/ Die Macht der Wörter
Mit dem Schriftsteller Jean Portante, dem Historiker Denis Scuto und dem französischen Journalisten und Direktor der Wochenzeitung Politis Denis Sieffert hatte das mit anderen Nichtregierungsorganisationen ausrichtende „Comité pour une Paix Juste au Proche-Orient“ drei Experten in Sachen Sprache verpflichtet, die sich alle drei auch durch das Herausgeben von Büchern einen Namen gemacht haben. Und die das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln heraus beleuchteten.
In seiner Einführung verwies Moderator Michel Decker darauf, dass viele oft das Gefühl haben, informiert zu werden, dabei aber übersehen, dass ihre Wahrnehmung durch die Wahl der Wörter oft in eine bestimmte, von anderen festgelegte Richtung gedrängt wird. So spreche man z.B. hierzulande eher von einem Regime Putin und einer Regierung Obama als umgekehrt. Oder nehme den neu geformten Begriff Kollateralschaden unbekümmert zur Kenntnis, obwohl er für den Tod von Menschen stehe. Jean Portante spricht von einem Krieg des Wort-Sinns, der im neuen Kommunikationszeitalter von den Akteuren in eben diesem Bereich, unterstützt von Politik und Wirtschaft, geführt werde. Ulysses’ Trojanischem Pferd ähnlich würden sie am Sinn der Wörter nagen, diese aushöhlen. Wörter werden nicht mehr verboten, sondern ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt. Sensur, Sinn-Entleerung, eine Zusammensetzung aus dem französischen „sens“ – Sinn und Zensur, nennt er dies, so wie es Bernard Noël in seinem Werk „L’outrage aux mots“ definiert hat.
Massenvernichtungswaffe
In diesem Sinne sei besonders der an immer mehr Universitäten angebotene Fachbereich Kommunikation eine regelrechte Massenvernichtungswaffe für den Sinn der Wörter. Es würde dort nicht mehr um die Vermittlung von Inhalten, sondern von Hüllen gehen. Nicht der Gedanke beim Diskurs des Politikers sei bei der Darstellung wichtig, sondern sein Auftreten und Erscheinungsbild. Es werde die Verpackung eines Produktes verkauft, nicht der Inhalt.
Ausgangspunkt hierfür seien die politischen Umfragen, die Portante als Marktforschungsanalysen bezeichnete. Der ursprüngliche Sinn eines Wortes werde verdreht, je nachdem, ob man über Wirtschaft, Soziales, Politik, Religion oder Kultur spreche. Dieser Linie folgend, hielt Denis Scuto fest, dass es für den Historiker immer schwieriger werde, das Fehlende, das, was es nicht mehr gibt, wiederherzustellen. Seinen belgischen Kollegen Pieter Lagrou zitierend, sprach er von einem neuen Mythos, einer neuen Lesart im Zusammenhang mit der europäischen Integration: Europa als die große Geschichte der Demokratie und der Menschenrechte.
„Forward with Juncker“
Es werde gerafft ein Bild gezeichnet, von der „Erfindung“ der Demokratie durch die französische Revolution mit Rückschlägen durch Metternich oder Bismarck und nach dem Ersten Weltkrieg und Verdun mit den Bolschewisten, Nazis und Kommunisten einer Rückkehr der „Bösen“, bis es nach dem Zweiten Weltkrieg und Auschwitz gelungen sei, mithilfe der großen Freunde jenseits des Atlantiks die Demokratie wehrhaft zu kräftigen, auch wenn es bis 1989 dauern sollte, ehe schlussendlich auch der Osten in den demokratischen Hafen geführt werden konnte.
Die Europäische Union als Apotheose der demokratischen Entwicklung und der Menschenrechte, frei nach dem Motto „forward with Juncker or back to the bunker“? Für Scuto eine Geschichte, die zum Einschlafen im Stehen verleitet. Die Kohle- und Stahlunion CECA, die auch zur Wiederaufrüstung angesichts des Koreakrieges diente, sei alles andere als der Höhepunkt der Zeiten von Blumen in den Gewehrläufen, der Vertrag von Rom sei wirtschaftlicher Natur, Europa eine bessere Zollunion gewesen, in der deutschen Bundeswehr hätten sich die früheren Wehrmachtvertreter wiedergefunden, das Europa der Menschenrechte bis zum Helsinkivertrag habe höchstens eine Nebenspur der wirtschaftlichen Entwicklung ausgemacht. Kurzum, so Scuto: Die europäische Entwicklung ist keine märchenhafte Demokratie-Geschichte. Der wahre Erfolg der Union liege darin, Agrarländer hin zu Industrie- und Dienstleistungsländern entwickelt zu haben, verbunden mit sozialpolitischen Komponenten. Dennoch finde sich die andere politische Darstellung heute bis in die Schulbücher wieder. Weil es für die heutigen Eliten aller couleur einfacher sei, hiermit zu operieren und Kritik an der Austeritätspolitik oder am Euro z.B. mit dem Hinweis auf die Gefahr einer Wiederholung von Verdun oder Auschwitz abzuwehren. Es gelte, nicht in diese Falle dieser Geschichtsschreibung zu tappen (siehe auch Seite 9).
Die richtige Wortwahl
Denis Sieffert befasste sich mit der Wortwahl des politischen Diskurses. Nach den Attentaten von Paris würden sowohl der französische Präsident Hollande als auch sämtliche Regierungsmitglieder gebetsmühlenartig wiederholen, dass Frankreich im Krieg sei, was de facto nicht stimme. Gekoppelt an diese Aussage werden die Begriffe Angst und Terrorismus. Wobei Letzterer ein Begriff auf wackligen Fundamenten und mit austauschbarem Gebrauch sei. So seien die Mitglieder der kurdischen PKK für die Türkei entlang der Grenze Terroristen, für die anderen bei ihrem Kampf gegen den IS Helden.
Vor allen Dingen jedoch verdeckten die genutzten Begriffe den Verweis auf die sozialen Hintergründe für Terrorismus. Auch der amerikanische Präsident George Bush habe das „Böse“ immer externalisiert. Alles kommt von außen, fast nichts von innen. Wie können dann aus französischen Kleinkriminellen Terroristen werden, fragt sich Sieffert? Dass der offizielle französische Diskurs eine bewusste Wortwahl ist und alles andere als unschuldig, leitet Sieffert auch an einem anderen Beispiel ab. Angesichts des geltenden Ausnahmezustandes sei trotz anstehender Regionalwahlen kaum darüber debattiert worden, dass Frankreich diese Woche eine Rekordarbeitslosigkeit verkünden musste. Trau, schau, wem.
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