/ Die Aufpasser für die Forschung

Dr. Catherine Boisanté-Bourrier vom Nationalen Ethikkomitee für Forschung
Für jede klinische Forschung in Luxemburg stellt das Nationale Ethikkomitee für Forschung (CNER) ein Gutachten aus, bevor die Forscher ihre Arbeit beginnen können. Das Tageblatt unterhielt sich mit der Präsidentin des Komitees, Dr. Catherine Boisanté-Bourrier.
Was sind die Aufgaben des CNER?
Die Aufgabe des CNER ist es, Gutachten über Forschungsprojekte im akademischen oder klinischen Bereich anzufertigen, die den Menschen betreffen. Die Projekte werden uns unterbreitet und wir studieren sie anhand eines Analyserahmens. Wir untersuchen, ob die Teilnehmer und ihre Autonomie bei den Projekten geachtet werden. Wir untersuchen auch, ob das Forschungsprojekt schädlich ist oder nicht und was dessen erwarteter Nutzen ist.
Ein Forschungsprojekt muss also von Interesse sein – ob für einen Patienten, für die Gesellschaft oder in Bezug auf ein Krankheitsbild.
Also müssen alle Forschungsprojekte in Luxemburg durch die Hände Ihres Rates gehen?
Alle Forschungsprojekte, die eine direkte Verbindung mit Menschen haben, müssen dem CNER vorgelegt werden.
Natürlich gibt es auch akademische Grundlagenforschungen, z.B. im Bereich Biologie, die keine direkte Verbindung mit dem Menschen haben. Das CNER fertigt allerdings lediglich ein Gutachten an. Wir erteilen keine Genehmigungen oder Verbote.
Oft unterbreiten wir auch Vorschläge, was verbessert werden muss, damit wir ein bestimmtes Projekt positiv beurteilen. Das kann zum Beispiel die zugehörige Einwilligungserklärung betreffen, die Handhabung der gesammelten Daten oder das Design der Studie.
Insbesondere passen wir auf die Vertraulichkeit der Daten auf. Bei unseren Versammlungen ist ein Mitglied der Datenschutzkommission CNPD als Beobachter zu Gast.
Sie beurteilten allerdings auch schon Studien mit Versuchen an Mäusen, bei denen nicht direkt am Menschen geforscht wird.
Ja, genau. In der angesprochenen Studie ging es um genveränderte Mäuse, die mit menschlichen Substanzen behandelt wurden, um ein experimentelles Modell zu schaffen. Allerdings sollten die Resultate dann auf den Menschen übertragen werden.
Wir sind nicht für Tierversuche zuständig. In anderen Ländern gibt es Ethikräte, die eine Gruppe für Tierversuche haben. Insbesondere gibt es in diesem Bereich Empfehlungen von nationalen Bioethikräten.
Zwischen einem Ethikrat für Forschung, wie wir es sind, und einem nationalen Bioethikrat gibt es einen Unterschied. Ein nationaler Bioethikrat könnte sich zum Beispiel mit Tierversuchen befassen. Wir hingegen schauen uns immer spezifische Projekte an und geben keine allgemeinen Empfehlungen an die Forschung.
Hierzulande gibt es eine nationale Ethikkommission, die die allgemeine ethische Orientierung der Gesellschaft festlegt und entscheidet, was vertretbar ist. Sie entscheidet zum Beispiel, was in der Genforschung vertretbar ist, was die künstliche Befruchtung darf, was die Sterbehilfe darf usw. Diese Regeln stehen über den Forschungsprojekten.
Welches Gewicht hat Ihr Gutachten und welchen Druck können Sie ausüben?
Im Fall der Medikamentenforschung werden uns Forschungsprotokolle vorgelegt und wir untersuchen die Risiken und Vorteile für die Patienten. Wir reichen unser Gutachten an das Gesundheitsministerium weiter und das entsprechende Abteilung des Ministeriums erteilt die Erlaubnis.
Allerdings kann auf europäischer und internationaler Ebene niemand ein Forschungsprojekt veröffentlichen, das nicht zuvor einem Ethikrat für Forschung vorgelegt worden ist. Auf europäischer Ebene gibt es etwa die Oviedo-Konvention (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates, d. Red.)
Wenn ein Projekt Regeln nicht einhält, gibt es die Möglichkeit, zu klagen. Wenn ein Forscher Daten einer Population erhebt und diese dann missbraucht, bricht er das Gesetz.
Worauf basieren Sie Ihr Gutachten?
Das CNER wurde im Jahr 2000 von Carlo Wagner, dem damaligen Gesundheitsminister, ins Leben gerufen.
Davor gab es innerhalb der Kliniken Ethikräte, die die klinischen Studien begutachteten. Wir zählen im Moment 14 sehr verschiedene Mitglieder, die sowohl die Wissenschaftsgemeinde als auch die Zivilgesellschaft vertreten. Wir haben einen Philosophen, einen Apotheker, Akademiker, Ärzte, einen Biologen usw. Eine ganze Reihe Vertreter aus Gesundheitsberufen, die ihre Überlegungen einbringen können.
Bräuchte es für Ihre Arbeit nicht mehr Menschen, die einen philosophischen Hintergrund haben?
In einem nationalen Ethikrat mit Sicherheit, denn dort werden gesellschaftliche Fragen behandelt. In einem Ethikrat für Forschung sind vor allem wissenschaftliche Kenntnisse sehr wichtig, weil wir Dinge wie die Dringlichkeit, die Machbarkeit oder auch den erwarteten Nutzen eines Projekts bewerten.
Wahrscheinlich soll das CNER in einem neuen Bioethikgesetz geregelt werden, das die Regierung gerade ausarbeitet. In Zukunft soll die Stimme der Patienten im Komitee noch besser vertreten sein.
Haben Sie in letzter Zeit mehr Arbeit?
Ja. So gab es in Luxemburg zuletzt große medizinische Projekte etwa in der Parkinsonforschung sowie die Schaffung der IBBL (Integrated Biobank Luxembourg, d. Red.) und der Plan Cancer. All diese großen nationalen Projekte bringen natürlich Forschungsprojekte mit sich.
Früher gab es mehr Forschungsprojekte der Industrie (klinische Forschung und Medikamentenforschung). Heute kehrt sich der Trend um und wir haben mehr akademische Forschungsprojekte (zum Beispiel bei chronischen Erkrankungen).
Auch, weil die Uni weiterwächst?
Erstens das. Aber auch das LCSB, das LIH, die IBBL – es gibt sehr viele Akteure. Auf der anderen Seite beobachten wir bei der Industrie jedoch einen Trend, der sich überall bemerkbar macht: Die Pharmaindustrie in Europa senkt die Zahl der klinischen Studien der Phase III (Tests an großen Gruppen von Menschen, d. Red.) und verlagert sie in Länder, in denen die Gesetze für sie vorteilhafter sind. Das ist nicht unbedingt sehr ethisch, aber wir beobachten das in allen europäischen Ländern.
In sehr naher Zukunft werden wir in Luxemburg wahrscheinlich einen Anstieg von Forschung in der Phase I sehen, also eher grundlegendere Forschung mit neuen Wirkstoffen. Das dürfte sich aus der verstärkten Zusammenarbeit der einzelnen Akteure wie der Krankenhäuser, dem LIH und dem Ministerium ergeben. Daraus würden sich Vorteile für den Patienten ergeben – zum Beispiel in den Bereichen Krebs und seltene Krankheiten.
Vergeben Sie oft ein negatives Gutachten oder kennen die Forscher die Regeln so gut?
Die Forscher kennen die Regeln, aber es gibt kaum ein Projekt, an dem wir nichts beanstanden.Die Projekte müssen drei Wochen vor unserer Versammlung eintreffen, damit wir Zeit haben, um sie durchzulesen und Fragen vorzubereiten. Dann kommen die Verantwortlichen der Studie und beantworten unsere Fragen. Mit ihnen diskutieren wir, unter welchen Bedingungen wir einverstanden damit sind, ein positives Gutachten auszustellen, und verlangen Veränderungen.
Diese können teils sehr geringfügig sein: Projekte sollen zum Beispiel die Einwilligungserklärung für die Patienten in drei Sprachen beinhalten. Manchmal weichen die Übersetzungen aber voneinander ab.
Ab und an verlangen wir auch, dass die Methodologie verändert wird – etwa, was die Anonymisierung der Daten angeht. Das ist zum Beispiel in der Genforschung sehr wichtig, wenn die Patienten zum Beispiel wissen wollen – oder es gerade nicht in Erfahrung bringen wollen –, wenn während der Untersuchungen in ihrer DNA Auffälligkeiten gefunden wurden.
Wir legen auch viel Wert auf die Klarheit der Informationen, die die Patienten bekommen. Oft werden diese in einer Fachsprache formuliert, aber der Patient muss die Informationen verstehen, um Fragen stellen und seine Einwilligung in voller Sachkenntnis geben zu können.
Wie wird man Teilnehmer an einem solchen Forschungsprojekt?
Die Recherchen werden oft von Ärzten durchgeführt, die in Krankenhäusern praktizieren. Wenn diese Patienten haben, die die Inklusionskriterien eines Forschungsprojekts erfüllen, schlagen sie ihnen vor, daran teilzunehmen. Es ist wichtig, dass der Patient darüber informiert wird und dass er dadurch keinen Nachteil erhält, etwa bei der Deckung seiner Rechnungen durch die Krankenkassen. Er muss auch jederzeit aus dem Forschungsprojekt aussteigen können.
Die Projekte können von allem Möglichen handeln: von einem neuen Medikament, einem neuen Pflegeprotokoll oder einfach vom Erfassen seiner Daten. Letzteres ist in der Erforschung der Parkinsonkrankheit oft der Fall.
Inspirieren Sie sich bei vergleichbaren ausländischen Organisationen?
Wir sind Mitglied des „European Network of Research Ethics Committees“ (Eurec). Dort finden regelmäßig Treffen statt. In Straßburg gab es zum Jahresende ein großes Treffen, weil die Oviedo-Konvention überarbeitet werden soll.
Selbstverständlich kommunizieren wir auch mit der Europäische Arzneimittel-Agentur. Des Weiteren entsteht derzeit eine Plattform, auf der alle laufenden europäischen Rechercheprojekte gelistet werden – mit Informationen über die Verantwortlichen und darüber, wer die Projekte geprüft hat.
Was sind die großen Themen aktuell?
Bei der Arbeit an der Oviedo-Konvention gibt es hauptsächlich zwei große Themen. Erstens der Fortschritt bei der Genetik. Es stellt sich die Frage, bis wohin die Genforschung gehen darf, und vor allem auch jene, wozu die Genforschung benutzt werden darf. Auf der einen Seite steht die sehr gute, personalisierte Medizin und auf der anderen Seite die Genmanipulation, die auch in Eugenik ausarten kann.
Die zweite Herausforderung ist der Datenschutz. Big Data gibt es natürlich auch in der Forschung. Wenn Daten aus dem klinischen Bereich in die Grundlagenforschung und zu verschiedenen Partnern fließen, muss Datensicherheit und Anonymisierung gewährleistet werden.
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