahlen die Ausbildung und die Leute finden einen Arbeitsplatz, als ihnen Arbeitslosengeld zu bezahlen.“ Nicht anders ging er bei der Ansiedlung der Kosmetik-Firma Maxim in Echternach vor. Das Unternehmen wird dem Minister eine Liste mit benötigten Arbeitsplatz-Qualifikationen für 180 neue Mitarbeiter schicken. „Die Adem hat die Aufgabe, sie zu finden und nötigenfalls zu qualifizieren. Meine Vorstellung ist, Luxemburg derart dynamisch und kooperativ in der Regierung zu führen, wenn die LSAP die Wahl gewinnt“, sagt Schneider, wobei er den Wohnungsbau als einen der wichtigsten Bereiche nennt, in dem schnell etwas getan werden muss.

Naiv

Geradezu sauer auf Jean-Claude Juncker wird Schneider, wenn er an den Rücktritt der Regierung denkt. „Wir haben ihm angeboten, dass die gesamte Regierung solidarisch zurücktritt obwohl er alleine für den SREL-Skandal verantwortlich ist. Wir haben wenige Stunden vor der Parlamentssitzung in der Regierung zusammengesessen und darüber geredet, wie wir das machen. Denn es war klar, dass die Regierung zurücktreten musste. Die Medien hätten uns mit den ganzen Skandalen täglich in der Luft zerrissen. Wir hätten das bis zum kommenden Jahr nicht durchgestanden und das wäre nicht gut für Luxemburg gewesen. Jean-Claude Juncker hat diese von uns angebotene Solidarität verraten. Die LSAP am Ende als die hinzustellen, die die Regierung sabotiert hat, ist unverschämt.“ Schneider gibt allerdings auch zu: „Wir waren da wohl auch einfach naiv“. Der Ton lässt ahnen, dass die Partei daraus tiefgreifend gelernt hat.
Einen Nachtisch gibt es nicht.

Schneider zeigt sich konsequent bei seiner neuen Essensweise. Die Themen beim Kaffee gehen deswegen aber nicht aus. Das Buch, das er derzeit liest, heißt „Höllenritt Wahlkampf“ und passt zu seiner derzeitigen Situation. In der Logistik scheint Luxemburg nun als europäischer Mittelpunkt angekommen zu sein. Eine Halle mit 26.000 Quadratmetern in Bettemburg steht vor der Vermietung. Die türkische Mars Logistik will ihre Kapazität in Luxemburg verdreifachen. Und was den Hafen im lothringischen Illingen angeht, so wartet Luxemburg auf die Entscheidungen in Lothringen. „Ich habe angeboten, dass wir eine grenzüberschreitende Task Force einrichten. Der Hafen wird mit seinen Container-Einrichtungen Bedeutung für Luxemburg haben. Insgesamt beschäftigt das Standbein Logistik in Luxemburg heutzutage 13.000 Menschen“, hebt er hervor.

Beim letzten Schluck Kaffee bleibt noch eine Frage: Was bedeutet Sozialismus heute? „Wir haben es eher mit Sozialdemokratie zu tun“, sagt Schneider nach einem Augenblick des Nachdenkens. . “Die Sozialdemokratie lässt niemanden auf der Straße stehen. Der Kern der Philosophie der Sozialdemokratie besteht darin, dass sie die Menschen mitnehmen will in den Wohlstand eines Landes. Deswegen ist mit mir auch die Abschaffung des Index nicht zu machen. Ohne die Indexierung würden viele Menschen in Luxemburg auf Zeit verarmen.“

(Helmut Wyrwich / Tageblatt.lu)