„Es bleibt keine Zeit sich Fragen zu stellen“

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1.700 Mal waren die Ambulanz-Flieger der Luxembourg Air Rescue (LAR) im vergangenen Jahr im Einsatz. Ob Rettungseinsätze im Inland, Grenzgebiet oder Auslands-Rückholdienste nach Unfällen im Urlaub. Die Fliegerstaffel der LAR hat im Sommer Hochkonjunktur. Das Tageblatt wirft einen Blick hinter die Kulissen./ Dan Elvinger und Finn Overdick

Kaum zu glauben, aber wahr, viele Einsätze in Luxemburg mussten in diesem Sommer wegen Wespenstichen geflogen werden. Die Opfer erlitten einen anaphylaktischen Schock. Dabei bricht das Herz-Kreislauf-System zusammen, es kommt zu Atemnot, Herzrasen, Schwindel und Übelkeit. Im schlimmsten Fall kann dies zum Tod führen. Bei diesen Symptomen muss sofort ein Notarzt gerufen werden.
Neben diesen Fällen sind im Sommer hitzebedingte Kreislaufprobleme, Motorradunfälle und Erkrankungen an der Tagesordnung. Dazu kommt der Auslands-Rückholdienst der LAR. Aus jedem Winkel der Erde können Patienten ausgeflogen werden. Die Hubschrauber sind fast rund um die Uhr im Einsatz und können innerhalb von acht Minuten jeden Punkt im Land erreichen. Vier Rettungshubschrauber, drei Düsenflugzeuge (Learjet) und ein Organ-Team-Transport-Jet gehören zum Grundstock der LAR.
Durch eine europäische Ausschreibung 2007 wurde die LAR Exklusiv-Partner der Uni-Klinik Straßburg im Organtransport für Frankreich. Ein Jahr später darf LAR, in Zusammenarbeit mit France Transport, in ganz Frankreich Organtransporte fliegen. Für den Organtransport wurde eigens ein Cessna Citation Mustang Very Light Jet (VLJ) gekauft. Die Maschine ist besonders leicht und nicht von großen Flughäfen abhängig. Sie braucht nur kleine Start- und Landepisten. Dies verkürzt die Transportwege zu regionalen Krankenhäusern erheblich.
Bei der LAR arbeiten 80 Festangestellte. Darunter Piloten, Krankenpfleger, Techniker und Büroangestellte.
Piloten mit Erfahrung, gerade im Hubschrauberbereich, sind Mangelware. Bei den Hubschraubern sind hauptsächlich ehemalige Militärpiloten aus Frankreich, Belgien und Deutschland im Einsatz. Sie brauchen in dem Job eine gewisse Kaltblütigkeit, heißt es. „Unsere Piloten müssen unter Stress, wenn zum Beispiel ein Patient mit dem Tod ringt, immer noch ruhig fliegen und sicher landen können. Die ehemaligen Militärpiloten sind stressresistente Alleskönner.
Piloten unter 2.000 Flugstunden, das sind acht bis zehn Jahre Flugerfahrung, haben bei der LAR keine Chance.
Hier herrscht ein strenges Auswahlverfahren.
Für den Einsatz stehen rund 40 Ärzte zur Verfügung. Sie gehören nicht zum festen Stamm der LAR. Die Mediziner kommen aus den umliegenden Krankenhäusern und arbeiten freiberuflich für die Organisation. Sie sind Experten für Notfall- und Intensivmedizin und verfügen über eine lange Berufserfahrung. Eine nonstop besetzte Alarmzentrale auf dem Findel nimmt die Notrufe aus dem Ausland entgegen und koordiniert die verschiedenen Einsätze.
Mit Flugzeugen vom Typ Learjet werden die Patienten aus der ganzen Welt in luxemburgische oder ausländische Krankenhäuser geflogen. Die Maschinen sind mit allen medizinischen Geräten ausgestattet, die für eine lebenswichtige Patientenbetreuung notwendig sind, sagt Didier Dandrifosse.
Der Belgier ist seit acht Jahren bei der LAR.
Seit knapp vier Jahren ist der ausgebildete Krankenpfleger Leiter der medizinischen Abteilung. Nach 15 Jahren im Dienste des Lütticher Universitätskrankenhauses zog es ihn zum Findel. Bereits in Belgien war er bei Hubschrauber- und SAMU-Einsätzen dabei.
Auch in Luxemburg führte er diese Arbeit in den ersten Jahren fort: „Seit zwei Jahren bin ich für den administrativen Teil der Arbeit zuständig. Mein beruflicher Alltag besteht mittlerweile zu 80 Prozent aus Verwaltungsarbeit. Ab und zu fliege ich jedoch noch einen Einsatz.“ Als Leiter der medizinischen Abteilung fallen vielfältige Aufgaben an. Didier Dandrifosse heuert neue Mitglieder für seine Mannschaft (Ärzte und Pfleger) an, testet und leitet diese.
Die Hubschrauberflotte der LAR agiert vor allem im Inland. „Im Sommer haben unsere Einsätze direkt mit den Aktivitätsfeldern der Menschen zu tun. Das heißt, dass viele Unfälle beim Auto-, Motorrad- oder Radfahren passieren. Die Unfallchirurgie tritt dort oft in Kraft. Im Winter fliegen wir überwiegend Einsätze, die mit Krankheiten oder Infarkten zu tun haben.“
Die drei Learjets werden ausschließlich für Auslandsrückholungen eingesetzt. Diese Dienstleistung ist weniger auf die Unfallchirurgie ausgerichtet. Oft wird jedoch auch das Gespräch mit den Betroffenen gesucht und versucht zu klären, ob ein solcher Einsatz nötig ist.
Beratung der Mitglieder genießt bei der LAR nämlich oberste Priorität. Dass ein solcher Einsatz für Rettungskräfte an die Grenzen der Belastbarkeit gehen kann, liegt auf der Hand.
Die Sicherheit wird jedoch nie vernachlässigt: „Im Prinzip soll der Einsatz für die Rettungskräfte ungefährlich sein. Wir haben daher strenge Sicherheitsvorkehrungen, die wir auch einhalten. Verrückte Sachen unterlassen wir“, so Didier Dandrifosse. Der „Head of Medical Department“, so der offizielle Titel des Belgiers, hat schon einige dramatische Unfälle miterlebt: „Ich habe schon einige Explosionen gesehen, die viele Menschenleben gefordert haben.“
Trotzdem oder gerade deswegen ist der Belgier abgehärtet. Mentale Ausgeglichenheit zeichne ein Hubschrauber- und Jet-Team aus, so Dandrifosse. „Wir werden für professionelle Arbeit bezahlt und leisten diese auch. Als Arzt oder Pfleger sollte eine emotionale Beziehung zum unbekannten Patienten vermieden werden. Hinzu kommt noch, dass die Einsätze technisch anspruchsvoll sind und schnell abgewickelt werden müssen. Da bleibt keine Zeit, sich Fragen zu stellen.“
Laut Dandrifosse zeichnet sich ein gutes medizinisches Mitglied der Flotte durch Selbstkontrolle, Teamgeist und eine gute Ausbildung aus.
Um das Gesamtgefüge zusammenzuhalten, müssen die Finanzen stimmen. Vor allem die Beiträge der 180.000 Mitglieder tragen dazu bei. Es gibt nicht nur Mitglieder in Luxemburg, auch aus der Großregion gibt es viele Inhaber von LAR-Karten. Hinzu kommen noch staatliche Subventionen in Höhe von 400.000 Euro im Jahr. Daneben gibt es noch viele Geldspender im Land. Um zu funktionieren braucht die Luxembourg Air Rescue rund 13 Millionen Euro.

Kompetenzund Erfahrung

Seit ihrer Gründung 1988 ist die LAR damit zum größten eingetragen Verein in Luxemburg angewachsen. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Viele Versicherungen und Kreditkartenanbieter locken mit ähnlichen Angeboten (siehe auch Infobox zum Thema Versicherungen). „Mit unserer Kompetenz und Erfahrung haben wir aber ein Ass im Ärmel“, betonen die LAR-Verantwortlichen. Die Rettungsflieger rühren in allen Bereichen darum ordentlich die Werbetrommel für ihre Arbeit. Man findet sie auf Messen, in den Medien und sie bieten zahlreiche Gruppenveranstaltungen vor Ort am Findel an.
Die Frauen und Männer der Luxembourg Air Rescue schauen optimistisch in die Zukunft. „Nach mehr als 20 Jahren harter Arbeit gehören wir zum Top der europäischen Rettungsflieger“, betonen sie selbstbewusst. 

3 FRAGEN AN einen LAR-Patienten (67) aus Gonderingen

Tageblatt: Was ist Ihnen im Urlaub passiert?
„Im August war ich mit meiner Frau für mehrere Wochen an die Côte d’Azur. Am letzten Wochenende unserer Reise wurde ich in der Nacht auf Sonntag von furchtbaren Bauchschmerzen aus dem Schlaf gerissen. Mein Bauch war verhärtet und die Schmerzen nahmen mit jeder Minute zu. Wir entschieden uns, den Notarzt zu rufen. Ein Einsatzwagen der Feuerwehr fuhr mich in ein Krankenhaus nach Cannes. Die Fahrt war furchtbar, es gab keine Medikamente in dem Fahrzeug und ich fand keine entspannende Position für meinen vom Schmerz verkrampften Körper. Im Krankenhaus angekommen, wurde ich sofort an einen Tropf mit Schmerzmitteln gehängt. Nach langem Warten ließ sich endlich ein Arzt blicken. Nach einer Scanneruntersuchung stand die Diagnose fest: Nierensteine.“

„T“: Warum haben Sie auf die Luxembourg Air Rescue zurückgegriffen?
„Ich lag drei Tage lang zur Kontrolle im Krankenhaus. Meine Schmerzen waren nicht mehr so stark, dadurch wurde das Problem mit dem Nierenstein aber nicht gelöst. Außerdem stand meiner Frau und mir eine zehn Stunden lange Heimreise nach Luxemburg mit dem Auto bevor. Uns war das Risiko einfach zu groß, dass unterwegs was passieren kann. Da ich seit Jahren LAR-Mitglied bin, hat meine Tochter in Luxemburg Kontakt mit den Rettungsfliegern aufgenommen. Die Ärzte aus Luxemburg und in Cannes diskutierten über meinen Fall. Dabei entschieden die LAR-Experten, dass sie keinen Rettungsflieger schicken, sich aber um den Transport zum Flughafen, den Flug und die Abholung am Findel kümmern werden.“

„T“: Wie verlief die Weiterversorgung in Luxemburg?
„Ich wurde in Südfrankreich im Krankenhaus abgeholt und am Flughafen eingecheckt. Während des zweistündigen Fluges war ich auf mich alleine gestellt, aber bestens versorgt. Als ich am Findel aber aus der Maschine stieg, war vom LAR-Personal niemand zu sehen. Zu Fuß verließ ich die Maschine und ging zum Parkplatz hinter dem Flughafenterminal. Dort stand ein Krankenwagen, er war aber nicht wegen mir da. Plötzlich wurde ich von der Seite von zwei LAR-Mitarbeitern angesprochen. Der Fauxpas war schnell aufgeklärt. Ich hatte die beiden Sanitäter der Luxembourg Air Rescue, die vor dem Flugzeug warteten, vor lauter Aufregung glatt übersehen. Sie brachten mich schlussendlich in ein Luxemburger Krankenhaus.“